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Schöpfer neuer Klang- und Krachwelten

Seine Songtexte notierte Jimi Hendrix auf Servietten oder Streichholzschachteln. Trotzdem waren sie häufig noch zu lang und mussten von seinem Manager bearbeitet werden. Die Autoren und Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit und Rainer Höltschl wollen vor allem die Intensität in Worte fassen, die in Stücken wie "Purple Haze" oder "Foxy Lady" steckt.

Von Tobias Lehmkuhl |
    Vorschlag für Anmoderation: Seine Songtexte notierte Jimi Hendrix meist auf Servietten oder Zündholzschachteln, trotzdem waren sie, wie Klaus Theweleit und Rainer Höltschl in ihrer nun erschienenen Jimi Hendrix-Biographie berichten, häufig noch zu lang. Also betätigte sein Manager sich auch als Lektor und strich sie zusammen. So etwas weckt natürlich die Aufmerksamkeit von Philologen, wie Theweleit und Höltschl es auch sind. Kein Wunder also, dass sie sich ausführlich mit den Lyrics von "Manic Depression" oder "Bold as Love" widmen. Was die neue Lebensbeschreibung sonst noch zu bieten hat, hat Tobias Lehmkuhl für uns herausgefunden.

    "Er stürzte sich auf mich mit der Grazie eines Mississippi-Holzfällers, der sich nach zehn Stunden in der Sonne über einen Teller Gemüse hermacht. Aber er war auch im Bett erfinderisch. Eine Zugabe nach der anderen … schnell und heiß wie seine Musik. Manchmal dachte ich, er nimmt mich auseinander wie eine Gitarre auf der Bühne."

    Klaus Theweleit und Rainer Höltschl zitieren in ihrer Jimi Hendrix-Biographie so manches Groupie, so manche vermeintliche Freundin des großen Gitarristen. Und zu Recht stellen sie die Frage, wie viel an diesen Aussagen dran ist, wie viel Erfindung, wie viel Legendenbildung. Glaubt man allerdings all den Blonden und Brünetten, dann hat Hendrix während der gerade einmal 28 Jahre, die er auf Erden weilte, nicht nur in musikalischer Hinsicht Überirdisches geleistet. Doch zum Glück gilt das Interesse der Autoren weniger dem charismatischen Star, als vielmehr dem einzigartigen Gitarristen und Sänger, dem Schöpfer neuer Klang- und Krachwelten.

    "Er macht einen anderen Gebrauch von diesen Geräten. Sie sind ihm nicht nur Verstärker der Gitarre, sondern Amplifier des Wunsches nach einer anderen Galaxie; Verstärker seiner Ausbruchssehnsucht, Raumschiffe zu einer anderen Körperbasis, von der aus die Electric Skies zu erreichen sind."

    Theweleit und Höltschl scheuen die Metapher nicht; geht es ihnen in ihrer Hendrix-Biographie doch keineswegs um die kühle Analyse seiner Werke. Sie wollen vor allem die Intensität in Worte fassen, die in Stücken wie "Purple Haze" oder "Foxy Lady" steckt. Dass es dabei mitunter auch quasi-philosophisch zugeht, stört nicht, im Gegenteil, wer sich unter den vielen Hendrix-Biographien auf dem Markt für die der beiden Geisteswissenschaftler entscheidet, der wird ein paar allgemeinere Überlegungen zum Wesen der Musik zu schätzen wissen.

    "Ein dritter Körper entsteht auch da, wo die Schallwellen eines Lautsprechers mit den entgegenströmenden Wellen der eigenen Körperlichkeit intensiv zusammenstoßen und sich verbinden zu einer neuen Materialität im Raum."

    Den Hauptteil der Biographie nimmt aber tatsächlich das äußere Leben des Jimi Hendrix ein, die unglücklichen familiären Verhältnisse, denen er entstammt, sein erst zäher Werdegang, dann der rasche Aufstieg und sein rasantes Verglühen. Kenntnisreich beschreiben Theweleit und Höltschl dabei den Musikbetrieb der sechziger Jahre, erklären instruktiv den technischen Einfallsreichtum des Gitarristen und erläutern den tödlichen Teufelskreis aus Aufputsch- und Schlafmitteln, an dem Hendrix zugrunde ging.

    "Er hielt sich wach mit Amphetaminen, um üben zu können, spielen, spielen. Schlafen, wenn es nicht mit einer Frau war, war reine Zeitverschwendung. Mit diesem Gefühl liefen eine Menge produktiver Menschen rum Ende der Sechziger. Der Schlaf stahl einfach ein Drittel der wunderbaren Tage. Macht man das länger, macht man das öfter, rebelliert der schlaflos gehaltene Körper. Er verweigert sich dem Schlaf. Es geht nur noch mit einer Gegenchemie."

    Die Schuld an seinem frühen Tod geben die Autoren übrigens all den an ihm zerrenden, ihn zerreißenden Geliebten, und vor allem machen sie seinen Manager verantwortlich. Der habe ihn ausgepresst, "bis Blut kam". Dass Hendrix auch selbst Anteil hat an seinem tragischen Unglück hat, glauben Theweleit und Höltschl nicht, dafür sehen sie ihn zu sehr als ganz und gar der Musik verschriebenen, als einzig von den Möglichkeiten der Gitarre besessenen Zauberkünstler. Das ist wahrscheinlich ein etwas zu romantisches Bild, aber wen stört das schon, wird es doch von zwei Liebenden gezeichnet.

    Klaus Theweleit, Rainer Höltschl: Jimi Hendrix. Eine Biographie.
    Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 254 Seiten, 17,90 Euro.