Rainer Brandes: Herr Schneiders, Sie unterscheiden in Ihrem Artikel zwischen Islamfeindlichkeit, Islamskepsis und Islamkritik. Wo ziehen Sie denn die Grenze zwischen diesen Begriffen?
Thorsten Gerald Schneiders: Ja, die genaue Grenze zu ziehen ist schwierig, deswegen gibt es, glaube ich, auch diese drei Begriffe, beziehungsweise die Notwendigkeit diese drei Begriffe zu ziehen. Man kann bestimmte Verhaltensweisen feststellen und die dann zuordnen, beispielsweise als islamfeindlich, als Islamskepsis oder auch als islamkritisch, aber so da genau die Grenzen liegen das ist genau das Problem und das macht es auch so schwierig. Es gibt im Grunde keine klare Grenze, sondern es geht ineinander über.
Brandes: Aber können Sie da einmal ein Beispiel nennen, was für eine Aussage wäre Islamfeindlichkeit und was wäre eine legitime Kritik am Islam?
Schneiders: Man kann sich im Groben das so vorstellen, dass Aussagen, die eine abwägende Grundhaltung haben, die nicht aus einer bestimmten Ideologie heraus Kritik üben beispielsweise, dass man so etwas als seriöse, als fundierte Kritik ansehen kann. Auf der anderen Seite, wenn ich ein Eigeninteresse verfolge und da Kritik missbrauche, dann bewegt man sich im Bereich der Islamfeindlichkeit.
Brandes: Um mal ein konkretes Beispiel zu nennen, das Beispiel Jugendkriminalität. Die Bundesfamilienministerin Christina Schröder hat vor einigen Jahren davon gesprochen, es gäbe eine höhere Gewaltneigung unter muslimischen Jugendlichen als unter deutschen Jugendlichen. Was ist das Problematische an dieser Äußerung?
Schneiders: Zum einen ist es interessant und bemerkenswert festzustellen, dass Muslime und Deutsche gegenübergestellt werden. Dann ist das Problem an einer solchen Aussage, dass ein soziales Phänomen, ein Verhaltensphänomen an einem Punkt festgemacht wird, an einer Ursache, einer Begründung. In dem Fall nämlich der Religionszugehörigkeit. Und das ist schlicht illegitim, weil ein Verhalten sich nicht allein aus einer religiösen Zugehörigkeit begründet, sondern viele verschiedene Ursachen hat.
Brandes: Es gibt aber ja auch subtilere Argumentationsstrategien wie vermeintliche Wahrheiten, die immer wieder angeführt werden, aber nicht mehr hinterfragt werden. Können Sie uns dazu ein Beispiel nennen?
Schneiders: Ja, ein klassisches Beispiel ist der Fall, dass Muslime ihre Töchter permanent vom Schwimmunterricht abmelden würden. Das ist ein Argument, das immer wieder auftaucht in verschiedensten Bereichen. Es wird von Politikern angesprochen, es wird von Journalisten angesprochen. Und kaum einer macht sich die Mühe, das noch zu hinterfragen. Es gilt sozusagen als quasi tatsächlich und quasi realistisch.
Brandes: Haben Sie das denn überprüft?
Schneiders: Also ich selbst habe es nicht überprüft, aber es gibt einmal eine Studie dazu, die zu einem völlig anderen Ergebnis kommt. Und ein Journalist von der Zeit, Martin Spiewak, hat sich die Mühe gemacht, wirklich einmal alle Ministerien und Ämter in Deutschland abzutelefonieren und kam zu dem Ergebnis, dass das kein Problem ist. Das bedeutet nicht, dass man nicht auf Schulen auf solche Fälle trifft, aber es ist kein verbreitetes Problem, es ist kein Massenproblem.
Brandes: Sie kritisieren in Ihrem Artikel auch eine Argumentation, die einerseits für die Religionsfreiheit von Muslimen eintritt, aber immer mit dem Zusatz, damit auch die Religionsfreiheit der Christen zu schützen. Also ein Beispiel wäre die Debatte über das Minarettverbot. Das geht Argumentation dann so: Wenn wir Minarette verbieten, werden bald auch Kirchenglocken verboten. Aber gehen Sie da mit der Kritik nicht etwas zu weit, denn hier wird die Religionsfreiheit, auch die der Muslime, gerade verteidigt?
Schneiders: Das ist richtig. Das würde ich auch so nicht unterschreiben, dass ich das kritisiere. Sondern ich weise nur darauf hin und stelle zur Debatte, inwiefern das lauter ist, oder inwiefern das unlauter ist, wenn ich eigentlich den Zweck habe, das Christentum zu schützen und dafür aber Muslime instrumentalisiere.
Brandes: In dieser Untersuchung beschäftigen Sie sich explizit mit den Unionsparteien. Ist das Problem von islamfeindlichen Argumentationslinien denn speziell ein Problem in den Unionsparteien oder lässt sich das auch im gesamten Parteienspektrum feststellen?
Schneiders: Also es lässt sich definitiv im gesamten Parteienspektrum feststellen. Es ist nur so, dass - vielleicht auch von der Anlage her - die Unionsparteien dieser Thematik eher zuneigen. Darüber gibt es mittlerweile auch mehrere Studien, die genau zu diesem Ergebnis führen. Das heißt, dass das Thema Islam allgemein insbesondere für Unionspolitiker eine größere Rolle spielt, dass sie häufiger diese Themen ansprechen und dass sie häufiger in diesem Zusammenhang auch dazu neigen in die Richtung Islamfeindlichkeit zu tendieren. Ich würde an der Stelle auch noch mal vorsichtig sein und auch einschränken wollen, dass nicht jeder Äußerung zum Islam und auch nicht jede negative abwertende Äußerung von Politikern gleich mit Islamfeindlichkeit gleichzusetzen wäre. Politiker haben immer auch das Ziel - und das ist, glaube ich auch, der Hauptpunkt, der dahinter steckt, Wählerstimmen auf sich zu vereinigen, für ihre Partei zu gewinnen. Und damit müssen sie ein Ohr sozusagen am Volk haben, versuchen Stimmungen aufzugreifen und dann Stimmungen in Politik umzusetzen.
Brandes: Woran liegt das, wenn das stimmt, dass das vor allem Politiker der Unionsparteien tun? Ist das konservative Spektrum in der Bevölkerung dafür empfänglicher? Auf der anderen Seite hat es ja auch die umstrittenen Äußerungen von Thilo Sarrazin gegeben, der nun mal SPD-Mitglied ist.
Schneiders: Ja. Es hat definitiv nichts mit Konservatismus zu tun, allein. Es mag sein, dass Leute, die ein konservativeres Weltbild vertreten, eher dazu neigen. Aber, wie Sie zu Recht sagen, es gibt auch durchaus islamfeindliche Stimmungen in allen anderen Parteien. Die SPD muss man da sicherlich auch noch mal herausnehmen. Es gibt Untersuchungen, die zur Kopftuch-Gesetzgebung in Deutschland, und die SPD hat bei diesen Verboten eine ganz unterschiedliche Haltung, eine ganz konfuse Haltung, möchte ich sagen, eingenommen. Mal 0hat sie dafür gestimmt, mal hat sie dagegen gestimmt. Ich glaube, das hängt natürlich damit zusammen, dass wir uns hier immer noch im Bereich von Volksparteien bewegen, sowohl bei der CDU als auch bei der SPD. Und das ist im Zusammenhang mit Thilo Sarrazin auch deutlich geworden, dass es sehr viele Mitglieder in der SPD gab, die eine Sympathie für Herrn Sarrazin hegten und seine Äußerungen im Buch "Deutschland schafft sich ab". Da sind natürlich auch SPD-Politiker so aufgetreten, dass sie versucht haben, diese Stimmung aufzugreifen, und sich dann auch eindeutig islamfeindliche Haltungen, zumindest - ja ich will nicht sagen zu eigen gemacht haben, aber doch mit denen gearbeitet haben, hantiert haben.
Brandes: Der Islam- und Politikwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders. Vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Thorsten Gerald Schneiders: Ja, die genaue Grenze zu ziehen ist schwierig, deswegen gibt es, glaube ich, auch diese drei Begriffe, beziehungsweise die Notwendigkeit diese drei Begriffe zu ziehen. Man kann bestimmte Verhaltensweisen feststellen und die dann zuordnen, beispielsweise als islamfeindlich, als Islamskepsis oder auch als islamkritisch, aber so da genau die Grenzen liegen das ist genau das Problem und das macht es auch so schwierig. Es gibt im Grunde keine klare Grenze, sondern es geht ineinander über.
Brandes: Aber können Sie da einmal ein Beispiel nennen, was für eine Aussage wäre Islamfeindlichkeit und was wäre eine legitime Kritik am Islam?
Schneiders: Man kann sich im Groben das so vorstellen, dass Aussagen, die eine abwägende Grundhaltung haben, die nicht aus einer bestimmten Ideologie heraus Kritik üben beispielsweise, dass man so etwas als seriöse, als fundierte Kritik ansehen kann. Auf der anderen Seite, wenn ich ein Eigeninteresse verfolge und da Kritik missbrauche, dann bewegt man sich im Bereich der Islamfeindlichkeit.
Brandes: Um mal ein konkretes Beispiel zu nennen, das Beispiel Jugendkriminalität. Die Bundesfamilienministerin Christina Schröder hat vor einigen Jahren davon gesprochen, es gäbe eine höhere Gewaltneigung unter muslimischen Jugendlichen als unter deutschen Jugendlichen. Was ist das Problematische an dieser Äußerung?
Schneiders: Zum einen ist es interessant und bemerkenswert festzustellen, dass Muslime und Deutsche gegenübergestellt werden. Dann ist das Problem an einer solchen Aussage, dass ein soziales Phänomen, ein Verhaltensphänomen an einem Punkt festgemacht wird, an einer Ursache, einer Begründung. In dem Fall nämlich der Religionszugehörigkeit. Und das ist schlicht illegitim, weil ein Verhalten sich nicht allein aus einer religiösen Zugehörigkeit begründet, sondern viele verschiedene Ursachen hat.
Brandes: Es gibt aber ja auch subtilere Argumentationsstrategien wie vermeintliche Wahrheiten, die immer wieder angeführt werden, aber nicht mehr hinterfragt werden. Können Sie uns dazu ein Beispiel nennen?
Schneiders: Ja, ein klassisches Beispiel ist der Fall, dass Muslime ihre Töchter permanent vom Schwimmunterricht abmelden würden. Das ist ein Argument, das immer wieder auftaucht in verschiedensten Bereichen. Es wird von Politikern angesprochen, es wird von Journalisten angesprochen. Und kaum einer macht sich die Mühe, das noch zu hinterfragen. Es gilt sozusagen als quasi tatsächlich und quasi realistisch.
Brandes: Haben Sie das denn überprüft?
Schneiders: Also ich selbst habe es nicht überprüft, aber es gibt einmal eine Studie dazu, die zu einem völlig anderen Ergebnis kommt. Und ein Journalist von der Zeit, Martin Spiewak, hat sich die Mühe gemacht, wirklich einmal alle Ministerien und Ämter in Deutschland abzutelefonieren und kam zu dem Ergebnis, dass das kein Problem ist. Das bedeutet nicht, dass man nicht auf Schulen auf solche Fälle trifft, aber es ist kein verbreitetes Problem, es ist kein Massenproblem.
Brandes: Sie kritisieren in Ihrem Artikel auch eine Argumentation, die einerseits für die Religionsfreiheit von Muslimen eintritt, aber immer mit dem Zusatz, damit auch die Religionsfreiheit der Christen zu schützen. Also ein Beispiel wäre die Debatte über das Minarettverbot. Das geht Argumentation dann so: Wenn wir Minarette verbieten, werden bald auch Kirchenglocken verboten. Aber gehen Sie da mit der Kritik nicht etwas zu weit, denn hier wird die Religionsfreiheit, auch die der Muslime, gerade verteidigt?
Schneiders: Das ist richtig. Das würde ich auch so nicht unterschreiben, dass ich das kritisiere. Sondern ich weise nur darauf hin und stelle zur Debatte, inwiefern das lauter ist, oder inwiefern das unlauter ist, wenn ich eigentlich den Zweck habe, das Christentum zu schützen und dafür aber Muslime instrumentalisiere.
Brandes: In dieser Untersuchung beschäftigen Sie sich explizit mit den Unionsparteien. Ist das Problem von islamfeindlichen Argumentationslinien denn speziell ein Problem in den Unionsparteien oder lässt sich das auch im gesamten Parteienspektrum feststellen?
Schneiders: Also es lässt sich definitiv im gesamten Parteienspektrum feststellen. Es ist nur so, dass - vielleicht auch von der Anlage her - die Unionsparteien dieser Thematik eher zuneigen. Darüber gibt es mittlerweile auch mehrere Studien, die genau zu diesem Ergebnis führen. Das heißt, dass das Thema Islam allgemein insbesondere für Unionspolitiker eine größere Rolle spielt, dass sie häufiger diese Themen ansprechen und dass sie häufiger in diesem Zusammenhang auch dazu neigen in die Richtung Islamfeindlichkeit zu tendieren. Ich würde an der Stelle auch noch mal vorsichtig sein und auch einschränken wollen, dass nicht jeder Äußerung zum Islam und auch nicht jede negative abwertende Äußerung von Politikern gleich mit Islamfeindlichkeit gleichzusetzen wäre. Politiker haben immer auch das Ziel - und das ist, glaube ich auch, der Hauptpunkt, der dahinter steckt, Wählerstimmen auf sich zu vereinigen, für ihre Partei zu gewinnen. Und damit müssen sie ein Ohr sozusagen am Volk haben, versuchen Stimmungen aufzugreifen und dann Stimmungen in Politik umzusetzen.
Brandes: Woran liegt das, wenn das stimmt, dass das vor allem Politiker der Unionsparteien tun? Ist das konservative Spektrum in der Bevölkerung dafür empfänglicher? Auf der anderen Seite hat es ja auch die umstrittenen Äußerungen von Thilo Sarrazin gegeben, der nun mal SPD-Mitglied ist.
Schneiders: Ja. Es hat definitiv nichts mit Konservatismus zu tun, allein. Es mag sein, dass Leute, die ein konservativeres Weltbild vertreten, eher dazu neigen. Aber, wie Sie zu Recht sagen, es gibt auch durchaus islamfeindliche Stimmungen in allen anderen Parteien. Die SPD muss man da sicherlich auch noch mal herausnehmen. Es gibt Untersuchungen, die zur Kopftuch-Gesetzgebung in Deutschland, und die SPD hat bei diesen Verboten eine ganz unterschiedliche Haltung, eine ganz konfuse Haltung, möchte ich sagen, eingenommen. Mal 0hat sie dafür gestimmt, mal hat sie dagegen gestimmt. Ich glaube, das hängt natürlich damit zusammen, dass wir uns hier immer noch im Bereich von Volksparteien bewegen, sowohl bei der CDU als auch bei der SPD. Und das ist im Zusammenhang mit Thilo Sarrazin auch deutlich geworden, dass es sehr viele Mitglieder in der SPD gab, die eine Sympathie für Herrn Sarrazin hegten und seine Äußerungen im Buch "Deutschland schafft sich ab". Da sind natürlich auch SPD-Politiker so aufgetreten, dass sie versucht haben, diese Stimmung aufzugreifen, und sich dann auch eindeutig islamfeindliche Haltungen, zumindest - ja ich will nicht sagen zu eigen gemacht haben, aber doch mit denen gearbeitet haben, hantiert haben.
Brandes: Der Islam- und Politikwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders. Vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.