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Schon wieder neue Bücher

Zu den vier Landesprachen der Schweiz gehört das Rätoromanisch. Dieses wird vor allem im Kanton Graubünden gesprochen. Dort ist man stolz auf die sprachliche Eigenart, doch zugleich entzündet sich an der Sprache auch immer wieder Streit.

Von Katja Lückert |
    Wenn Graubünden flach wäre, gäbe es keine Sprachenvielfalt. Denn die Abgeschiedenheit der Dörfer in den Talschaften des Schweizer Kantons Graubünden hat dafür gesorgt, dass sich die verschiedenen Spielformen des Rätoromanischen dort bis heute erhalten haben. Doch genau um diese fünf Idiome des Rätoromanischen- gibt es immer wieder Streit. Welche Bedeutung haben sie, sind es tatsächlich vollwertige Sprachen, die in verschiedensten sozialen Situationen gesprochen werden, oder doch inzwischen eher Folklore? Der Streit entzündet sich nicht von ungefähr am Nachwuchs, denn mit rund 30.000 Sprechern ist das Rätoromanische durchaus eine bedrohte Sprache.

    Ein Besuch am Ort des Geschehens, eine Schule in Savognin, im Winter ein beliebter Skiort, die Bevölkerung lebt vom Tourismus und der Landwirtschaft. Der Klassenraum warm und holzvertäfelt, die Lehrerin, Petra Uffer spricht Surmiran und stellt auch die deutschen Gäste vom Radio vor:

    "Idiom sumiran, visit de la German, del radio."

    Sechzehn Kinder aus drei verschiedenen Klassen werden in dieser Bergschule gemeinsam in einem Raum unterrichtet. Immer abwechselnd arbeiten die einen mit der Lehrerin und die anderen für sich allein. Nur singen, tun alle gemeinsam.

    Wenn man allerdings genau hinschaut, bemerkt man, dass die Arbeitsblätter nicht im Idiom Surmiran, sondern in der rätoromanischen Standardsprache Rumantsch Grigun verfasst sind. Dies ist eine in den 1980er-Jahren von dem Zürcher Sprachwissenschaftler Heinrich Schmid entwickelte gemeinsame Schriftsprache, die seit 2001 als romanische Amtssprache dient. In Savognin unterrichtet Petra Uffer seit einigen Jahren in einer ihr eigentlich fremden Sprache.

    "Wir haben die Standardsprache Romantisch Grigun eingeführt vor fünf Jahren unsere Fünftklässler sind jetzt da und sprechen Romantsch Grigun. Die sechste Klasse, die hat noch das Idiom. Wie das weitergeht? Wenn die Lehrmittel wieder in allen Idiomen erscheinen und andere Talschaften da nicht mit uns mit ziehen mit dem Romantsch Grigun, dann sehe ich für uns auch keine Zukunft, so als einziges Tal so isoliert, das macht nur Sinn, wenn alle da mitmachen."

    Aber es machen nicht alle mit, da offenbar nicht alle Rätoromanen den Wert der identitätsstiftenden Verbindung durch eine Einheitssprache erkennen können, erklärt Andreas Gabriel von der Dachorganisation Lia Rumantscha in Chur:

    " Da haben ungefähr vierzig von ungefähr achtzig romanischen Gemeinden, ungefähr die Hälfte ist aufgesprungen und hat gesagt, ok, wir machen das. Und die anderen stur dagegen, haben nichts gemacht und die Schere ist aufgegangen die letzten zehn Jahre. Wir haben offiziell natürlich den vollkommenen Sprachfrieden in der Schweiz und in Graubünden, aber wenn man etwas kratzt, an der Oberfläche sieht man: Solche Sprachenstreits haben Auswirkungen auf die deutschsprachige Mehrheit, die dann sagen: "Jetzt streiten sie wieder, haben sie nicht genug?" Die Auswirkung dieser Diskussion ist unglaublich, das ist das Erste, was wir gesagt haben, als wir diese Welle auf uns zukommen sahen, es ist ok. Die Grundsatzfrage, braucht es Lehrmittel in den verschiedenen Idiomen ist absolut gerechtfertigt, aber die Außenwirkung ist nicht zu ertragen."

    Seit 2003 sollte per Parlamentsentscheid in Graubünden die Kunstsprache Rumantsch Grigun in den Lehrbüchern aller Schulen der Regionen zum Standard werden. Und während die einen Sparmaßnahmen witterten, man brauchte nicht mehr Bücher in fünf verschiedenen Idiomen, hofften die anderen immer noch auf eine einende Wirkung dieses Graubündner Esperantos.

    Doch jetzt muss das Romantsch Grigun eine weitere Schlappe einstecken, denn seit Kurzem wurde nach Jahren des Protests im Kantonsparlament entschieden, Lehrmittel wieder in allen fünf Idiomen herauszugeben. Dabei wissen Sprachwissenschaftler genau, man kann Sprachen nicht erhalten, man kann nur Bedingungen für ihre Erneuerung schaffen. Auch Martin Cabalzar, Chefredakteur der rätoromanischen Tageszeitung La Quotidiana hat erlebt, dass allein mit Romantsch Grigun keine Zeitung zu machen ist.

    "Wir hatten immer das Ziel, die Romanen zu einen und Brücken zu schlagen, das war eigentlich auch ein politisches Ziel mit der Quotidiana. Aber das war schon schwierig, die einzelnen Idiome unter einem Dach zu bringen und noch einen Mantel drüber mit Romantsch Grigun. Ein deutscher Verleger hat gesagt wir machen das, er hat die Schwierigkeiten ein bisschen unterschätzt und musste dann die Redaktion sukzessive abbauen statt ausbauen, das war natürlich eine schmerzliche Übung, die wir in den letzten Jahren, durchmachen mussten. Viele haben gesagt, das ist nur ein Teil, den wir lesen können und das andere interessiert uns nicht. Es braucht ein bisschen guten Willen um das zu lesen, aber wenn etwas interessant ist, eine Sensation, dann verstehen alle Romantsch Grigun."

    Trotz des erklärten politischen Willens die Kunstsprache Romantsch Grigun nicht nur als Amtssprache, sondern zur tatsächlichen Verständigungssprache unter den Romanen einzuführen, ist längst deutsch die Sprache, die heute die meistens Menschen in Chur verstehen und sprechen. Chur ist eine junge Stadt, viele junge Leute aus den Tälern besuchen hier eine Schule oder machen eine Ausbildung. Der Druck zur Anpassung ans Deutsche wurde in der Schulstadt Chur seit der Reformation immer größer. Andreas Gabriel hat ihn in den 70er-Jahren selbst erlebt.

    " Es gab in Graubünden Zeiten, da mussten Schüler Strafe bezahlen, wenn sie auf dem Schulplatz Rätoromanisch sprachen. Und Repressionen wirken sich aus und das ist die Generation, die ihren Kinder gesagt hat, ah Du lern zuerst mal richtig Deutsch und diese Generation hat nicht so gut romanisch gelernt und heute sagen diese Menschen, ach‘ schade, meine Eltern konnten die Sprache noch gut und ich habe sie nicht gelernt und die geben‘s jetzt an ihre eigenen Kinder besser weiter."

    Inzwischen gibt es also längst schon wieder eine Gegenbewegung: Junge gut ausgebildete Romanen entdecken einen neuen Stolz auf ihre rätoromanischen Wurzeln, schreiben literarische Texte im Idiom, entwickeln Internetseiten auf Rätoromanisch und engagieren sich in Kulturvereinen und Musikgruppen für ihre Muttersprache.