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"Schneller, sehr kompakter Ticker"

Auf Twitter kann jeder alles sehen und lesen. Trotz oder gerade wegen dieser Transparenz komme der Kurznachrichtendienst Behördenanfragen zur Herausgabe von Identitäten eher nicht nach, sagt Wissenschaftsjournalist Maximilian Schönherr im Gespräch mit Manfred Kloiber.

13.07.2013
    Manfred Kloiber: Maximilian Schönherr, immer mehr kritische Berichte über Facebook werden ja publiziert. Und Google macht mit seinem Dienst "Plus" ziemlichen Druck. Ich habe irgendwie ein bisschen den Eindruck, Facebook stagniert, während Twitter immer noch wächst. Sehen Sie das auch so?

    Maximilian Schönherr: Ja, das sehe ich auch so. Facebook liegt in der Sättigung, weil einfach alle Leute da drin sind. Und das betrifft auch den asiatischen Raum. Und auch in Afrika ist Facebook sehr verbreitet. Twitter wächst vor allem in Europa und Asien, sagte mir der deutsche Pressesprecher Dirk Hensen. Die politischen Brandherde, wie aktuell in der Türkei und in Syrien, bringen Twitter immer großen Zulauf. Es fungiert dann als schneller, sehr kompakter Ticker. Weil einfach die Nachrichten so kurz sind. Wenn man jemandem, dem man vertraut, "folgt", sieht man auf dem Computer oder dem Smartphone sofort, wenn er zu einer Aktion auf dem sagen wir mal Istanbuler Taksim-Platz aufruft. 15.13 Uhr, wir stellen uns in 15 Meter Abstand auf und schauen alle unbefangen nach Osten.

    Kloiber: Diese Informationen bekommen dann natürlich auch die Behörden, die mitlesen. Weil Twitter ja – anders als Facebook oder Google+ - ein komplett offen lesbarer Dienst ist.

    Schönherr: Ganz genau. Viele sehen darin aber gerade die Stärke von Twitter. Bei Facebook haben nordafrikanische Regierungen ja erfolgreich versucht, Konten zu knacken, um persönliche Nachrichten zu lesen. Bei Twitter ist das gar nicht nötig. Man kann es auch Transparenz nennen.

    Kloiber: Gibt es eigentlich auch Tweets, die von den Twitter-Betreibern wieder gelöscht werden?

    Schönherr: Ja, das passiert, ganz ähnlich wie mit anderen sozialen Netzen auch. Wobei die Betreiber von Twitter in San Francisco bekannt dafür sind, auf Behördenanfragen nicht besonders willfährig zu reagieren. Aber im Oktober letzten Jahres wurde erstmals ein deutsches Twitter-Konto gesperrt. Dahinter steckte eine rechtsradikale verfassungsfeindliche Gruppe in Hannover. Juristischer Hintergrund war: Die Gruppe war verboten worden, und nationalsozialistische Parolen sind im deutschen Internetraum, also auch in Twitter, gemäß Landesrecht natürlich verboten. Gegen die Herausgabe der Identitäten der WikiLeaks-Kerngruppe an US-Ermittlungsbehörden hat sich Twitter bislang immer noch mit Erfolg gewehrt.

    Kloiber: Twitter ist in Deutschland bekannt, das kann man sagen, wird aber vor allem von Medien und sogenannten Aggregatoren genutzt, und weniger von Privatleuten. Ist das Tweeten auch eine Mentalitätsfrage?

    Schönherr: Twitter gibt keine Mitgliederzahlen, auch keine Statistiken bekannt. Aber, so der Sprecher des winzigen deutschen Twitterbüros in der Mitte Berlins: Es ist auffällig, meint er, dass die Südeuropäer mehr twittern als die Deutschen. In Deutschland befände man sich in einer "Wahrnehmungs- und Aufbauphase". Ich war vor drei Wochen auf einer Veranstaltung in Worms, da ging es um das Twittern und Facebooken. Und ich hatte den Eindruck, die Leute – das waren richtige Entscheider von Museen und von Touristenbüros – hatten gar keine richtige Ahnung, wie sie es einsetzen. Viele kannten das auch gar nicht so genau.

    Kloiber: Was lesen Sie eigentlich in Twitter?

    Schönherr: Ich folge zum Beispiel dem Internetaktivisten Jacob Appelbaum oder BBC Radio 4. Und obwohl ich nur 40 Leute oder Einrichtungen abonniert habe, schneit alle drei, vier Minuten ein neuer Tweet herein. Ich habe mir letzte Woche ein E-Book gekauft, weil ich einen Tweet darüber gelesen hatte. Bei Twitter kann man Kurztexte und weiterleitende Links hochladen und auch Bilder. Und es gibt durchaus Beispiele, wo die Presse solche Bilder verwendet, weil die Twitter-Leute früher da waren. Und Ende letzten Jahres übernahm Twitter das Startup-Unternehmen Vine. Mit Vine kann man vom Smartphone aus Superkurze Videos zu Twitter hochladen.

    Kloiber: "Superkurz" heißt dann konkret was?

    Schönherr: Sechs Sekunden. Das passt ja irgendwie zu den 140 Textzeichen. Und wenn man meint, in sechs Sekunden kann man keine Nachricht überbringen, irrt man. Die App – und Vine gibt es nur als App – liegt in der Beliebtheit sehr weit oben.

    Kloiber: Twitter will ja an die Börse. Das "Wall Street Journal" sprach von einem Wert in einigen Milliarden Dollar Höhe. Rechnet sich die Plattform?

    Schönherr: Das ist noch unsicher. Aber das Marketing funktioniert in den USA ganz gut und wird jetzt auch in Deutschland eingeführt, hat Twitter gerade gestern gemeldet. Vor allem wird hier das Second Screen Marketing wichtig werden. Das heißt, ich bin am Fernseher – das ist mein First Screen, der erste Screen -, ich bin am Smartphone, das ist mein zweites. Ich sehe etwas, und dann wird mir zielgerecht eine Werbung zugeschustert.

    Kloiber: Zielgerecht wird natürlich dann heißen, dass Sie thematisch auch zu meinen Tweets passt.

    Schönherr: Ganz genau.

    Kloiber: Und die Werbung werden Sie natürlich ausschlagen?

    Schönherr: Natürlich.