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Schöner sterben

Petra Maria Schnitzer als Isolde-Debütantin und Peter Seiffert als Tristan hatten ihre Premiere in Wagners "Tristan und Isolde" in Berlin - Buhrufe aus dem Publikum inbegriffen.

Von Mascha Drost |
    Man sollte eigentlich meinen, die Zeit der Publikumsskandale sei vorbei - heute wirft keiner mehr mit Schlüsselbunden um sich oder schlägt das Opernhaus kurz und klein wie noch vor 100 Jahren. Einen kleinen unterhaltsamen Nachgeschmack auf ein in Wallung gebrachtes Publikum bekam man allerdings gestern geboten. Zu Handgreiflichkeiten kam es zwar nicht - aber man geriet verbal scharf aneinander - und wenn eine gesetzte, paillettengeschmückte Dame lautstark das Recht für sich in Anspruch nimmt, den ersten Akt als "langweiligen Scheiß" zu bezeichnen - ein Recht, das ihr ein älterer Herr mit Fliege und Anzug empört absprechen wollte, dann weiß man - Oper ist alles andere als eine Kulturleiche.

    Gleich der erste Akt endete in einem Buh-Gewitter, nachdem er fast lautlos begonnen hatte - zart, geradezu keusch erklangen die ersten Töne des Tristan-Akkordes, schmerzliche Sehnsucht blühte auf, sacht, ganz behutsam um nicht zu früh zu viel Verlangen, zu viel Leidenschaft preiszugeben.

    Nach diesem wunderbar aufgebauten, spannungs - und seelenvollen Vorspiel ging der Vorhang hoch und gab den Blick frei auf ein langes Wohnzimmer. Isolde steht da im Brautkleid, Tristan, erst als Kind dann als Mann sitzt lethargisch auf dem Sofa - vor ihm ein Eichensarg. Der Tod fährt also mit, auf dem Schiff, dass im 1. Akt von Irland nach Kornwall segelt, aber nicht nur er - mit an Bord sind auch etliche eigentümliche Regie-Einfälle. Eine nackte Frau, die ab und zu durchs Bild läuft - soll wahrscheinlich ein Traum sein - , viele Männer, die anfangen Isolde zu belästigen, ein Liebestrank, der nicht getrunken sondern gespritzt wird. Zur nackten Frau gesellte sich im 2. Aufzug ein männlicher Akt mit Spaten und hob ein tiefes Grab aus - vielleicht für die vielen Merkwürdigkeiten auf der Bühne. Andererseits sollten die möglicherweise von einer Personenregie ablenken, die absichtlich oder unabsichtlich, so genau ließ es sich nicht feststellen - aus Tristan und Isolde ein nichtssagendes, miefig-piefiges Pärchen machte. Der Liebestaumel erinnerte in seinen unbeholfenen Bewegungen an Loriots "Liebe im Büro", und schließlich standen beide Händchen haltend an der Rampe - Musical lässt grüßen.

    Es war der 3. Aufzug, der das Bühnengeschehen halbwegs rettete - angesiedelt in einem Altersheim, wo ein siecher, parkinsonkranker Tristan, eingewickelt in eine Wolldecke, dem nahen Ende entgegendämmert. Einen solchen Helden gebrochen, vegetierend zu sehen, berührt ganz unvermittelt, macht ebenso wie eine ergraute, gealterte Isolde betroffen. Liebestod im Altersheim - das ist vielleicht nicht neu, aber dennoch poetisch.

    Moribund als Person - stimmlich aber voller Kraft war Peter Seiffert, einer der wenigen echten Wagner Tenöre heutzutage. Seine machtvolle Höhe und den dunklen Schmelz konnte er über die fünf Stunden Spieldauer fast durchweg unter Beweis stellen, bewundernswert gelang der große Monolog im 3. Aufzug - wuchtig, klanglich dennoch rund und ohne an die letzten Reserven zu gehen. Petra Maria Schnitzer als beeindruckende Isolde-Debütantin konnte was Klang und Ausdruck angeht, mit ihrem Geliebten mithalten - aber einige Töne im zweiten Akt forderten dennoch mehr, als sie an diesem Abend aufbringen konnte. Herausragend jedoch Kristinn Sigmundsson als König Marke, Jane Irwin gab eine warm, ausdrucksvolle Brangäne.

    Man kann Tristan vielleicht erotisch aufgeladener angehen, als es Donald Runnicles getan hat - aber was an dunkler Farbigkeit, verschwiegenen Empfindungen, geheimnisvollem Raunen aus dem Orchestergraben stieg war überwältigend. Eher Nachtstück denn ekstatische Raserei, auf verhangene Weise sinnlich. Jubel für Sänger, Orchester und Dirigenten - der stellte sich tapfer neben Regisseur Graham Vick, damit er im Buh-Sturm nicht vollends unterging.