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Schnittstellen

Wer sagt, daß sich Postmoderne und Fortschrittsgläubigkeit gegenseitig ausschließen? Über dem "postmoderne Weltbild", das der Kunsthistoriker, Literaturwissenschaftler und Medientheoretiker Gerhard Johann Lischka entwirft, flattert sie jedenfalls immer noch, die Fahne der Befreiung, mit der die von den Postmodernen aufs Altenteil geschickte Moderne einst der Zukunft entgegenstürmte.

Stefan Fuchs |
    Tatsächlich gibt es neben dem zynisch resignativen Flügel des postmodernen Denkens à la Baudrillard auch eine Postmoderne, die vor freudiger Zukunftserwartung geradezu bebt. Von Vilém Flusser bis Peter Weibel glaubt man fest daran, Virtualisierung ließe sich als Instrument der Befreiung nutzen, mit Cyberspace und medialer Vernetzung könne endlich die Last der Geschichte und des Körperlichen abgeworfen werden, das paradiesische Zeitalter der grenzenlosen Selbstinszenierung des Individuums habe begonnen. In der schönen neuen Welt des Informationszeitalters sollen die Menschen sich selbst 'In-Form' bringen, spielerisch leicht ihre Identitäten und Weltbilder wechseln und die eigenen Lebenswelten bereisen wie eilige Touristen auf dem Wochenend-Erlebnistrip. "Ich denke, daß via Internet und anderen neuen Medienverbundnetzen und Strukturen sich wirklich ein befreiter Umgang auch mit Information ergeben könnte", so Gerhard Johann Lischka. "Das heißt, wenn jeder die Information, die wirklich für ihn interessant ist, wiederum so modulieren kann, respektive verstärken kann, oder dimmen kann, daß am Schluß sein Weltbild durch ihn als Mediator erstellt wird, da wär das Internet jetzt mein Zauberwort. Was mich interessiert, ist, daß wir uns in den Medien selber tummeln können, wie ehemals Gladiatoren, um uns in den Medien selber zu definieren und nicht vom Strom der Medien weggeschwemmt zu werden, weil wir ja alles irgendwie mediatisieren müssen, wir kommen ja gar nicht drumherum. Und je mehr das natürlich der Fall ist, je mehr entsteht Interaktivität in einem positiven Sinn, Intermedialität dadurch, daß ich meinen Körper mit einem Medium entsprechend in Vermischung bringe, und daß ich als Mediator nachher über mein Weltbild verfüge."

    Grundlage dieser optimistischen Einschätzung des technologischen Quantensprungs der Gegenwart ist auch bei Gerhard Lischka die Übertragung von Vorgängen der informationsverarbeitenden Technik auf die menschliche Wahrnehmung. Der zentrale Begriff seiner konstruktivistischen Erkenntnistheorie taucht bereits im Titel des Essays auf. "Schnittstelle" heißt bei Gerhard Lischka, was Vilém Flusser "Projekt" nennt. Und tatsächlich, wenn man wie der Autor das menschliche Bewußtsein als "Schnittstelle" begreift, löst sich das starre und cartesianische Visavis von Subjekt und Objekt wie von Zauberhand berührt auf, verschmelzen Betrachter und Betrachtetes in einer innigen medialen Inszenierung. Lischka dazu: "Schnittstelle meint für mich sowohl das Interface als Tastatur oder als Monitor als auch letzten Endes, was in unserem Hirn passiert, selbst was unsere Finger noch zu fühlen imstande sind, das heißt eine Synapse ist auch eine Schnittstelle. Und je mehr heute neuronal geforscht wird, je mehr weiß ich auch, wie im Gehirn was zustandekommt und daß eine Schnittstelle eine unglaublich dynamische Sache ist. Das heißt, es geht vom Geist zum Körper und zurück, was letzten Endes Schnittstelle bedeutet ich möchte es fast als philosophischen Grundbegriff verwenden. Und ich war selbst überrascht, als ich das Buch schrieb, daß die Untertitel "Körper, Räume, Zeiten" letzten Endes nichts anderes sind als das Drama des Lebens. Es ist fast eine aristotelische Dramentheorie. Das heißt, wir handeln mit unserem Körper in Räumen, in gewissen Zeiten und somit wird natürlich dann der Schnittstellenbegriff sehr weit. Es ist dann eigentlich die Szene, in der sich unser Leben abspielt."

    Menschliche Existenz nach dem binären Muster der Interaktion von User und Computer, Erfahrung als Abruf kodierter Informationen über Datenleitungen, Identität als lässig professioneller Umgang mit den Design-Elementen unterschiedlicher Lebensstile: ist der Autor da bei aller postmodernen Bereitschaft, sich auf Komplexität einzulassen, nicht doch dem reduzierten Weltbild der Medien erlegen? Das Schnittstellen-Modell verwandelt den in der analogen Welt immer noch harten Zusammenprall von Innen und Außen, von Körper und Geist, von Identität und Fremdem in eine Art Anschlußbuchse. Man klinkt sich ein, und alle Differenzen lösen sich auf im kontinuierlichen Fließen des digitalen Datenstroms. "Wir kommen wahrscheinlich nie um diesen Urantagonismus herum, daß es einen Körper gibt und einen Geist und ein System und eine Umwelt. Das heißt, das ist typisch Schnittstelle, daß im selben Moment, wo das eine ist, auch das andere eigentlich vorhanden ist, und daß wir uns entscheiden müssen. Diese Entscheidung wird zum Teil über uns gefällt, aber ich denke, wir sind um so freier, je mehr wir selber unsere Entscheidung treffen können. Und dann ist es letzten Endes sogar eine Lebenshilfe und Philosophie wäre dann, auch ein weiser Entscheid zu etwas, somit ist die ganze Schnittstellentheorie, die ich hier zu entwickeln versuche, natürlich auch eine Befreiungsphilosophie."

    Möglichst frei entscheiden über die Art seiner Lektüre soll nach dem Willen des Autors auch der Leser der "Schnittstellen". Postmodernen Kriterien der Freiheit von der unerträglichen Schwere des altmodernen Denkens gehorchen auch die Textstrukturen des Essays selbst. "Die Absicht ist, daß man ins Buch hineinlesen kann, wo man möchte, das heißt, daß eigentlich nicht mehr die alte Folge von vorne nach hinten zu lesen die Absicht war. Das wird auch ausgedrückt mit den Zitaten, die ja sehr ergiebig sind, das heißt, das sind die zentralen Stellen von Definitionen, von Begriffen von anderen Autoren, und dieser "Polylog" ist für mich das Wesentlichste überhaupt. Und zwar deshalb, weil wir ja erkennen müssen, daß alles, was wir wissen, von anderen Leuten kommt. Ich tendiere also hin zu einem befreiten Umgang mit Denken, und somit ist das Buch natürlich auch eine Art konzeptuelles Buch, wo ich möglichst wenig Text schreibe, aber der Text so elaboriert sein sollte, daß jemand auch Freude und Lust hat, ihn zu lesen. Das heißt, er ist nicht nur ein wissenschaftlicher Text er soll auch ein poetischer Text sein. Und dieses poetische Moment ist für meine ganze Arbeit ein durchgehender Strang."

    Gerhard Lischkas essayistische Annäherung an die Vorhut zeitgenössischen Denkens verhilft dem aufmerksamen Leser zu überraschenden Einsichten. Weniger allerdings durch die zuweilen brillanten Apercus zur postmodernen Alltagswelt von Gentechnologie bis Graffitti oder die labyrintischen Anmerkungen, die als "Polyloge" den Text zu überwuchern drohen. Das Wesentliche steht zwischen den Zeilen. Postmoderne ist weniger Weltbild als Lebensgefühl. Dazu paßt der betont spielerische Ton, das freie Fluktuieren vom Metaphorischen zum Analytischen und nicht zuletzt der andere Umgang mit der Janusköpfigkeit der Dinge. War Ambivalenz in der Altmoderne eine ernstzunehmende Drohung, ein erkenntnisförderndes Folter-Instrument, so kann man sie jetzt in vollen Zügen genießen. Für diese euphorische postmoderne Grundstimmung wird dann sogar im elektronisch abgeriegelten Nirgendwo der internationalen Großflughäfen eine Art Utopie der multikulturellen Weltgesellschaft sichtbar. "Dieses Dazwischen wird dort ja virulenter denn überall auf der Welt", so Lischka. "Vielleicht auch durch diese Sicherheitsschranken im abgeriegelten utopischen Bereich. Es ist faszinierend zu merken, wie sich die Rassen plötzlich verstehen oder mischen, wie es doch auch klappen kann. Alle haben ein Ziel vor Augen, möchten sich bewegen und bewegt werden, auch dank der Technik - über Kontinente verschoben. Ich finde das ein schönes Bild für die Möglichkeit eines anderen Umgangs miteinander. Und ich glaube, wenn die ökonomischen Gegebenheiten so verteilt wären, daß es nicht Armut gäbe, könnte dank der Technologie in einem ganz positiven Sinne eine Weltgesellschaft entstehen."