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Schon wieder ein Roman auf der Bühne

Wenn Theater, wie derzeit üblich, Kafkas "Schloss", Dostojewskis "Idiot", "Schnee" von Orhan Pamuk oder auch "Die Stadt der Blinden" von Jose Saramago auf die Bühne bringen, dann sind das lauter Roman-Adaptionen. Schon seit ein paar Jahren zeichnet sich ein Trend zu Romanen ab, wobei selbst unter Theatermachern umstritten ist, ob das gut oder schlecht ist.

Von Hartmut Krug |
    Das erste Wort des Abends lautet "achtbar", , wenn eine sich vor dem Vorhang aufbauende alte Dame mit Thomas Manns Roman-Worten vom Wesen des Erinnerns spricht. Die achtzigjährige Bibiana Zeller ist eine zitierende Erklärerin, die später hinter einer Glasscheibe hoch oben über der Bühne und zugleich in filmischer Liveprojektion mit erklärenden Zitaten das Bühnengeschehen begleitet. Friederike Hellers wenig mehr als anderthalbstündige Bühnenversion von Thomas Manns 500-Seiten-Roman trägt zwar einen anglizistisch aufgepeppten Titel, doch auf der Bühne erklingt allein Thomas Manns betulich neoklassische Sprache. Auf die Filmprojektion eines Sängers, der das dem Roman vorangestellte Zitat aus dem 2. Gesang von Dantes "Inferno" als englische Popelegie vorträgt, reagiert Bibiana Zeller mit dessen Übersetzung und mit Manns Worten über die Enthemmung des Künstlertums.

    Das Bühnenbild zitiert keine Zeit und keinen Ort, sondern zeigt einen neutralen Arbeitsraum, einen Denkraum, in dem zwei Musiker mit Schlagwerk, Gitarre und Keyboards das Geschehen mit modernem Sound strukturieren. Die Regisseurin Friederike Heller versucht nicht, Thomas Manns Roman auf der Bühne richtig nach zu erzählen. Zwar wird chronologisch, aber nur exzerpthaft, vom Denken und Leben des Tonsetzers Adrian Leverkühn berichtet, aber vor allem konzentriert sich die Inszenierung auf dessen Teufelspakt. Wir erleben ein szenisches Nachdenken darüber, was heute der Inhalt dieses Teufelspaktes sein könnte. So gibt es zwar fünf Schauspieler, aber nur drei Figuren auf der Bühne. Alle Personen außer dem Komponisten Adrian Leverkühn, seinem Biographen Serenus Zeitblom und dem Teufel sind gestrichen. Das Nachdenken über das Wesen des Genies und die Angst über die dämonisch beeinflusste Natur wird wie eine Gedankenstafette von unterschiedlichen Schauspielertemperamenten vorgetragen: Erst zitiert Rudolf Melichar, der älteste der drei Männer, Manns Reflektionen mit dem Buch in der Hand, dann stellt sich der fröhlich-jungenhafte Philipp Hochmair neben ihn und übernimmt den Text. Der energische Felix Goeser und die äußerst bewegliche Petra Morzé folgen: so, mit dieser ständig wechselnden Verteilung des Textes auf Schauspieler statt auf unterschiedliche Figuren, bringt die Regisseurin szenische Bewegung in das zitathafte Denkspiel.

    Sehnsüchte, mit Worten Musik zu machen, treiben die Darsteller um und auch mal mit Beethovens Mähne kopfüber in eine Trommel. Der traurige Vorwurf, nicht gefragt worden zu sein, ob man leben oder lieben wolle, wird ebenso gesungen wie die Sehnsucht, "wenn ich mir was wünschen dürfte."

    Natürlich wird der Teufelspakt nur verkürzt wiedergegeben, und der musik- und kunstphilosophische Diskurs mit seiner logischen Verbindung zwischen Nietzsche und Adorno wird nicht allzu sehr ausgeführt, wenn Dr. Faustus in seinem Pakt mit dem Teufel Zeit bekommt, in zwanzig Jahren statt Liebe sein Genie zu genießen. Hier gönnt sich die Inszenierung einige szenische Illustrationen , wie bei der Erzählung von der Reise zu Esmeralda, bei der sich Leverkühn absichtlich mit der Syphilis infiziert, - schließlich heißt der Abend ja mit dem Titel von Shakespeares 147.Sonett auch "love is as a fever." - In der "Lusthölle voller seelenloser Triebe" kommen zwei der Schauspieler als geflügelte dunkle Engel auf Fahrrädern daher, während der dritte die Teufelin Petra Morzé im erotischen Spiel am Halsband herumzerrt. Was ist krankhaft, was ist echt, ist die Frage, und aus dem Bühnenhimmel regnen Unmengen von schwarzen Luftballons, während die Musiker an Gitarre und Orgel eine gefahrdrohend anschwellende Musik zu dieser schwarzen Messe beisteuern. Nach dem Teufelspakt fahren alle in die Tiefe und tauchen an Vortragspulten wieder auf. Sie plädieren gegen demokratische Staatsformen als künstliche, die ohne eine "natürliche" Autorität seien und behaupten einen inneren Widerspruch der Freiheit in Zeiten von Massen, die populäre Mythen verlangten. So werden Thomas Manns Überlegungen über eine Kulturkrise, deren Sehnsüchte nach Authentizität, Echtheit und rauschhafter Eingliederung der Faschismus zu befriedigen versprach, ins szenische Bild gesetzt. Dazu dröhnt eine laute Maschinenmusik, und in Filmprojektionen überschwemmen Menschenmassen die Bühne. Was sie zeigen, ist mit Fernsehbildern von der Eröffnung eines Mediamarktes am Berliner Alexanderplatz im vergangenen Jahr, der sich zu einer Erstürmung des Einkaufszentrums entwickelte, der aktuelle Terror des Konsums.

    Vor allem schauspielerisch überzeugte dieser zugleich ungemein anspruchsvolle wie anstrengende Abend. Regisseurin Friederike Heller findet eine einfache und eigene Theaterform zwischen Vortrag, Zitat und Spiel. Dennoch hat es der Zuschauer, der den Roman nicht kennt, nicht einfach. Das Publikum im Wiener Akademietheater jedenfalls feierte das Ensemble kräftig.