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Schöner essen: ''Die öffentliche Tafel''

Es soll Staatsgäste geben, die sich, leicht bestürzt, beim Bundespräsidenten darüber wundern, warum im Schloß Bellevue nirgends kaiserliches Tafelsilber ausgestellt sei und man nicht mit altem, kaiserlichem Besteck tafele. Nicht, dass man Hans Ottomeyer, dem Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin, irgendwelche retro-modischen Avancen unterstellen möchte. Es ist aus rein historischer Sicht schon auffallend, dass kein anderes europäisches Land seine höfische Vergangenheit derart aus der politischen Selbstrepräsentation verdrängt hat, wie Deutschland. Die komplexen Riten und Regeln des Tafelzeremoniells, die nur noch als schwacher Abglanz auf dem internationalen Parkett der Staatsbesuche wiederzufinden sind, sie gelten gerade hierzulande als altbacken-steif, autoritär-hierarchisch und einem modernen Staat als nicht angemessen. Natürlich hat das mit dem generellen Bruch mit allem Deutsch-Vergangenen zu tun, und irgendwie paßt dann doch eine solche Ausstellung in dieses heutige Berlin, wo man an die symbolische Wiedererrichtung des alten Stadtschlosses denkt, wo überhaupt alles ganz versessen zu sein scheint auf Restaurierung und Restituierung abgelegter Geschichten. Zu besichtigen ist hier nicht einfach ein erklecklicher Haufens edlen, höfischen Kunsthandwerks – sondern eine Art Tabu. Ganz unbefangen, natürlich. Diese Ausstellung, wiederholt Hans Ottomeyer, sei absolut kein kulturpolitisches Statement zu irgendwas.

    Tafelzeremoniell ist ein geschlossenes System, der kirchlichen Liturgie nicht von ungefähr verwandt, denn das war durchaus beabsichtigt: eine quasi-religiöse Legitimation von Macht musste gerade auch in einem öffentlichen Mahl demonstriert werden, und ohne Transzendenz lässt sich die scholastische Feinheit des Ganzen auch überhaupt nicht vorstellen. Kein Wunder daher das Interesse von Semiotiker Umberto Eco und Kultursoziologe Norbert Elias. Eine andere Welt öffnet sich, überaus pittoresk: In katholischen Ländern pflegte der Fürst täglich, in protestantischen Ländern Sonntags um 11 Uhr den Gottesdienst aufzusuchen. Danach war jeder aus dem Volk, der sich sauber zu kleiden verstand, eingeladen, der Tafel des Herrschers zuzuschauen, an der die Herrschaften in streng hierarchischer Sitzordnung gegen 12 Uhr mittags Platz nahmen. Das Volk blieb dabei jenseits einer bewachten Schranke und konnte sich offenbar schon am Spektakel satt sehen. Kleine musikalische Sequenzen begleiteten den ersten Schluck Wein des Fürsten, das Hereintragen des Hauptganges; die Pausen zwischen den einzelnen Gängen. Auftischen, Vorkosten, Vorschneiden und Servieren der Speisen und Getränke nahmen hohen Würdenträger vor. Truchsess und Mundschenk, später abgelöst durch den Hofmeister, waren Positionen von erklärtem Rang. Das Vorschneiden des Bratens war virtuose Disziplin, die ähnlich wie Fechten oder Reiten an fürstlichen Schulen, später an Universitäten gelehrt wurde. Ein Jüngling, der nicht zu tranchieren verstand, galt als nicht heiratsfähig. Tranchieren á l’Air, also mit einer zweizinkigen Gabel in der Luft, war Nagelprobe auf die Meisterschaft. Eine riesige Vitrine demonstriert in der Ausstellung die Sitzordnung. Weil das kostbare Tafelsilber des dänischen Hofes, das man für diesen Zweck leihen durfte, zu Weihnachten wieder am Hofe in Kopenhagen gebraucht wird, kann man diesen Teil nur in den nächsten vier Wochen in Berlin sehen. An der gegenüberliegenden Querseite des Tisches sind goldene Bestecke und Salzstreuer ausgelegt, dort säße theoretisch dann die königliche Familie. An der Seite ihr gegenüber befänden sich, mit Silberbesteck und einem Salzstreuer zum teilen, die nächst höheren Würdenträger. Zu den Kopfenden der Tafel hin werden die Ränge immer niedriger: ein wesentlicher Unterschied zwischen Zentraleuropa und Großbritannien, wo die höchsten Ränge und der König jeweils an den Kopfenden der Tafel sitzen. Prächtig verzierte Terrinen, Tranchier- und Vorlegemesser, Salzstreuer, Kännchen, Handwaschbecken, so genannte "Nefs", das sind prächtige Schiffsobjekte aus Gold und Silber, in denen das Besteck und der Salzstreuer des Tischherrn aufbewahrt wurden - oft lagen bei solchen Anlässen nicht geringe Teile des Staatsvermögens gut sichtbar auf dem Tisch. Weshalb man bis heute davon spricht, dass ein Staat als letzten Ausweg sein Tafelsilber verkauft. Besondere Anlässe wurden von Künstlern festhalten. Die Tafeln Kaiser Maximilians I. hat eine ganze Schar mittelalterlicher Künstler inspiriert. Vom Abendmahl über die Hochzeit von Kanaa bis hin zu bukolischen Andeutungen bei Napoleons Hochzeitsmahl von Alexandre Dufay findet man immer wieder religiös-mythologische Versatzstücke in den Gemälden der Zeit.

    Das letzte Tafelzeremoniell alten Stils, mit dem Zerlegen der Speisen vor den Augen des Kaisers, soll im Jahr 1906 in Budapest stattgefunden haben. Danach setzte sich europaweit, sofern nicht gerade fürchterlichste Kriege tobten, der "Service á la Russe" durch, bei dem die Speisen in bereits fertig vorgeschnittenen Portionen aufgetragen werden. Der von Speisen freibleibende Platz auf der Tafel wird mit großen Blumengestecken bestellt. Staatsbankette in aller Welt lehnen sich heute mehr oder weniger an diese neutralere Form an.

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