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Schneckensuche im Vorgarten

Zoologie. - Mit ökologischen Studien, bei denen Vögel, Schmetterlinge oder Schnecken gezählt werden müssen, sind professionelle Wissenschaftler schnell überfordert. Sie sind auf die Hilfe von Laien, von Hobbyforschern angewiesen. So auch beim Evolution-Megalab, einem wissenschaftlichen Großprojekt aus dem Darwinjahr 2009: Forscher wollten herausfinden, ob sich die Bänderschnecke schon an den Klimawandel angepasst hat. Das Projekt ist das bislang größte seiner Art, und die Ergebnisse werden heute im Fachmagazin "PLoS One" veröffentlicht.

Von Marieke Degen |
    Micaela Brugsch und Robert Nordsieck streifen an einer Mauer entlang. Immer wieder bleiben sie stehen, schieben Zweige zur Seite, spähen in die Mauerritzen. Nordsieck:

    "Eins, zwei, drei vier, Vorsicht, ich komme hoch, fünf, sechs sehe ich jetzt mal, also man kriegt da auch so einen Schneckenblick, man wandert an der Mauer lang und rennt währenddessen Passanten um, ja, weil man da rein schaut."

    Die beiden sind Hobby-Malakologen. In ihrer Freizeit erforschen sie Schnecken. Heute suchen sie nach Bänderschnecken. Brugsch:

    "Man sieht sie nicht so leicht, und sie sitzen vor allem auch nicht überall. Aber da sitzt eine! Ha! Da sitzen sogar zwei an dem Strauch. Siehst du das? Hier, dieser Busch, der da vorne steht?"

    Manche Exemplare haben bräunliche Häuschen, andere sind eher gelb oder rosa. Außerdem sind viele Häuschen mit dunklen Streifen verziert, oder Bändern. Daher der Name: Bänderschnecke. Nordsieck:

    "Ja."

    Brugsch: "Da sitzen auf halber Höhe, also auf gleicher Höhe eigentlich, siehst du die?"

    Nordsieck: "Ja, Bänderschnecken!"

    Brugsch: "Natürlich Bänderschnecken!"

    Nordsieck: "Zwei Stück. Das sind drei!"

    Brugsch: "Wo ist die dritte?"

    Die Hobbyforscher sammeln Daten für das Evolution-Megalab. Ein europäisches Großprojekt mit Bürgerbeteiligung, das im Darwinjahr 2009 ins Leben gerufen worden ist. Jeder Bürger soll die Evolution erforschen, vor der eigenen Haustür. Der Biologe Christian Anton hat das Evolution-Megalab für Deutschland koordiniert.

    "Die Idee war, mit Hilfe der Bänderschnecken zu untersuchen, ob der Klimawandel auch in Mitteleuropa Tierarten beeinflusst. Und hierzu haben wir alle Interessierten aufgerufen, beim Spazierengehen oder im Garten Bänderschnecken zu zählen und genau zu notieren, welche Farbe diese Gehäuse der Bänderschnecken haben, und welche Musterung."

    Haben sich die Bänderschnecken schon an die höheren Temperaturen angepasst? Dann müsste es mehr gelbe Schneckenhäuschen geben als früher. Gelbe Schnecken sind am besten gegen Hitze gewappnet, weil es unter einem gelben Häuschen nicht so warm wird wie unter einem braunen oder roten. 8000 Hobbyforscher aus ganz Europa haben am Evolution Megalab teilgenommen, 2000 allein in Deutschland. Die Hobbyforscher haben ihre Ergebnisse dann einfach auf der Megalab-Webseite hochgeladen. Die Projektleiter mussten aber sichergehen, dass die Daten auch stimmen.

    "Jeder Teilnehmer konnte vorher an einem Quiz teilnehmen und musste zeigen, dass er die Schneckenart erkennt, ob er die Farbe richtig erkennen kann, und ob die Bänderung von ihm erfasst wird. Und das war der Versuch, die Güte der Qualität einzuordnen, und eine Aussage darüber zu treffen, ob unsere Teilnehmer überhaupt in der Lage sind, mit der Genauigkeit zu arbeiten, die erforderlich ist."

    Die meisten haben den Test bestanden: Christian Anton und seine Kollegen haben nur ein Prozent der Schneckendaten verwerfen müssen. Danach haben die Forscher die neuen Daten mit älteren Datensätzen verglichen. Das Ergebnis war überraschend.

    "Unsere Klimahypothese, dass wir heute aufgrund der Klimaerwärmung mehr gelbe Schnecken finden als früher, hat sich nicht bestätigt. Wir konnten aber sehr eindrucksvoll zeigen, dass es quer durch Europa einen sehr unterschiedlichen Anteil gibt in dem Anteil der gelben Schnecken. Also in Italien, im ganzen Mittelmeerraum haben wir sehr viele gelbe Schnecken, je weiter wir nach Norden kommen, umso mehr rote und braune Schnecken sehen wir, aber es gibt in Mitteleuropa keine Zunahme der gelben Schnecken."

    Immerhin: Das Projekt hat funktioniert. Die Forscher haben gezeigt, dass sie – mit Hilfe von Hobbyforschern - an wertvolle Daten aus ganz Europa herankommen können. Die Schneckenstudie wird heute im Fachmagazin PLoS One veröffentlicht. Das Evolution-Megalab ist damit aber noch nicht am Ende: Hobbyforscher können auch weiterhin Bänderschnecken suchen und ihre Ergebnisse auf der Webseite hochladen. Vielleicht kann man dann in ein paar Jahren sehen, dass sich die Schnecken doch irgendwann an die wärmeren Temperaturen anpassen und es immer mehr gelbe Schneckenhäuschen gibt.