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Schockierende O-Töne

Theaterautor Dirk Laucke hat sich für sein Stück "Angst und Abscheu in der BRD" rechte und linke Ideologie-Reflexe und ihre Überschneidungen vorgenommen. Im Teatro Oberhausen erlebten die Zuschauer eine wilde Collage aus Interview-Zitaten, die ans Eingemachte gehen.

Von Dorothea Marcus | 22.10.2011
    Dirk Laucke war in Bayern und hat Freikorps-Fans und NS-Verbrecher interviewt, die von der Nachbarschaft verharmlost werden. Er war in Dresden, wo auch bei Anti-Nazi-Demos lieber der Dresdener Zerstörung im Zweiten Weltkrieg gedacht wird. Er war in Köln, wo in linken Pro-Palästina-Projekten Juden als Kinderkannibalen antisemitisch verunglimpft werden. Und bei vielen mehr.

    Auf der Bühne merkt man allerdings nicht, welches Interview von welcher Gruppierung stammt. Bewusst haben sich Dirk Laucke und Matthias Platz zwar einer dokumentarischen Methode bedient, aber nie ihre Quelle erwähnt - um das Verschwimmen der Ideologien zu beweisen, in denen sich der Faschismus ohne Probleme mit dem Antikapitalismus mischt. Das führt im Theater zur großen Verwirrung und gewollten Überforderung.

    Zwischen drei vollgestopften Bücherregalen, die wahlweise zu Radiostudios, Bildschirmen oder Gelehrtenstuben umfunktioniert werden können, eröffnet ein Moderator die Show namens "Angst und Abscheu in der BRD", auf der Suche nach den Ideologien des 21. Jahrhunderts. In dieser Sendung treten dann auf: zwei sogenannte Gonzo-Journalisten, die also dem Neuen Subjektivismus frönen, also bewusst interessegeleitet und nicht objektiv. Der eine ist eher der aktionistische Boulevard-Aufheizer, der andere der moralische Zeigefinger vom Dienst. Zusammen sind sie zwei ironische Repräsentanten des realen Rechercheteams.

    "Guten Tag mein Name ist Thomas Zaunmüller."
    "Nehmen Sie auf?"
    "Sie stehen jetzt hier, um Ihren Protest gegen die Rechten auszudrücken? Ja?"
    "Das - und für das Gedenken an unsere Bombennacht! Und wissen Sie was, ich freu mich,
    dass die Kette über - ich sag ihnen was: Die Neonazis haben gebrochene Herzen, und deswegen sind sie rechts geworden."

    Armes, unheimliches Deutschland. Verharmlosung des Nationalsozialismus gibt es hier allerorten, das spricht aus nahezu allen Zitaten. In rasender Geschwindigkeit werden sie in der losen Rahmenhandlung als wüste Collage zusammengeworfen. Vier Schauspieler wechseln unaufhörlich die Rollen und sprechen die Interviews nach, die zuweilen direkt in die O-Töne übergehen und mal theaterkonform, mal kabarettistisch sind.

    Anja Holzer etwa ist abwechselnd Zarah Leander, Marlene Dietrich und eine Esoterikerin, die zum Schluss findet, dass man Kriege, Konzentrationslager und alle anderen Konflikte durch mehr Reden lösen sollte. Als Nazibraut in Kapuzenshirt und Springerstiefeln kann man sie nicht mehr von linken Autonomen unterscheiden - genauso wie die Ideologien verschwimmen, verschwimmen auch die Dresscodes.

    Der vierte Darsteller heißt "Fußnote", kommt daher wie ein Radiotechniker und erläutert den jeweiligen Überbau.

    Und zugleich ist der Abend auch eine Abrechnung auch mit der heutigen Demonstrationskultur, in der man am liebsten einfach nur an einem Krawall-Event beteiligt ist, weil endlich mal was passiert, ohne irgendwie inhaltlich interessiert zu sein - was ja ohnehin bei der Überflutung durch vermeintliche Informationen fast unmöglich ist. Passend blinkt an der Wand ein "Fuck"-Zeichen dazu.

    Und dann gibt es auch noch die Zitate, die ans Eingemachte gehen, wenn heutige 90-Jährige erzählen, wie jüdische Mädchen verschwanden und niemand nachfragte, oder Leichen von Juden am Wegesrand lagen und niemand sich kümmerte.

    Dirck Laucke hat seinen Interviewpartnern schockierende O-Töne entlockt - und doch hat es auch immer etwas Wohlfeiles, wenn Nachgeborene sich von Verhaltensweisen aus der Nazizeit distanzieren. Genauso, wie es letztlich sehr einfach ist, sich als Demonstrations-Gegner zu outen, als Kind jener heutigen verwirrten Generation, der jedes politische Ideal abhanden gekommen ist. Ein sympathisch vermessener Abend, der das Chaos zum Programm erhebt und zugleich ein politisches Lehrstück sein will. Schade, dass er dabei doch nur ganz an der Oberfläche bleibt.