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Schöne, neue Computerwelt

Der amerikanische Bestsellerautor und New York Times-Redakteur Thomas L. Friedman hat sich einen Namen vor allem mit Publikationen über die Globalisierung gemacht hat. Auf einer seiner zahlreichen Reisen gewinnt er eines Tages die Erkenntnis 'Die Welt ist flach' - so der Titel des dickleibigen Bandes - und preist fortan die Segnungen der flachen Welt der Kommunikation, sprich der rasanten Entwicklung des Internets. Birgid Becker hat die Friedman-Vision unter die Lupe genommen.

Von Birgid Becker |
    Man sagt es nicht leicht über einen dreifachen Pulitzerpreisträger, aber dennoch: Thomas L. Friedman hat ein ziemlich dummes Buch geschrieben - zumindest bis etwa zur Hälfte. Kein langweiliges Buch, nein, Friedmans "Die Welt ist flach" ist trotz seiner fast 700 Seiten kurzweilig zu lesen.

    Friedman hat auch ein durchaus spannendes Buch geschrieben, was bei einem vorrangig ökonomischen Thema beileibe nicht selbstverständlich ist. Und: Thomas L. Friedman ist ein fleißiger Autor, sein Buch strotzt vor Details, es sprudelt nur so von wechselnden Schauplätzen. Eben erst eine aus dem Boden gestampfte Fabrik in China besucht, dann Erfahrungsaustausch mit der Ex-Chefin von Hewlett-Packard, um kurz darauf mit Freund Bill von der Johns Hopkins University über die Übertragung von Computertomographie-Aufnahmen via Internet zu plauschen, natürlich per Mail - Friedman zwingt den Leser auf eine wahrhaft rastlose Jagd kreuz und quer über den angeblich flach gewordenen Globus hinweg.

    Aber: Trotz Kurzweiligkeit, trotz Spannungsreichtum, trotz inhaltlicher Fülle - Thomas Friedman hat auf etwa 300 von 700 Seiten ein dummes Buch geschrieben, weil es den Leser für dumm verkauft. Beispiel: Gleich zu Beginn der "flachen Welt" beschreibt der Pulitzerpreisträger, wie er sich mit einem Kamerateam aufmacht ins indische Boom-Zentrum Bangalore. Ziel: Der Firmensitz eines Pioniers der Outsourcing-Ära - Infosys, ein Unternehmen, das verlängerter Arm amerikanischer und europäischer Multis ist.

    "Dorthin führt eine mit Schlaglöchern übersäte Straße, die sich unsere Wagen mit heiligen Kühen, Pferdekarren und motorisierten Rikschas teilten mussten. Doch sobald man die Tore von Infosys passiert hat, ist man in einer anderen Welt. Ein riesiger Swimmingpool liegt inmitten von Felsblöcken und gepflegten Rasenflächen, an die sich ein großer Golfplatz anschließt."

    Ganz harmlos und arglos kommt das daher. Schlaglöcher hier, Golfplatz dort, na, und? Sollte es den Leser nun aber interessieren, wie Friedman mit diesem Gegensatz umgeht, wie er ihn erklärt, ihn einordnet - Fehlanzeige. Über 300 Seiten hinweg fällt kein Wort zu den Gegensätzen, den Verwerfungen, den Unstimmigkeiten der angeblich "flachen" Welt. Im Gegenteil: Friedman zeichnet ein so hymnisches und stimmiges Bild der Welt der Bits und Bytes, wo alles zu jeder Zeit an jedem Ort möglich ist, dass es selbst dem globalisierungsfreundlichen, technisch aufgeschlossenen Leser unheimlich wird. Nein, Bill Gates ist eben nicht nur eine Lichtgestalt, nein, über Wal-Mart lässt sich mehr sagen als nur, dass es dort die ausgefeilteste aller Wertschöpfungsketten gibt, - nein, Friedmans schöne, neue Welt ist so schön, wie sie offenkundig falsch ist. Das muss er doch merken, denkt man, da muss er doch einhalten, muss korrigieren- und nichts geschieht, bis, nun bis sich der Verdacht einstellt, da wird der Leser für dumm verkauft! Wie kommt nun der Autor, dem frühere Bücher den Titel "Cheerleader" der Globalisierung eintrugen, zur Vorstellung, die Welt sei "flach" geworden? Die Theorie:

    "Die Plattform der flachen Welt ist das Ergebnis der Konvergenz des Personalcomputers (der es jedem Individuum plötzlich ermöglichte, eigene Inhalte im Handumdrehen in digitaler Form zu erstellen) mit dem Glasfaserkabel (das all diese Individuen plötzlich in die Lage versetzte, auf immer mehr digitale Inhalte aus allen Teilen der Welt fast kostenlos zuzugreifen) und der Ausbreitung der Workflow-Software (die es Individuen überall auf der Welt ermöglichte, gemeinsam an denselben digitalen Inhalten zu arbeiten, egal, wie weit sie voneinander entfernt sind)."

    Das ist Friedmans abstrakt gehaltene Erklärvariante für die "flache" Welt. Wahlweise gibt es auch ein andere, in der der Besuch eines Callcenters in Indien, in dem es unerhört amerikanisch zugeht, zu einer Art Erweckungserlebnis führt. Kühn schlägt Friedman eine Brücke vom Entdecker der runden Welt zur eigenen Existenz:

    "Kolumbus trat als großer Entdecker vor seinen König und seine Königin; was er über das Land berichtete, das er für Indien hielt, fand weite Verbreitung. Als ich nach Hause zurückkehrte, teilte ich meine Entdeckung allein meiner Frau mit, und auch das nur flüsternd. 'Ich glaube, die Welt ist flach'."

    Darauf muss man gefasst sein bei Thomas L. Friedman - zuweilen schreibt er, als hörte man Tom Hanks - beziehungsweise dessen Synchronstimme - sprechen. Sehr amerikanisch eben. Das muss man nicht mögen, kann man aber. Schwerer hat man es mit Friedman, wenn der sich als wahrer Meister der Oberflächlichkeit erweist. Im US-Radio gab Friedman seine Weltsicht so wieder - eine gekürzte Fassung dessen, was im Buch zu lesen ist:

    "Nun, wir haben drei große Phasen der Globalisierung hinter uns. Die erste würde ich mal mit 'Globalisierung Eins Punkt Null' bezeichnen, von 1492 bis um 1800. In dieser Zeit schrumpfte die Welt von Größe L zu Größe M, und das Besondere an dieser Phase war, dass einzelne Staaten diese Globalisierung betrieben, denken Sie an Spanien mit Amerika, Großbritannien mit Indien und Portugal mit Ost-Asien. Die zweite Phase war dann von 1800 bis 2000. Diese Phase ist also gerade vorbei. Hier möchte ich von 'Globalisierung 2.0' sprechen, die Welt schrumpfte von Größe M nach S. In dieser Phase sorgten Unternehmen für die Globalisierung durch die Faktoren 'Markt' und 'Arbeit'. Die Endphase dieser Zeit habe ich in meinem Buch 'The Lexus and the olive-tree' beschrieben. Was ich damals nicht bemerkt hatte: Wir waren gerade dabei, die Phase Globalisierung 3.0 zu erreichen. Und damit schrumpften wir die Größe der Welt von S Richtung 'winzig'. Und jetzt geht es nicht mehr um Staaten und Unternehmen, sondern um Individuen oder kleine Gruppen von Menschen. Und es sind nicht mehr ein paar weiße, westliche Gruppen, die die Globalisierung betreiben, es sind jetzt alle Individuen unter dem Regenbogen. Mehr Menschen aus allen Erdteilen können überall Dinge verhindern oder beschleunigen - in größerem Umfang als jemals zuvor."

    Schöne neue Friedman-Welt, in der Microsoft Pate steht, wenn die Zeitläufe wie Windows-Versionen bezeichnet werden und es jedem und allen besser geht, vorausgesetzt, `man ist drin´. Da stellt er sich wieder ein, dieser Verdacht, da werde der Leser für dumm verkauft. Denn wer nicht krampfhaft weite Bögen um jede Tageszeitung macht - oder, um in Friedmans Welt zu bleiben -, wer nicht panisch jeden PC mit Internet-Zugang flieht, weiß, dass es derzeit nur eine Hoffnung ist, dass die weltweite Internet-Gemeinschaft in der Lage sein werde, am Fundament autoritärer Regime zu kratzen und der Demokratie in der Welt zu neuer Blüte zu verhelfen - zugegeben eine schöne Hoffnung, aber eben nur eine Hoffnung. Dabei weiß es der Pulitzerpreisträger besser. Jenseits aller digitalen Seligkeit kommt natürlich auch Friedman nicht am 11. September 2001 - am traumatischen Datum nine-eleven - vorbei. Und selbst der notorische Technik-Optimist Friedman konstatiert, dass jene Plattform, die die Welt angeblich flacher macht, zugleich ein Handlungsfeld für Terror und Zerstörung eröffnet. Er weiß es also, die Technik steht nicht für sich, sie ist nur Werkzeug, sie kann zum Guten gebraucht werden oder zum Gegenteil. Warum Friedman über die Hälfte seines Buches so tut, als sähe er das nicht, bleibt sein Geheimnis. "Die Welt ist flach" hört etwa aber ab der Mitte auf, ein dummes oder verdummendes Buch zu sein - dann, wenn der "Cheerleader" Friedman abtritt und dem Autor Friedman das Wort übergibt - etwa, wenn es ganz zum Schluss heißt:

    "Die Welt wird immer flacher. Ich kann nichts dafür, und ihr könnt nichts dagegen tun, wenn ihr nicht der Entwicklung der Menschheit und eurer eigenen Zukunft schaden wollt. Aber wir können diesen Prozess mehr oder weniger gut gestalten."

    Ganz am Schluss haben wir dann doch die Wahl. Ganz am Schluss fällt endlich das Zauberwort vom Menschen, der gestaltet. Und das ist mehr als ein Mausklick.

    Birgid Becker über Thomas L. Friedman: Die Welt ist flach. Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts. Suhrkamp Verlag Frankfurt/Main 2006,712 S., 26,80 Euro