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Schon zwei Stunden täglich Fernsehen schädigen für das ganze Leben

Deutsche Kinder und Jugendliche sehen etwa zweieinhalb Stunden täglich fern. Viel zu viel, das ist das Resultat einer neuen Studie aus Neuseeland. Früher TV-Konsum führt demnach zu Übergewicht, hohem Cholesterinspiegel und schlechter Konstitution. Was da früh in der Kindheit kaputt gemacht wird, lässt sich später kaum noch reparieren, schreiben die Forscher in der Fachzeitschrift "The Lancet". Sie hatten rund 1000 Probanden von 1972 bis 1999 regelmäßig untersucht für die weltweit erste Langzeitstudie zur Wirkung der Fernsehdauer auf die Gesundheit.

Von William Vorsatz | 20.07.2004
    In ihrer freien Zeit sitzen Kinder und Jugendliche vor allem vor dem Fernseher. Im Schnitt sehen die Heranwachsenden etwa zweieinhalb Stunden täglich fern, Jungen etwas länger als Mädchen. Eindeutig zu viel. Das Brisante daran. Der Fernsehkonsum in der Kindheit hat Spätfolgen. Das belegt die weltweit erste Langzeitstudie zu diesem Thema, Sie kommt aus Neuseeland. Ein Forschungsteam der Universität von Otago hat schon 1972 alle Neugeborenen der Stadt Dunedin erfasst. Etwa Tausend Säuglinge waren dass. Über einen Zeitraum von 26 Jahren haben die Wissenschaftler dann den täglichen Fernsehkonsum der Probanden und ihren Gesundheitszustand erfasst. Mit einem alarmierenden Ergebnis. Forschungschef Dr. Robert Hancox:

    Wir haben heraus gefunden, dass die Menge des TV-Konsums bei Kindern zwischen 5 und 15 Jahren bis ins Erwachsenenalter wirkt. Sie sind übergewichtig, weniger fit, werden eher Zigaretten rauchen und haben einen höheren Cholesterinspiegel. Nach unseren Forschungen scheint es, dass Fernsehen in der Kindheit schädlicher ist mit etwa mit 21 Jahren. Fernsehen zwischen 5 und 15 prägt die Verhaltensweisen für das spätere Leben und der Körper verändert sich stärker. Und das hat langfristige Wirkungen, selbst wenn man erwachen ist.

    Ob Junk Food oder Bewegungsarmut: der ungesunde Lebensstil bleibt. Selbst wenn der TV-Konsum später abnimmt. Könnte es aber nicht sein, dass der Zusammenhang zwischen Fernsehdauer und Gesundheit zufällig ist? In ärmeren Haushalten läuft das Fernsehgerät länger, aber sind die Heranwachsenden wirklich gerade deshalb weniger fit? Um den eindeutigen Zusammenhang zwischen Sehdauer und Gesundheit zu beweisen, haben die Neuseeländer sich auch andere Faktoren angeschaut, wie Einkommen der Familie, Bildung und Körpergewicht der Eltern. Dazu deren Rauchverhalten und die sportliche Aktivitäten. Auch wenn alle anderen Einflussfaktoren heraus gerechnet sind, blieb das Ergebnis eindeutig:

    Wenn wir diejenigen vergleichen, die weniger bzw. mehr als 2 Stunden fernsehen, wird klar: bei den 26jährigen ist das lange Fernsehen verantwortlich: Zu 17 Prozent für das Übergewicht, zu 15 Prozent für erhöhtes Cholesterin, zu 16 Prozent für das Rauchen und zu 15 Prozent für die schlechte Kondition.

    Auch beim Robert-Koch-Institut in Berlin laufen umfangreiche Daten zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zusammen. Dazu wurden die Daten von 20.000 Heranwachsenden im Alter zwischen 11 und 15 aus ganz Deutschland ausgewertet. Warum untergräbt der stundenlange Fernsehkonsum die Gesundheit? Die Leiterin der Forschungsgruppe Dr. Ulrike Ravens-Sieberer:

    Was wir wissen ist, dass die sozialen Kompetenzen dann natürlich nicht entwickelt werden. Der Umgang mit Gleichaltrigen und so etwas wie Stressbewältigung, wenn das nur vor dem Ferneseher stattfindet, dann wird die Kommunikationsfähigkeit natürlich eingeschränkt. Es kann dazu führen, das die Kinder und Jugendlichen sich sozial zurück ziehen, man ist inaktiv, sitzt vor dem Fernseher, und das in Kombination mit falschen Ernährungsweisen, also Snackfood zum Beispiel, zu fettes Essen, das führt zu erhöhtem Cholesterinspiegel und natürlich dann auch zu Übergewicht durch die Inaktivität und zu wenig Bewegung.

    Je länger fern gesehen wird, desto mehr Werbespots. Schokoladen, Bonbons, Limonaden - unablässig verführt die Reklame zu Ungesundem. So penetrant, dass Ernährungswissenschaftler in den USA bereits ein Verbot fordern, ähnlich wie bei Tabak. Und was hilft bei uns? Totales Fernsehverbot für den Nachwuchs? Das ist sicher schwer durchsetzbar und kann die Kinder unter Gleichaltrigen sogar ausgrenzen. Schließlich will man mitreden. Nicht mehr als eine Stunde TV täglich, raten die Experten. Und Gegengewichte schaffen:

    Was man deutlich sehen kann, ist, dass sozusagen jede halbe Stunde Bewegung mehr am Tag die Chance für Übergewicht deutlich verringert, also da spielt sozusagen jede Minute eine Rolle. Und was man auch sagen kann, ist, dass Fernsehkonsum auch, sozusagen jede Stunde, die Chance für Übergewicht deutlich erhöht. Also das ist durchaus linear.

    Das Gleiche gilt für Blutdruck und Cholesterin. Das "Aktivitätskonto" sollte immer im Plus bleiben.

    Nachdem die Studie über die Wirkung der Fernsehdauer auf die Gesundheit am vergangenen Wochenende in der Zeitschrift "The Lancet" veröffentlicht wurde, hat sich die deutsche Verbraucherschutzministerin Renate Künast zu Wort gemeldet. Aufgrund des alarmierenden Resultates der Studie fordert sie eine konzertierte Aktion von Eltern, Kindergärten und Schulen um den Fernsehkonsum von Kindern drastisch zu senken.