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Schöpfer der Kompositbilder

Mit Arcimboldo verbindet man heute vor allem irritierende Kompositbilder, bei denen Köpfe und Kleider aus opulenten, zum Greifen naturgetreu wiedergegebenen Früchten und Pflanzen zusammengesetzt sind. Sorgfältig dokumentiert jetzt ein Katalog das Leben und Werk des Künstlers aus dem Geist der Spätrenaissance. Er gibt auch Aufschluss auf die Frage, wie der Wiener Hof auf den jungen Mailänder Arcimboldo aufmerksam wurde.

Von Andrea Gnam | 20.05.2008
    "Kapriziöse Einfälle, in denen er einzigartig auf der Welt ist", Staunen über seine "erlesene Erfindungskraft" und die "gelehrten Allegorien" bekam der Mailänder Künstler Arcimboldo von zeitgenössischen Schriftstellern bescheinigt. Gedichte wurden auf seine Bilder geschrieben und auf der Basis seiner Erzählungen eine - allerdings nicht immer zuverlässige - Lebensbeschreibung der Nachwelt überliefert.

    Dafür hatte Arcimboldo noch selbst Sorge getragen - zu Recht, denn die höfische Kunstbiografik versuchte aus politischen Gründen, ihn nach seinem Tod dem Vergessen anheim fallen zu lassen: In Karel van Manders 1604 erschienenem "Schilder Boeck" über die Kunst am Prager Hof wird Arcimboldo, obwohl noch keine zehn Jahre seit seinem Tod vergangen sind, nicht erwähnt.

    Dies hatte politische Gründe. Das Haus Habsburg sollte mit Rudolf II. in der Nachfolge des römischen Imperiums im Norden gefeiert werden. Das für den Hof so wichtige Wirken des Mailänders Arcimboldo, der mehr als zwei Jahrzehnte im Dienst der Habsburger in Wien und die letzten Jahre in Prag zugebracht hatte und vom Kaiser geadelt wurde, wird kurzerhand aus der Überlieferung getilgt: Die Überlegenheit des Nordens über den Süden sollte auch in der Kunst zum Ausdruck gebracht werden.

    Das Schaffen Arcimboldos verbindet man heute vor allem mit irritierenden Kompositbildern, besonders den Allegorien der "Vier Jahreszeiten", deren Köpfe und Kleider aus opulenten, zum Greifen naturgetreu wiedergegebenen Früchten und Pflanzen zusammengesetzt sind. Ein Bild aus dem Zyklus der vier Elemente, das Bild des Wassers, zeigt einen Kopf, der aus 62 erkennbaren Meeres- und Wassertieren gebildet ist. Die "Erde" ist aus Säugetieren kompiliert. Sie wurde von Zeitgenossen auch als Herrscherallegorie gedeutet, da Lamm und Löwe, die die Brust bilden, als Hinweise auf das Haus Habsburg verstanden werden.

    Exotische Tiere konnte Arcimboldo in der kaiserlichen Menagerie studieren, sowohl Maximilan II. als auch sein Nachfolger Rudolf II. hielten sich Tiere aus aller Welt. Und Arcimboldo unterstützte Rudolf nicht nur als Kunstberater, sondern auch beim Ankauf von "Tieren und Wundervögeln".

    In einem sorgfältig dokumentierten, bei Hatje Cantz erschienenen Katalog wird Leben und Werk Arcimboldos aus dem Geist der Spätrenaissance deutlich, und fehlende oder zweifelhafte Glieder in der Überlieferung werden aus historischen Quellen rekonstruiert.

    Drei Gegenstände geraten dabei intensiv in den Blick: Herkunft und Anfänge seiner Tätigkeit als Maler, die Frage, wie der Wiener Hof auf den jungen Mailänder Arcimbolodo aufmerksam wurde und die Bedeutung der kaiserlichen Kunstkammern für sein Werk.

    Arcimboldo entstammte nicht, wie eine Zeit lang mutmaßt wurde, einer gleichnamigen noblen Mailänder Familie, sondern er war der Sohn eines Malers. Gemeinsam arbeiteten Vater und Sohn an Entwürfen für die Glasfenster des Mailänder Doms, wie sich aus Zahlungsanweisungen der Dombauhütte belegen lässt. Der junge Arcimboldo war bei der Ausrichtung einer Hochzeit aus Adelskreisen beteiligt, hierbei könnte er das Interesse des Wiener Hofs auf sich gezogen haben.

    Auch in Wien war Arcimboldo zunächst für Erfindungen und Feste zuständig und übte sich, ähnlich wie Leonardo, in der Inszenierung von Spektakeln. Der Hof indes bot durch seine Kunstkammern, in denen neben "Artificalia" auch "Naturalia" wie Tierskelette, Mineralien und Pflanzen, zusammengetragen wurden, reichlich Material für Naturstudien. Die am Hof, aber auch in den späten Mailänder Jahren entstandenen Kompositbilder le-gen davon Zeugnis ab.

    Der Katalog zeigt, soweit dies heute möglich ist, die große Spannweite in Arcimboldos Schaffen: Skizzen für Kostüme, Illustrationen zur Seidenraupenzucht, Entwürfe für Glasfenster und Tapisserien, Gemälde und Überlegungen zur Zuschreibung strittiger Bilder sind zu finden.

    Kompositbilder, aber auch Umkehrbilder, wie etwa das Bild eines Fruchtkorbs - das, dreht man es um 180 Grad, einen Kopf erkennen lässt - spiegeln die Freude der Spätrenaissance am Rätselhaften und Mehrdeutigen. So sind die beiden Lesarten, die im Katalog vorgestellt werden, durchaus nicht so konträr, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mögen.

    Die eine Auslegung betont die politische Tiefendimension hinter dem Grotesken, besonders beim "Vertumnus", einem Spätwerk Arcimboldos, das Kaiser Rudolf als Gott der Jahreszeiten und des Wandels darstellt und das Rudolf zusammen mit einer Deutung des Dichters Comanini übersandt wurde. Dieser stellte eine Verbindung zwischen der Wiederkehr und Harmonie der Jahreszeiten und dem "Goldenen Zeitalter" der Habsburger Herr-schaft her.

    Spätere Kommentatoren rückten das Verschieben des Blickpunkts, die Irritation des Betrachters ins Zentrum ihrer Überlegungen. Aus Arcimboldos Bildern spricht uns der Geist der Spätrenaissance an: Als gelehrtes Spiel sind sie Ausdruck einer Kultur, die Sinnenfreude und Kombinatorik mit Raffinesse zu verbinden weiß.

    Sylvia Ferino-Pagden (Hg.): Arcimboldo 1526-1593
    Hatje-Cantz, Ostfildern 2008, 320 Seiten, 385 Abbildungen, 39,90 Euro