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Schöpfung im Tupfenstil

In der Schau "Traum der Wüste" zeigt das Ulmer Museum Bilder der australischen Ureinwohner. Da die Symbolik der Aborigines dem europäischen Betrachter meist verschlossen bleibt, erklärt das Museum den Besuchern die einzelnen Zeichen.

Von Christian Gampert |
    Die Bilder der australischen Aborigines haben suggestive Farbwirkungen und zeigen seltsame, nicht-gegenständliche Muster; der europäische Betrachter wird sich an Paul Klee erinnert fühlen und vielleicht auch an den Pointillismus, aber natürlich ist alles ganz anders: Diese großformatigen Bilder erzählen Geschichten, verschlüsselte Geschichten.
    Die Aborigines sind eine nomadische Kultur, die seit 40.000 Jahren in der australischen Wüste lebt und ihre Identität durch mündliche Überlieferung, durch Gesänge und eben durch den Akt des Malens bewahrt.

    Ursprünglich wurden diese Bilder in den Sand gemalt (und dann wieder vom Winde verweht), und entsprechend erdverbunden sind heute noch die Farben: Schwarz, Beige, Braun, Weiß, Ocker, Gelb. Erst, als ab den 1960er-Jahren westliche Lehrer und Ethnologen die Maler anregten, ihre Bilder zwar, wie gehabt, auf dem Boden, aber auf Leinwand zu fertigen, oft mit Acrylfarben, wurden die vielfältigen Motive aufbewahrt – natürlich mit der Konsequenz, dass sich sofort westliche Käufer fanden. Und bei den Kunstproduzenten auch jede Menge modischer Trittbrettfahrer.
    Es gibt eine sogenannte "klassische" Phase in den 1980er-Jahren, als Aborigine-Künstler sehr viel produzierten – weil es auf einmal ein Interesse, einen Markt gab. Auch die Sammlung des amerikanischen Mäzens Donald Kahn, die in Ulm ausgestellt ist, entstand Ende der 80er- Jahre. Was auf den Bildern aber gezeigt wird, ist eigentlich geheim – und es wird von den Künstlern codiert. Der sogenannte "Traum der Wüste", der der Ausstellung den Titel gab, bezeichnet einen Schöpfungs-Akt, sagt Martin Mäntele vom Ulmer Museum:

    "Das hat nichts mit unserem Traumverständnis zu tun, sondern die Traumzeit ist die Zeit der Entstehung der Welt, wie sie in den Geschichten der Aborigines erzählt wird. Dass also beispielsweise die Regenbogenschlange aus dem Erdreich gekommen sei, sich über die Erde bewegt hat, mit den Bewegungen ihres Körpers Wege geformt hat, Hügel geformt hat. Und auch andere Götter sind aus dem Erdreich gekommen, haben die Erde geformt und sind dann wieder zurückgekehrt. Und diese Wege und das, was da entstanden ist, das wird auf diesen Bildern geschildert."

    Der westliche Betrachter muss sich also von einem Künstler, der ihm gewogen ist, die Symbole erklären lassen. Das Ulmer Museum reicht sogar ein Glossarium, mit dem man lernen kann, was das Zeichen für Lagerplatz, Wurfholz, Sandhügel, Gebirgszug oder Wasserloch ist. Mehrere ineinander geschachtelte konzentrische Kreise können einen Versammlungs- oder Ritualplatz, aber auch einen Brutplatz von Vögeln kennzeichnen. Allerdings ist das oft nur die Oberflächen-Ebene; die wirkliche Erzählung bleibt verborgen:

    Martin Mäntele: "Und dann gibt es auch noch Maler – die bekannteste hat das auf ihren Bildern gemacht – die mit einer Art Punkte-Schicht die eigentliche Darstellung wieder verdeckt. Also sie bringt ihre Erzählung, die ihre mythologische Erzählung ist, auf die Leinwand, aber deckt sie dann wieder zu, so dass das Geheimnis dann doch nicht preisgegeben ist."

    Die Punkte-Schicht, der Tupfen-Stil, hat viel mit den Körperbemalungen der Aborigines zu tun. Sie haben rituelle Funktion. Die Sandbilder aber waren zunächst gemeinschaftlich erzählte, in die Erde gemalte Geschichten; durch die Entwicklung, die westliche Ethnologen anstießen, traten dann einzelne Künstler und Künstlerinnen hervor, die ihre Motive wie ein Copyright an ihre Kinder oder Familien vererben können, allerdings nur in streng männlicher oder weiblicher Linie. Zwei Mal-Zentren sind auszumachen, Papunya und Yuendumu, sie liegen in den Reservaten, die die Regierung den unterdrückten Aborigines zuwies, besser gesagt: sie zwangsumsiedelte.

    Die Ulmer Ausstellung zeigt mit Jenny Watson und Tracy Moffat nebenbei zwei etablierte australische Gegenwarts-Künstlerinnen, von denen die eine, berühmtere, Tracy Moffat, von Eingeborenen abstammt und als Kind in eine weiße Familie zwangsversetzt wurde. Die Kenntnis dieser imperialen Unterdrückung ist mindestens ebenso wichtig wie die Geschichten von Wasserlöchern, flüchtenden Eidechsen und Regenbogenschlangen, die diese wunderbar meditativen, halbabstrakten, für jede Assoziation offenen Aborigines-Kunstwerke erzählen.