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Schön aber giftig

Man kann sie im Garten pflanzen und zur Wettervorhersage nutzen: Die Paternostererbse lässt ihre Blätter hängen, wenn Regen naht, kommt schönes Wetter, stellt sie ihre Blätter senkrecht in die Höhe. Der Name hat übrigens seinen Ursprung darin, dass die leuchtend roten Samen früher zu Rosenkränzen verarbeitet wurden. Heute werden sie auch zu Schmuck verarbeitet, Gesundheitsprobleme habe es dabei bisher noch nie gegeben, so ein Anbieter. Vielleicht ist das pures Glück, denn der Samen der Paternostererbse ist hochgiftig.

Von Thomas Kruchem |
    "Dieser wunderschöne, aus Ostindien stammende Kletterstrauch", heißt es im Internet-Portal Ebay. "eignet sich ideal für Wintergärten oder Zimmerkultur. Sie erhalten fünf frische Samen, die für jeden Anfänger geeignet sind." - Die gleichen leuchtend roten Samen mit schwarzem Fleck offerieren neuerdings auch der Edel-Versender "manufactum" und "Contigo", eine Kette so genannter "fair trade"-Läden mit Sitz in Göttingen. Als Naturschmuck verkauft "Contigo" die Samen - aufgezogen auf Fäden aus gewachster Baumwolle. - Verlockende Angebote, die Experten allerdings die Haare zu Berge stehen lassen. "Die Samen der so genannten Paternostererbse, wissenschaftlich "abrus precatorius", sind Zeitbomben", meint Professor Michael Wink, Direktor des Instituts für Pharmazie der Universität Heidelberg.

    " Das Gift der Paternostererbse ist ein sehr starkes Stoffwechselgift. Wenn es in den Körper eindringt, kann es unter anderem die Protein-Biosynthese in den Zellen zerstören. Und das ist ein sehr elementarer Prozess. Wenn man diesen Prozess in der Zelle stört oder inhibiert, kommt es sehr leicht zu sehr starken toxischen Erscheinungen. Und letztendlich zählt das Abrin, so heißt der Giftstoff, zu den stärksten Pflanzengiften, die man überhaupt kennt. Man braucht etwa 0,01 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht, um einen Menschen umzubringen. "

    Anders ausgedrückt: Ein Gramm Abrin tötet 1,5 Millionen Menschen. Damit ist Abrin ein weit stärkeres Gift als das gleichfalls pflanzliche Rizin - jenes weiße Pulver, mit dem Terroristen schon ganz Amerika in Panik versetzt haben. Die Vergiftungssymptome von Rizin und Abrin ähneln einander.

    " Es gibt eine Magenschleimhautentzündung, es gibt Erbrechen, es gibt Durchfall, es kommt zu einer Blutentwicklung in den Darmzellen, was damit zusammenhängt, dass die ganzen Darm-Epithelien, Darmzellen, zerstört werden. Die zweite Stufe ist: wenn solche Gifte resorbiert werden, also in das Blut kommen, dass es zu Störungen der Blutgerinnung kommt. Und vor allen Dingen wird das das Gift insbesondere ins Auge transportiert. Und es führt zur Erblindung. "

    Die Möglichkeiten der Behandlung sind eng begrenzt.

    " Wenn die Giftwirkung eingetreten ist, hilft eigentlich gar nichts mehr. Gegengifte sind bisher nicht entwickelt worden. Das heißt: Zurzeit kann man davon ausgehen, wer sich vergiftet und eine höhere Dosis zu sich genommen hat, ist tatsächlich tödlich vergiftet. "

    Relativ sicher verpackt ist das Gift in der getrockneten und unbeschädigten Paternostererbse. Die Schale von Schmucksamen jedoch ist durchbohrt und kann durch längeren Körperkontakt porös werden.

    " Wenn’s langweilig ist, ist es sicherlich gut vorzustellen, dass jemand auf so einer Kette rumkaut, die Kette lutscht. Dabei gibt es mit Sicherheit eine Freisetzung der Giftstoffe. Die nächste Gefahrenquelle ist, dass so ein Samen in der Kette kaputt geht, dass man drauf tritt und dass dann ein Kind so was in den Mund steckt. Und das ist sicherlich die größere Gefahr. Und bei einem Kleinkind oder Säugling würde es bereits reichen, wenn ein oder zwei Samen gegessen würden; das Kind kann dran sterben. "

    Experte Michael Wink fordert ein Verkaufsverbot für die Paternostererbse, bevor es zu schlimmen Vergiftungsfällen kommt. Gefährdet sieht Wink überdies jene Frauen in Entwicklungsländern, die die giftigen Erbsen durchbohren und auf Fäden ziehen. "Fair trade"-Händler "Contigo" jedoch will die Erbse als Sommerschmuck weiter verkaufen - teilt Geschäftsführer Ingo Herbst mit. Produzieren lässt Herbst seine Samenketten in Kolumbien.

    " Von der Herstellung des Naturschmucks leben mehr als 200 benachteiligte Frauen in Bogota, zum größten Teil allein erziehende Mütter. Wir haben uns überzeugt, dass die Arbeit mit den Erbsen ungefährlich ist, wenn dabei die üblichen Hygiene- und Sauberkeitsmaßnahmen eingehalten werden. "