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Schnelle Kristalle

"Die Substanz zeigt zwei Schmelzpunkte, wenn man sich so ausdrücken darf. Bei 145,5 Grad Celsius schmilzt sie zunächst zu einer trüben, jedoch völlig flüssigen Flüssigkeit. Dieselbe wird erst bei 178,5 Grad Celsius plötzlich völlig klar." Schrieb 1888 der Botaniker Friedrich Reinitzer – etwas hilflos angesichts dessen, was er da entdeckt hatte: Den Flüssigkristall.

Von Andrea Vogel |
    Dass 2003 fast jeder Mensch Flüssigkristalle besitzt, liegt aber nicht an den zwei Schmelzpunkten. Doktor Hartmut Vennen von der Firma Merck in Darmstadt erklärt ihre besondere Funktion:

    Flüssigkristalle sind kleine, stäbchenförmige Moleküle, die die praktische Eigenschaft haben, sich in Schichten anzuordnen, also aneinander auszurichten, und die darüber hinaus die praktische Eigenschaft haben, dass sie mit elektrischer Spannung geschaltet werden können.

    Und dank dieser beiden Eigenschaften sind Flüssigkristalle phantastische Lichtschleusen: perfekt geeignet, um Bildpunkte flacher und leichter Bildschirme zu schalten, etwa bei Handys oder Laptops.

    Dazu wird die Hintergrundbeleuchtung zunächst durch ein Gitter polarisiert, schwingt also nur noch in einer Richtung. Dieses polarisierte Licht passiert dann den Flüssigkristall und trifft auf ein zweites Gitter. Je nachdem, wie die Kristalle ausgerichtet sind, drehen sie das Licht ein Stück. Und je nachdem, ob das Licht gedreht wird oder nicht, kann es das zweite Gitter passieren – der Bildpunkt ist hell – oder eben nicht. Dann ist der Bildpunkt dunkel.

    Vor allem für Fernseher waren Flüssigkristalle allerdings bislang nur eingeschränkt geeignet. Viel zu langsam, und auch der Kontrast war zu niedrig. Damit ist jetzt Schluss. Die Darmstädter Chemiker haben eine neue Klasse von Flüssigkristallen gefunden, die endlich auch "fernseh-tauglich" sein soll.

    Kontrast ist ja im Prinzip das Verhältnis von Hell und Dunkel. Und bei den klassischen Monitoren wird der dunkle Zustand dadurch erreicht, dass sie Spannung anlegen und die Moleküle in den Zustand versetzen, die Hintergrundbeleuchtung nicht durchzulassen. Bei der neuen Generation von Materialien, die wir entwickelt haben speziell für den Fernseher, ist es genau umgekehrt. Da ist schwarz der Grundzustand, und durch Anlegen der Spannung öffnen Sie sozusagen das Lichtventil...

    – und schon ist der Kontrast besser. Das andere Problem ist die Geschwindigkeit, mit der die bisherigen Flüssigkristall-Bildschirme Bildpunkte hell oder dunkel schalten können. Hartmut Vennen:

    Wenn sie Ihren PC-Monitor für bewegte Bilder verwenden, werden sie feststellen: Das zieht immer so einen Schweif hinter sich her. Auch diesen Nachteil hat die neue Substanzklasse, die hier bei Merck entwickelt worden ist, jetzt überwunden.

    Die alten Kristalle, zum Beispiel im Handy-Display, sind eher träge Zeitgenossen, Phlegmatiker: Sie wuchten sich mühsam und träge hin und her. Die Darmstädter Chemiker haben nun so lange gesucht, bis sie die Sanguiniker unter den Flüssigkristallen gefunden hatten: quirlige, wendige Kerlchen.

    Damit sind die entscheidenden Nachteile, die Flüssigkristall-Bildschirme gegenüber den klassischen Röhren- oder modernen Plasmabildschirmen haben, weitgehend ausgeräumt. Jetzt können die Vorteile voll zum Tragen kommen.

    Im Vergleich zu einem klassischen Monitor, der auf dem Prinzip der Braunschen Röhre basiert, verbrauchen sie sehr viel weniger Energie; d.h. sie können, wenn sie ein Bürogebäude zum Beispiel auslegen von Vornherein, dass dort nur flache Displays eingesetzt werden, eine Menge Energie sparen, was sich sofort bemerkbar macht zum Beispiel in der Auslegung der Klimaanlage.

    Außerdem halten sie deutlich länger.

    Bis nun die schöne neue Bildschirmwelt Realität werden kann, fehlt eigentlich nur noch eines: Die Bildschirm-Hersteller müssen die neuen Kristalle in ihren Geräten verbauen.