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Schnupfen für die Psyche?

Medizin. – Bereits vor einigen Jahren sorgten Forscher des Robert-Koch-Instituts in Berlin mit ihrer Hypothese für Furore, dass möglicherweise Viren für manche Depressionen verantwortlich sein könnten. Damals war in der Fachwelt der Zweifel an der Idee, man könne sich eine Depression einfangen wie einen Schnupfen, groß. Jetzt aber veröffentlichten japanische Wissenschaftler im Fachmagazin ''Proceedings of the National Academy of Sciences'' einen Artikel, demzufolge die Hypothese der Berliner Kollegen möglicherweise durchaus nicht mehr so absurd erscheint.

08.07.2003
    Von Volkart Wildermuth

    In der Garnisonsstadt Borna kam es im 19. Jahrhundert zu einer Epidemie bei Pferden. Die Tiere zeigten ein völlig verändertes Verhalten, ihre Bewegungen wurden unsicher, sie traten um sich, später schienen sie antriebslos, am Ende starben sie, weil sie nicht mal mehr fressen wollten. Schuld an der Gemütsveränderung der Pferde war ein Virus, das später nach der Garnisonsstadt Bornavirus getauft wurde. Auch Menschen werden von Bornaviren attackiert, allerdings führt das Virus hier nur selten zu akuten Beschwerden. Mit neuen, empfindlichen Tests lassen sich Spuren einer Bornainfektion aber bei jeder vierten Person nachweisen. Unter depressiven Patienten ist dieser Anteil deutlich höher, fast zwei von drei Patienten sind infiziert. Dr. Liv Bode vom Robert-Koch-Institut in Berlin konnte vor einigen Jahren zeigen, dass der Zusammenhang zwischen dem Bornavirus und der Depression sogar noch enger ist.

    Die wichtigsten Hinweise aus der letzten Zeit stammen eigentlich aus den Befunden, dass wir Virusaktivität, die wir im Blut messen können, korrelieren können mit depressiven Episoden, sogar mit der Stärke der depressiven Episoden und dass man den Eindruck haben könnte, dass es wirklich auch ein pathologischer Faktor ist für die Erkrankung.

    Einen wichtigen Hinweis, dass das Bornavirus tatsächlich eine wichtige Rolle im Krankheitsgeschehen spielt, liefern jetzt Experimente an der Universität von Osaka in Japan. Dort hat Dr. Keizo Tomonaga mit Hilfe der Gentechnik Mäuse erzeugt, die in bestimmten Zellen des Gehirns einen Baustein des Bornavirus bilden. Und diese Mäuse leiden sozusagen unter dem Nager-Gegenstück einer psychiatrischen Erkrankung.

    Die Mäuse, die den Virusbaustein im Gehirn bilden, sind aggressiver, sie sind ständig in Bewegung und haben ein schlechtes räumliches Gedächtnis. Ihr Verhalten ähnelt den Tieren, die mit dem Virus infiziert sind.

    Keizo Tomonaga würde nie sagen, dass seine genmanipulierten Tiere depressiv oder schizophren sind. Aber die Ergebnisse zeigen doch, dass schon dieser Baustein des Bornavirus ausreicht, um deutliche Veränderungen im Verhalten auszulösen. Das stärkt die These, dass Bornaviren beim Menschen zu psychischen Störungen führen können. Dabei ist es offenbar nicht so, dass das Virus Nerven zerstört oder eine schwere Entzündung auslöst. Solch massive Veränderungen waren auch in den Gehirnen der genmanipulierten Mäuse nicht nachzuweisen.

    Deshalb glauben wir, dass der Baustein des Bornavirus die Hilfszellen des Gehirns beeinträchtigt. Dadurch werden weniger Wachstumsfaktoren gebildet, es gibt weniger Verbindungen zwischen den Nerven und dass führt zu Verhaltensveränderungen bei den Mäusen.

    Der Baustein des Bornavirus führt zu ganz subtilen Veränderungen der Gehirnfunktion. Bei den Mäusen von Keizo Tomonaga war insbesondere die Wirkung des Botenstoffs Serotonin beeinträchtigt, der schon lange mit Depressionen in Zusammenhang gebracht wird. Liv Bode sieht sich durch die Ergebnisse aus Japan bestätigt.

    Es ist noch nicht bewiesen, aber es spricht eine ganze Menge dafür, dass es sich nicht um eine strukturelle Störung handelt, also keine Zellen zerstört werden im Gehirn, sondern dass das Funktionieren der Kommunikation der Nervenzellen im Gehirn gestört wird, wenn das Virus aktiv ist. Das bedeutet jetzt natürlich nicht, dass wir jetzt denken, das Virus ist der alleinige Faktor, so etwas würde ich persönlich nicht annehmen, ich denke aber, dass es ein wichtiger Punkt ist in dem gesamten Geschehen einer solchen multifaktoriellen Erkrankung.

    Depressionen haben viele Ursachen, genetische Veranlagungen, traumatische Kindheitserfahrungen, Stress. Eine Infektion mit Bornaviren könnte bei sowieso gefährdeten Menschen den Ausbruch der Symptome auslösen. Das ist nicht nur von theoretischem Interesse. Mit einem alten Grippemittel lässt sich eine Bornainfektion gut behandeln. Experimente an Pferden und klinische Beobachtungen an Menschen deuten darauf hin, dass dieser Wirkstoff auch eine Depression bessert, wenn die Patienten denn Zeichen einer aktiven Bornainfektion zeigen. Derzeit läuft an der Medizinischen Hochschule Hannover eine klinische Studie, die endgültig klären wird, ob sich das Mittel gegen das Bornavirus tatsächlich auch zur Behandlung der Depression eignet.