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Schöpfung, zweiter Versuch

Sie streiften in riesigen Herden über die Steppen der Nordhalbkugel, bis sie vor 10.000 Jahren, am Ende der Eiszeit, plötzlich verschwanden. Für immer, so glaubte man. Doch was, wenn es Wege gäbe, sie wiederauferstehen zu lassen?

Von Michael Lange | 31.12.2009
    Einen solchen Ansturm hat der Zoologische Garten noch nie erlebt. In der ganzen Stadt werben Plakate für eine nie da gewesene Attraktion. Aufschriften wie "Endlich, Haari ist da!" oder "Rat mal, wer aus der Eiszeit kommt?" haben Zehntausende angelockt. Alle drängen sich vor den Kassenhäuschen. "Das hat die Welt noch nicht gesehen", verkündet ein Lautsprecher: "Ein echtes, ein lebendiges Mammut. Klein, aber haarig."

    "Vor drei Jahren hätte ich gesagt: Unmöglich! Aber momentan findet ein revolutionärer Fortschritt in vielen Bereichen der Molekularbiologie statt, und deshalb denke ich heute, zum jetzigen Zeitpunkt, dass es nicht mehr unmöglich ist."

    "Wo sind denn die Eisbären?" fragt ein kleiner Junge mit Pudelmütze und erntet schallendes Gelächter. Die Eiszeit ist zurück, wer interessiert sich da für Eisbären?

    Noch ist es nicht so weit. Das Wollhaarmammut, das einst die Steppen Eurasiens bevölkerte, ist ausgestorben, vor etwa 10.000 Jahren. Und wenn eine Art ausstirbt, ist sie weg, für immer. Wer heute einen Eindruck von den riesigen Säugetieren der Eiszeit gewinnen will, muss ins Museum gehen. Am besten nach Sankt Petersburg.

    "This is the first skeleton of mammoth it was found in 1799."

    Stolz präsentiert Alexei Tikhonov das Skelett des 1799 entdeckten Adams-Mammuts. Tikhonov ist stellvertretender Direktor des Zoologischen Museums Sankt Petersburg und oberster Hüter aller russischen Mammut-Funde. Besonders begeistert ist er, wenn ein Skelett nahezu vollständig erhalten ist, oder wenn neben Knochen auch Muskelgewebe und das Fell gefunden werden. Beim Adams-Mammut haben sogar Ohr, Auge und Kopfhaut die Jahrtausende überdauert.

    "Even ear, eye, the skin of the head."

    Ein Schmuckstück des Museums, und nicht das einzige. In den vergangenen Jahren gab das sibirische Eis dank Klimawandel weitere Funde frei, zum Teil noch weitaus besser erhalten. In einer Vitrine liegt der Körper eines Baby-Mammuts, etwa ein Meter groß. Fast schon andächtig blickt Alexei Tikhonov auf den kleinen Körper.

    "Das hier ist weltweit einzigartig. Ein kompletter Mammutkörper. Dima, heißt sie. Absolut vollständig und unter besten Bedingungen konserviert. So lag sie im Permafrost: Lungen, Herz, Leber, Nieren, alles erhalten. Ein ganz besonderer Fund. Absolut einzigartig."

    Mammut-Nachrichten. In aller Kürze. Auf der Halbinsel Yamal in Sibirien entdeckte ein Rentierhirte den sehr gut konservierten Körper eines sechs Monate alten weiblichen Mammuts. Das Tier ist 1,29 Meter groß, wiegt etwa 50 Kilo und wurde auf den Namen Ljuba getauft. Neben Beinen und Rüssel sind Augen und große Teile des Fells erhalten. Ian Barnes von der University of London ist sich angesichts des spektakulären Fundes sicher, das Klonen eines Mammuts noch mitzuerleben.

    Seit 1997 die Geburt von Klonschaf Dolly bekannt wurde, gab es immer wieder Spekulationen, dass auch aus gefrorenen Mammutzellen ein Klon hergestellt werden könnte. Schließlich war auch Dollys Klonvorlage bereits tot. Dollys Ziehvater hatte die Euterzellen damals von einem schottischen Schlachthof erhalten. Das Dolly-Experiment zeigte: Tiere, die tot sind, können genetisch wieder auferstehen - als Klone. Auch einige Hundebesitzer haben diese Vision bereits verwirklicht. Und wenn tote Hunde und Schafe genetisch wieder auferstehen können, warum nicht auch tote Mammuts?

    Alex Greenwood arbeitet am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Er erforscht Tierkrankheiten, auch das Aussterben der Mammuts gehört zu seinen Themen. Und so verfolgt er die Gedankenspiele um die Rückkehr der ausgestorbenen Eiszeitriesen mit Interesse. Die bisher vorgestellten Ideen überzeugen ihn allerdings noch nicht.

    "Dolly kam von einem lebendigen Schaf. Das waren lebendige Zellen in Kultur. Und vom Mammut gibt es solche Beispiele nicht. Es gibt kein lebendiges Mammut und auch kein Gewebe, das man in Kultur züchten kann."

    Es müssten also – so Alex Greenwood - intakte Zellen gefunden werden: Lebendige Mammut-Zellen, die sich in einer Zellkultur züchten lassen. Und so gut erhaltene Zellen hat bisher keine Mammut-Expedition mitgebracht. Der Zustand selbst der besten Funde aus Sibirien sei eher erbärmlich. Greenwood:

    "Das ist wie sehr altes tiefgefrorenes Fleisch. Es ist kein Frischfleisch und kein lebendiges Gewebe. Es sieht sehr präserviert aus, aber das ist es nicht. Es ist ein Fossil."

    Aber heißt das: Das geklonte Mammut muss eine Illusion bleiben? Schließlich lässt sich tiefgefrorenes Gewebe durchaus mit Klontechnik wieder zum Leben erwecken. Im Prinzip jedenfalls.

    Mammut-Nachrichten. In aller Kürze. Japanische Forscher haben aus tiefgefrorenen Hodenzellen ein Rind geklont. Mit Hilfe von Zellen des berühmten Bullen Yasufuku, die vor 13 Jahren bei minus 80 Grad eingefroren worden waren, seien vier Kälber mit identischem Erbgut erzeugt worden, teilten Forscher in Tokio mit. "Unser Traum ist es, ein Mammut zu schaffen", sagte der leitende Wissenschaftler Kazuhiro Saeki von der Kinki-Universität.

    "Das ist sehr beeindruckend, was sie gemacht haben","

    gibt Alex Greenwood zu, lässt jedoch gleich ein "aber" folgen,

    ""das fossile Eis, der Permafrost in Sibirien, hat keine stabile Temperatur. Das ist eine niedrige Temperatur, aber nicht minus 80 Grad. Im fossilen Eis kann die Temperatur höher werden, niedriger werden. Das zerstört die DNA, zerstört die Zellen. Das Eis schmilzt, es wird vielleicht vier Grad oder noch wärmer. Die Stabilität gibt es nicht beim Mammut."

    Immer wieder gab es solche oder ähnliche Argumente gegen Projekte, die das Mammut zurückholen wollten. Dennoch forschten einige Klonforscher weiter. Besonders hartnäckig in Japan, wo Wissenschaftler und Unternehmer vor etwa zehn Jahren eine Gesellschaft zur Erschaffung des Mammuts gründeten. Dabei setzte man zunächst ausschließlich auf die Klontechnik à la Dolly.

    Mammut-Nachrichten. In aller Kürze. Nach 16 Jahren Tiefkühltruhe bei minus 20 Grad konnten aus einer toten Maus Nachkommen geklont werden. Ein japanisches Forscherteam hatte die Maus aufgetaut, Zellen entnommen und das Erbgut in frische Mäuse-Eizellen verpflanzt. Einer der Nagerklone habe sogar gesunde Nachkommen erzeugt, berichtete Teruhiko Wakayama vom Forschungszentrum Riken in Kobe. Die Forscher glauben, mit ihrer Methode eine Möglichkeit gefunden zu haben, ausgestorbene Tiere wieder auferstehen zu lassen.

    Bleibt die Frage: Was unterscheidet eine Tiefkühltruhe in einem japanischen Labor vom sibirischen Permafrost? Lassen sich 10.000 Jahre im sibirischen Eis mit 16 Jahren Laborfrost vergleichen? Oder anders gefragt: Steckt nach über 10.000 Jahren noch Leben in den Überresten eines Mammuts? Der russische Mammut-Experte Alexei Tikhonov aus Sankt Petersburg hat immer wieder mit Expeditionen zusammengearbeitet, die möglichst frische Zellen oder vielleicht sogar Spermien oder Eizellen von Mammuts gewinnen wollten. Aber die Zellen, die diese Forschungsreisen lieferten, entsprachen nicht den Wünschen der Klonexperten. Alle Versuche, alte Mammutzellen mit Klontechnik wieder zu beleben, schlugen bislang fehl. Tikhonov:

    "Zum Klonen brauchen Sie eine lebende Zelle. Und biologische Zellen bestehen nun einmal zu etwa 90 Prozent aus Wasser. Bei Frost kristallisiert das Wasser und zerstört die feinen Membranen der Zellen. Auch die wichtigen Membranen innerhalb der Zellen oder um den Zellkern werden zerrissen. Wenn Sie sich das gefrorene Mammutgewebe unter dem Mikroskop anschauen, sehen Sie zwar noch die Strukturen der Zellen, aber sobald Sie es auftauen, erkennen Sie: Alle Membranen wurden vollständig zerstört."

    Sibirien ist keineswegs eine perfekte Gefriertruhe. Immer wieder steigen und fallen die Temperaturen. Im Sommer wird es warm, und im Winter extrem kalt. Das bedeutet für die Mammutreste, dass sie mehrfach auftauen und wieder einfrieren, bevor sie irgendwann zufällig entdeckt werden. Das geht an den fein strukturierten Einheiten des Lebens, den Zellen, nicht spurlos vorüber. Immer wieder entstehen Eiskristalle. Deren scharfe Kanten zerschneiden regelrecht alle Membranen und Zellbestandteile oder was davon übrig geblieben ist. Das bedeutet: Wahrscheinlich werden niemals intakte Zellen gefunden werden, aus denen ein Mammut geklont werden kann. Der Weg über das Klonen scheint verschlossen. Trotzdem sind heute viele Wissenschaftler erneut voller Optimismus.

    "Das sieht ja ganz anders aus als in meinem Bilderbuch," quengelt ein fünfjähriges Mädchen mit einem Mammut aus Plüsch in der Hand. "Irgendwie so klein." "Ich sehe überhaupt keine Stoßzähne," beschwert sich ein Zehnjähriger, der sich durch die Menschenmenge nach vorne gedrängelt hat. "Viel cooler wäre doch ein Säbelzahntiger oder am besten ein Tyrannosaurus."

    "Momentan findet ein revolutionärer Fortschritt in vielen Bereichen der Molekularbiologie statt, und deshalb denke ich heute, zum jetzigen Zeitpunkt, dass es nicht mehr unmöglich ist."

    Stephan Schuster, Biochemiker und Molekularbiologe an der Pennsylvania State University, setzt seine Hoffnungen auf die DNA. Die Erbmoleküle in den Zellen. Sie ist äußerst robust. Der lange, dünne DNA-Faden wird zwar durch den Frost in unzählige kurze Abschnitte zerteilt; aber die einzelnen Schnipsel bleiben unverändert erhalten. Auch nach über 10.000 Jahren lässt sich die zerlegte DNA im Mammutgewebe aufspüren und isolieren. Und das wichtigste: Die Forscher können die Reihenfolge der DNA-Bausteine immer noch lesen. Ein besonderer Glücksfall besteht darin, dass Mammuts ein dickes Fell besitzen. Denn die beste DNA steckt in den Haaren, betont Stephan Schuster.

    "Wenn wir mit den Haaren arbeiten, dann wird dabei keine anatomische Information zerstört, wie zum Beispiel, wenn man in einen Knochen sägt, sondern Sie können aus einem Fellstück oder einem Büschel Haare einige wenige Haare entfernen, ohne dass der Gesamteindruck dabei zerstört wird. Insofern ist unsere Haarmethode eine wesentlich schonendere. Und deshalb sind viele Museen und Kuratoren auch eher bereit uns Proben zu geben, als dass sie uns irgendeinen Knochen ansägen lassen würden."

    Für seine ersten Untersuchungen wandte sich Stefan Schuster an Alexei Tikhonov in Sankt Petersburg. Er erhielt 0,1 Gramm aus dem Fell des Adams-Mammuts. Diese geringe Menge reichte aus, um zu erkennen: Die DNA in den Haaren ist besser konserviert als in allen anderen Körperteilen. Schuster:

    "Als ob die DNA eingegossen wird in ein biologisches Plastik. Dieses Plastik können die Bakterien nicht oder nur sehr schwer penetrieren. Und wenn man dann die Bakterien an der Außenseite abwäscht und zerstört in einem chemischen Prozess, dann kann man, wenn man später dann das Haar auflöst, mit Hilfe von Enzymen und Chemikalien, dann wird eine relativ reine DNA aus dem Inneren des Haars freigesetzt."

    Das Team um Schuster erhielt weitere Haarproben aus Sankt Petersburg, und obwohl das Erbgut in unzählige Schnipsel zerfallen war, gelang es schließlich, große Teile des Mammut-Erbguts im Computer zu rekonstruieren.

    Mammut-Nachrichten. In aller Kürze. Wissenschaftlern der Pennsylvania State University in den USA ist es gelungen, das Erbgut des Mammuts zu 80 Prozent zu entziffern. Für ihre Untersuchungen verwendeten sie Haarproben zweier sibirischer Mammuts. Eines lebte vor 18.500 Jahren, das andere vor etwa 60.000 Jahren. Nach bisherigen Erkenntnissen besaßen Mammuts so viele Gene wie der Mensch: etwa 20.000. Damit existiert nun erstmals ein genetischer Bauplan für eine ausgestorbene Art. Sobald die Sequenz aller Buchstaben im Erbgut vollständig und fehlerfrei vorliegt, könnte mit ihrer Hilfe das ausgestorbene Mammut neu erschaffen werden.

    "Das ist ein Quantensprung, der es erlaubt für ein Bruchteil des Geldes und mit einem sehr viel höheren Durchsatz DNA zu sequenzieren."

    In nur drei bis vier Jahren hat sich die Geschwindigkeit der so genannten Genom-Sequenzierung verzehnfacht. Gleichzeitig sanken die Kosten auf ein Zehntel, schwärmt Stephan Schuster.

    "Die Zielrichtung dieser Forschung ist, dass man ein menschliches Genom für weniger als 1000 Dollar in, sagen wir einmal, 30 Minuten sequenzieren können möchte. Und wir benützen diese Geräte, um historische DNAs zu sequenzieren, weil das jetzt auch billig genug ist das zu tun."

    Die Kosten werden voraussichtlich weiter sinken. Ein entziffertes Säugetier-Genom, das heute etwa 100.000 Dollar kostet, könnte in drei Jahren nur noch 10.000 Dollar kosten – und bald noch weniger. Für Stephan Schuster heißt es deshalb: Warten und Geld sammeln. Dann wollen die Forscher das Mammutgenom mehrfach durchbuchstabieren. Mindestens sieben Entzifferungen sind notwendig, um das Mammut-Erbgut zu vervollständigen, um im Computer Lücken zu schließen und Fehler zu korrigieren. Und dann endlich könnte man daran denken, den Mammut-Bauplan im Computer als Vorlage zu benutzen, um das Erbgut im Labor synthetisch neu erstehen zu lassen. Schuster:

    "Es geht insgesamt darum 3,5 Milliarden Basenpaare zusammen zu stückeln. Heute ist man in der Lage – das sind Arbeiten von Craig Venter – 800.000 Basenpaare zu einem Chromosom zusammenzufügen. Und wenn wir jetzt eine Extrapolierung machen, dass wir jetzt knapp eine Million können und wir brauchen 3500 Millionen, dann können Sie sehen, wie viel technische Verbesserungen noch notwendig wären, um so etwas irgendwann mal Realität werden zu lassen."

    Das wäre also eine Steigerung um Faktor 3500. Ein Mammut-Projekt. Aber keineswegs völlig illusionär. Denn der Zusammenbau von Erbmolekülen macht seit einigen Jahren rasante Fortschritte. Weltweit führend ist dabei ein Biotechnologie-Unternehmen namens Geneart im bayerischen Regensburg. Geneart, das bedeutet: Gen-Kunst. Alles ist hier standardisiert und automatisiert, um möglichst schnell und exakt die Wünsche der Kunden zu erfüllen. Markus Graf ist Mitbegründer der Firma und Leiter der Produktion.

    "Also, wie man ein Gen herstellt, das in der Natur nicht existiert, das geht eigentlich nur dadurch, dass man kurze Abschnitte der DNA künstlich synthetisiert und zwar über organische Chemie."

    In einem Raum, so groß wie zwei bis drei Klassenzimmer, stehen mehr als ein Dutzend Geräte, etwa schrankgroß. Im Innern bewegen sich Plastikplatten in einer Argon-Stickstoff-Schutzatmosphäre. Sie dient zum Schutz vor Wasserdampf. Flüssigkeiten fließen durch dünne Schläuche. Blinkende Lichter zeigen an, wann die Ventile geöffnet und geschlossen werden. Alles voll automatisch. Graf:

    "Da startet man mit einer elektronischen Sequenz im Computer. Die wird aufgebrochen in ganz kleine Fragmente. Und diese kleinen Fragmente, die heißen Oligonukleotide. Die werden künstlich synthetisiert durch Syntheseautomaten. Davon braucht man sehr viele, denn die kleinen Abschnitte, die man chemisch synthetisieren kann, die sind maximal 40 oder 50 Bausteine groß. Ein Gen hat aber normalerweise Tausende von Bausteinen. Das heißt: Wir müssen ähnlich wie bei Lego diese Bausteine dann später zusammenfügen. Das passiert dann molekularbiologisch."

    Das Hauptprodukt der Regensburger Firma sind Gene. Einzelne Abschnitte im Erbgut. Kunden sind Forschungsinstitute, Pharmafirmen und andere Biotechnologie-Unternehmen.

    "Bei uns kann man synthetische Gene kaufen."

    Der Universitätsprofessor Ralf Wagner ist Geschäftsführer von Geneart.

    "So ein Gen, ein Bauplan für ein Eiweiß, besteht im wesentlichen aus vier Komponenten: A, C, G und T. Das sind die Buchstaben unseres genetischen Alphabets, und diese vier Buchstaben, die werden in einer definierten Reihenfolge zunächst zusammengehängt. Wir sagen als einzelsträngige DNS-Sequenz, A, C, G und Ts. Also 50 bis 70 dieser A,C, G und Ts in Reihe geschaltet, wenn Sie so möchten. Und diese kann man dann, dreißig, vierzig und fünfzig davon, in ein Töpfchen schmeißen, und die organisieren sich dann selbst zu Fragmenten: entweder dem kompletten Gen oder Teilen von Genen, bis zu 1000, eventuell 2000 Basenpaaren."

    Die Begriffe "Bausteine", "Buchstaben" oder "Basenpaare" haben in diesem Fall die gleiche Bedeutung. Gemeint sind immer die Informationsträger des Lebens, die "Buchstaben" des genetischen Textes, die sich in der DNA zu einer langen Kette zusammenfügen. Wagner:

    "Wir sind heute, was die reine Gensynthese anbetrifft, also das Herstellen von Genen in Größenordnung von 1000 Basenpaaren bis 10.000 Basenpaaren, das macht heute den Großteil unseres Geschäfts aus. Da sind wir mittlerweile angekommen bei in etwa drei Millionen Basenpaaren pro Monat. Drei Millionen Basenpaare pro Monat, das ist knapp unterhalb der Größe von Escherichia coli. Das ist das Standardvehikel der Genetiker und der Molekularbiologen. Also de facto können Sie heute in Fragmenten innerhalb von sechs Wochen das Genom eines E.coli-Bakteriums herstellen."

    Die DNA eines Säugetiers – wie Maus, Mensch oder Mammut – entspricht etwa der von 1000 Bakterien. Das Mammut-Erbgut ist etwa 1000 Mal so groß wie das von E. coli. Folglich bräuchte die Firma Geneart bei der heutigen Produktionsgeschwindigkeit 1500 Monate, um ein Mammut-Erbgut zusammen zu bauen. Das wären über 120 Jahre. Bei einem Preis von 40 Cent pro Basenpaar müsste man mehr als eine Milliarde Euro auf den Tisch blättern. Für die Bankenrettung eine akzeptable Summe, nicht jedoch für ein Forschungsprojekt. Aber die Geschwindigkeit der Erbgut-Synthese steigt, und die Preise sinken. Wagner:

    "Allein an den Synthese-Zahlen wie sie die Geneart auch herausgeben kann, da sehen Sie nahezu eine Verdopplung von Jahr zu Jahr. Wir gehen davon aus, dass die Entwicklung auch eine Zeit lang so weiter gehen wird, dass wir irgendwann mit einer sehr hohen Geschwindigkeit nicht nur Gene lesen können, sondern auch Gene schreiben können. Das ist auch notwendig, um aus der Sicht der Firma den Markt zu öffnen. Und da sind wir lange noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen."

    Acht Verdopplungsschritte wären noch notwendig. Dann wäre man im Mammut-Bereich. In zehn Jahren könnte es so weit sein. Wagner:

    "Ich denke, die Synthesekapazität wird möglich sein. Das halte ich jetzt nicht für allzu visionär. Diese Fragmente dann aber zusammenzusetzen zu funktionellen Genomen, Chromosomen, richtig organisiert, mit den richtigen Signalen versehen, so dass daraus auch vermehrungsfähige Zellen entstehen können, das halte ich aus Sicht von jetzt und heute für eine Utopie."

    Nun ist es so, dass Utopien zwar als schwierig gelten, nicht aber als gänzlich unmöglich. Wer sich an Utopien versucht, kann Spott ernten, aber auch viel Ehre, wenn es dann doch gelingt. Craig Venter zum Beispiel zeigt Interesse an Utopien. Ans Mammut wagt auch er sich vorläufig nicht, aber der bekannte und umstrittene Genom-Forscher will der erste sein, der aus reiner DNA ein Chromosom baut und so künstliches Leben schafft. In Bakterien sind die Erbgutbausteine im Chromosom viel einfacher organisiert und so wandte er sich für seinen ersten künstlichen Organismus den Bakterien zu. In seinem privaten Forschungsinstitut, dem J.-Craig-Venter-Institute, in Rockville, Maryland, wird seit fünf Jahren intensiv daran gearbeitet.

    "Wir haben die Biologie digitalisiert, das Leben auf Information zurückgeführt. Und nun beginnt die nächste Phase: Wir bestimmen selbst das Design des Lebens und synthetisieren künstliche Lebensformen. Das ist keine neue Schöpfung, sondern eine Fortführung von 3,5 Milliarden Jahren Evolution. Es werden neue Arten entstehen, basierend auf digitalem Design."

    Craig Venter sieht sich gern als Spezialist für die Dinge, die andere für unmöglich halten. Nun arbeitet sein Team seit fünf Jahren intensiv an der Konstruktion eines winzigen künstlichen Bakteriums namens Mycoplasma laboratorium. Dessen Erbgut soll kleiner sein als das aller natürlichen Organismen.

    Mammut-Nachrichten. In aller Kürze. Eine Forschergruppe um den Genom-Entzifferer Craig Venter hat erstmals das vollständige Erbgut eines Bakteriums künstlich hergestellt. Es gehört zur Gattung Mycoplasma. Der nächste Schritt sei die Schaffung synthetischer Lebewesen, so Craig Venter. Der Forscher will einen Minimalorganismus schaffen, der dann für unterschiedliche Aufgaben umgerüstet werden kann. Kritiker warnen vor unabsehbaren Folgen.

    Zunächst hat das Venter-Team das Erbgut eines natürlichen Bakteriums nachgebaut. Das gelang innerhalb weniger Wochen. Nun versuchen seine Wissenschaftler herauszufinden, welche Gene im natürlichen Erbgut überflüssig sind. Dann wollen sie ein Erbgut bauen, dem diese überflüssigen Gene fehlen. Dieses neuartige Minimal-Erbgut wollen sie dann in ein lebendes Bakterium einpflanzen. Die Proteine im Innern des Empfängerbakteriums sollen dafür sorgen, dass aus dem reinen Erbmaterial ein lebensfähiges Bakterienchromosom entsteht. Bestimmte Gene müssen angeschaltet werden, andere ausgeschaltet. Das alte Erbgut des Empfängerbakterium wird schließlich zerstört, und die künstlich zusammen gebaute DNA übernimmt das Kommando. So plant Craig Venter die Schöpfung des ersten künstlichen Lebewesens.

    "Alle Experimente der letzten 15 Jahre haben gezeigt, dass die DNA die Software des Lebens ist. Und wenn wir die Software austauschen, dann entsteht ein neues Lebewesen. So, als ob unser Computer ein neues Betriebssystem erhält und sich dadurch auch seine Hardware verändert. Der Rechner würde mit jedem Software-Update technisch verbessert. So funktioniert Biologie. Wir schreiben eine chemische Software, stecken sie in eine lebende Zelle, und die verwandelt sich in eine neue Art."

    Noch existiert dieses künstliche Lebewesen nicht. Aber bald könnte es soweit sein. Craig Venter gibt vorerst keine Interviews. Es stünde eine wichtige Veröffentlichung bevor, lässt seine Pressestelle verlauten. Mehr Informationen gibt es nicht. Angenommen, das Vorhaben gelingt, und ein künstlich zusammengebautes Erbgut beginnt zu leben. Wie weit wäre man dann noch entfernt von einem Mammut-Nachbau?

    "Es gibt Leute, die sagen jetzt: Aus der Sequenz können Sie ein Mammut zusammensetzen. Ich halte das für übertrieben. Ich finde das naiv."

    Der Stammzellenforscher Rudolf Jaenisch vom Whitehead-Institute in Boston verweist auf einen wichtigen Unterschied zwischen Bakterium und Mammut. Beim Mammut sind die Chromosomen nicht nur viel größer als beim Bakterium, sie sind auch komplizierter aufgebaut.

    "Wenn man da ein Teil der Sequenzen hat oder auch alle Sequenzen, kann man damit noch längst kein Genom bauen. Sicher wird man das mit simplen Organismen oder simplen Systemen vielleicht irgendwann eher machen können als mit einem komplexen System, wie einer Säugerzelle. Die ist zu komplex. Da sind wir noch sehr weit entfernt."

    Der Aufbau der komplizierten Säugetier-Chromosomen bestimmt, welche Gene aktiv und welche Gene inaktiv sind. Das bedeutet: Nicht nur die DNA entscheidet, ob und wie eine Zelle funktioniert. Ist das Chromosom falsch aufgebaut, kann kein Leben stattfinden. Das heißt: Das Mammut aus künstlich zusammen gebauten Erbmolekülen bleibt nach Meinung der meisten Forscher ebenso eine Illusion wie das geklonte Mammut aus einer tiefgefrorenen Zelle. Vorerst.

    "Bitte nicht gegen die Scheibe schlagen, das erschreckt den Kleinen." Die Tierpflegerin hat alle Hände voll zu tun, die Besucher auf Abstand zu halten. "Ich will ihn mal streicheln", ruft ein sechsjähriger Junge mit einer Baseballkappe. "Mit seinem Fell sieht Haari wirklich süß aus, warum dürfen wir nicht näher ran", drängelt seine Mutter. "Wir wissen noch nicht, ob sein Immunsystem mit unseren Krankheitskeimen fertig wird", erklärt geduldig die Tierpflegerin "Sie wollen doch auch, dass Haari gesund bleibt."

    Die Erinnerung an das Mammut scheint fest verankert im kollektiven Gedächtnis der Menschheit. Nicht zuletzt träumen auch deshalb viele Wissenschaftler von seiner Rückkehr. Aber die neue Forschungsrichtung der Synthetischen Biologie steht noch am Anfang. Vielleicht ergeben sich schon bald neue Möglichkeiten, um ausgestorbene Tierarten wieder zu beleben. Besondere Hoffnungen ruhen auf einem dritten Weg, einer Art Abkürzung zum lebenden Mammut. Eine andere, noch lebende, Tierart könnte Hilfestellung leisten. Am besten ein möglichst naher Verwandter, erklärt Alexei Tikhonov, der Mammut-Experte vom Zoologischen Museum in Sankt Petersburg.

    "Wenn wir das entzifferte Mammut-Genom mit dem lebender Elefanten vergleichen. Dann sehen wir, dass der Unterschied sehr gering ist. Also nehmen wir einfach die lebende Zelle eines Afrikanischen oder Indischen Elefanten und ändern die Gene so lange, bis der Elefanten ein Genom besitzt, das absolut identisch ist mit dem eines Mammuts."

    An den Methoden zur Mehrfach-Manipulation wird gearbeitet.

    "Ich sehe gar nichts!" ruft ein Mädchen von hinten. "Nicht drängeln!" schallt es zurück. Und eine junge Frau fragt: "Wo ist denn Haaris Mutter?" Die Tierpflegerin denkt einen Moment nach. "Genau genommen ist seine Mammut-Mutter vor über 10.000 Jahren gestorben. Die Leihmutter war eine indische Elefantenkuh, aber sie hat das Junge nicht akzeptiert. Jetzt haben wir Tierpfleger alle Hände voll zu tun. Tag und Nacht. Ein wirkliches Mammut-Projekt."

    Hinweis: Den zweiten Teil des Doppelfeatures "Schöpfung, 2. Versuch - das Mammut kehrt zurück" können Sie morgen, 1. Januar, 16:30 Uhr, im Deutschlandfunk hören.