"Ich glaube nicht mehr daran, dass unsere gefallenen Kameraden für den Weltfrieden oder den Kampf gegen den Terrorismus gestorben sind. Ich glaube vielmehr, dass jeder Soldat an der Front, egal in welchem Krieg dieser Erde, nach kürzester Zeit jede Ideologie vergisst und hinfort nur noch mit dem eigenen Überleben beschäftigt ist. Warum er dorthin geschickt wurde, interessiert ihn einen Dreck. Alles, was er will, ist am Leben bleiben"´,
... stellt Heike Groos desillusioniert fest – und das aus eigener Erfahrung. Die heute 49-Jährige war seit 2001 mehrfach als Sanitätssoldatin in Afghanistan, insgesamt zwei Jahre lang. Zuvor hatte die Bundeswehr sie im Inland als Notärztin im zivilen Rettungsdienst eingesetzt. Als ihr Arbeitgeber den Auftrag bekam, Deutschland am Hindukusch zu verteidigen, erinnerte man sich an Groos und fragte die fünffache Mutter höflich an, ob man sie abkommandieren dürfe. Kein Problem, meinte Groos: Sie hatte Massenkarambolagen auf der Autobahn erlebt, Brände, tote Fixer auf Bahnhofsklos, hatte Selbstmörder von Zimmerdecken baumeln sehen – was sollte sie da noch schrecken? Es ginge doch nur um einen humanitären Einsatz in Uniform, wie sie glaubte.
Wie falsch sie da lag, kapierte die Oberstabsärztin, als sie am Vormittag des 7. Juni 2003 in Kabul aus ihrem Rettungspanzer stieg und auf ein Schlachtfeld blickte. Ein Selbstmordattentäter hatte mit einem Taxi und einer 500-Kilo-Bombe an Bord einen Bus mit deutschen Soldaten gerammt. Heike Groos erinnert sich:
"Überall liegen Verletzte, Verwundete auf der Straße und rufen um Hilfe, und Leichtverletzte rennen umher und versuchen, unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: 'Helft mir!' oder 'Kommt mit, wir müssen meinem Freund helfen!' Hilfskräfte vor Ort verlangen nach Anweisungen. Und dieses ganze Chaos muss bewältigt werden."
Nach dem ersten Schock schaltet die gut gedrillte Rettungsärztin alle Emotionen aus, funktioniert wie eine Maschine, sorgt dafür, dass die Verwundeten versorgt werden. Nur um Heike Groos kümmert sich keiner. Körperlich ist sie unversehrt, doch ihre Seele hat einen Knacks bekommen. Und nicht nur ihre: Auch die anderen Helfer und Augenzeugen sind angeschlagen. Die Opfer des Busanschlags waren auf dem Weg zum Flughafen, zurück in die Heimat; Groos hatte am Vorabend noch mit ihnen Abschied gefeiert. In Deutschland hatte sie immer Fremde versorgt, hier in der Truppe waren es Kameraden, die die gleiche Uniform trugen und mit denen sie den Alltag teilte - eine Ersatzfamilie:
"In diesem Lager, in dem man so weit weg ist von zuhause und Heimweh hat und seine Lieben vermisst und auf der anderen Seite so eng zusammenlebt, entwickelt sich das ganz ganz schnell. Nach kürzester Zeit weiß man alles von den anderen."
Die Kameradschaft schweißt die Soldaten zusammen, die gemeinsam erlebte Gefahr tut ihr Übriges. Immer häufiger gibt es im Lager Raketenalarm. Hatte die afghanische Bevölkerung die Bundeswehr anfangs noch als Befreier von den Taliban begrüßt, spürt Heike Groos nun, dass sie als Besatzer wahrgenommen und gehasst wird. Bei Überlandfahrten wird jeder Junge, der am Straßenrand spielt, als potenzieller Widerstandskämpfer misstrauisch beäugt. Zurückgekehrt nach Deutschland, will Groos nicht erneut nach Afghanistan – doch die Bundeswehr kommandiert sie gegen ihren Willen zu weiteren Einsätzen ab. Die Oberstabsärztin Heike Groos, Chefin ihrer Sanitätskompanie, nimmt Haltung an, will vor ihren Soldaten keine Schwäche zeigen:
"Ich musste stark sein, ein Vorbild. Sie verließen sich auf mich, brauchten mich. Dass jemand meine Hand ergreifen, sie halten und drücken würde - mein einziger Wunsch in diesem Moment -, war ausgeschlossen. Ich riss mich zusammen, verschob meinen persönlichen Schmerz auf später."
Dieses "Später" tritt erst ein, nachdem Heike Groos' Dienstzeit bei der Bundeswehr ausläuft. Sie wandert aus, nach Neuseeland, weit weg von Krieg, Gewalt, Todesangst - kommt endlich zur Ruhe – und bricht dann zusammen. Eine schwere Depression lähmt sie monatelang. Erst nachdem sie sich bei einem guten Freund alles von der Seele redet, tritt Heilung ein.
"Ein schöner Tag zum Sterben" heißt das Buch, mit dem sich Groos ihre Afghanistan-Erlebnisse nun auch von der Seele geschrieben hat. Es ist ein radikal ehrliches und sehr emotionales Werk, mit dem Heike Groos weder sich selber, noch die Leser schont. Der Text wurde nur behutsam lektoriert, offenbar, um Groos' Vortrag nichts an Authentizität einbüßen zu lassen. Allerdings hätten etliche Redundanzen sicher problemlos entfernt und einzelne Passagen stilistisch poliert werden können, ohne dass dies die Stimme der Autorin unkenntlich gemacht hätte.
Nichtsdestotrotz: Heike Groos' Buch ist packende und berührende Kriegsliteratur – über einen Krieg, den Deutschland ja nach offizieller Lesart gar nicht führt.
Alles eine Frage der Perspektive. Und die ist in dem Buch "Drachenwind" eine vollkommen andere. Autorin ist Kerstin Tomiak, eine weitere Afghanistan-Heimkehrerin.
"Ich werde die Nacht in einem Schlafsack auf einem Feldbett der Bundeswehr verbringen. Unter afghanischem Sternenhimmel. Steine werden aufgetürmt, ein Feuer angezündet, ein Gitter darübergelegt und Grillfleisch darauf verteilt. Jemand verteilt Bier."
Es ist kaum zu glauben, aber Heike Groos und Kerstin Tomiak waren tatsächlich etwa zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Doch während Groos Verwundete versorgt hat, hatte die Afghanistan-Schutztruppe ISAF die freie Journalistin Tomiak angeworben, eine Gratiszeitung für die Einheimischen zu erstellen – in der Werbebranche würde man das wohl einen Reklamefeldzug nennen. Und während Groos ein Sprachrohr der ersten deutschen Kriegsveteranengeneration seit dem Zweiten Weltkrieg ist, hat Tomiak ihr Afghanistanabenteuer wie eine Erlebnistouristin genossen. Terroranschläge kennt sie nur vom Hörensagen, dafür absolvierte sie viele Stippvisiten bei Hilfsprojekten und porträtiert die Bundeswehr als Samariter in Flecktarnuniform. Wenn sie dabei über politische Themen reflektiert, wirkt das stilistisch flott und unterhaltsam, inhaltlich aber wie ein Schulaufsatz. Aufgekratzt plaudert Kerstin Tomiak über ihre wunderschöne Bildungsreise quer durchs wilde Afghanistan - und entfacht Lagerfeuerromantik:
"Wir sitzen und reden, das Holz knackt im Feuer, Schatten huschen über Soldatengesichter. Alle ebenso dreckig wie meins. Über uns entfaltet sich ein Sternenhimmel von unfassbarer Pracht. Ich versuche zu begreifen, dass ich hier bin, in Afghanistan, an einem Bergsee. Sechsunddreißig Jahre, denke ich, habe ich ein fast normales Leben geführt. Lächle in die samtene Dunkelheit. Afghanistan. So fühlt sich Glück an."
Eine Feldbettgeschichte mit einem Soldaten trägt des Weiteren zu Tomiaks "Glück" bei – und zum Eindruck, dass sich der Titel streckenweise wie eine politische Schmonzette liest. "Drachenwind" und Heike Groos' "Ein schöner Tag zum Sterben" – zwei Afghanistanbücher, die gegensätzlicher kaum sein könnten.
Heike Groos: "Ein schöner Tag zum Sterben. Als Bundeswehrärztin in Afghanistan". Erschienen im Krüger Verlag, 272 Seiten für 18,95 Euro. Und: Kerstin Tomiak: "Drachenwind – Mein Jahr in Afghanistan". Aus dem Knaur-Verlag, 288 Seiten kosten 9,95 Euro. Unser Rezensent war Daniel Blum.
... stellt Heike Groos desillusioniert fest – und das aus eigener Erfahrung. Die heute 49-Jährige war seit 2001 mehrfach als Sanitätssoldatin in Afghanistan, insgesamt zwei Jahre lang. Zuvor hatte die Bundeswehr sie im Inland als Notärztin im zivilen Rettungsdienst eingesetzt. Als ihr Arbeitgeber den Auftrag bekam, Deutschland am Hindukusch zu verteidigen, erinnerte man sich an Groos und fragte die fünffache Mutter höflich an, ob man sie abkommandieren dürfe. Kein Problem, meinte Groos: Sie hatte Massenkarambolagen auf der Autobahn erlebt, Brände, tote Fixer auf Bahnhofsklos, hatte Selbstmörder von Zimmerdecken baumeln sehen – was sollte sie da noch schrecken? Es ginge doch nur um einen humanitären Einsatz in Uniform, wie sie glaubte.
Wie falsch sie da lag, kapierte die Oberstabsärztin, als sie am Vormittag des 7. Juni 2003 in Kabul aus ihrem Rettungspanzer stieg und auf ein Schlachtfeld blickte. Ein Selbstmordattentäter hatte mit einem Taxi und einer 500-Kilo-Bombe an Bord einen Bus mit deutschen Soldaten gerammt. Heike Groos erinnert sich:
"Überall liegen Verletzte, Verwundete auf der Straße und rufen um Hilfe, und Leichtverletzte rennen umher und versuchen, unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: 'Helft mir!' oder 'Kommt mit, wir müssen meinem Freund helfen!' Hilfskräfte vor Ort verlangen nach Anweisungen. Und dieses ganze Chaos muss bewältigt werden."
Nach dem ersten Schock schaltet die gut gedrillte Rettungsärztin alle Emotionen aus, funktioniert wie eine Maschine, sorgt dafür, dass die Verwundeten versorgt werden. Nur um Heike Groos kümmert sich keiner. Körperlich ist sie unversehrt, doch ihre Seele hat einen Knacks bekommen. Und nicht nur ihre: Auch die anderen Helfer und Augenzeugen sind angeschlagen. Die Opfer des Busanschlags waren auf dem Weg zum Flughafen, zurück in die Heimat; Groos hatte am Vorabend noch mit ihnen Abschied gefeiert. In Deutschland hatte sie immer Fremde versorgt, hier in der Truppe waren es Kameraden, die die gleiche Uniform trugen und mit denen sie den Alltag teilte - eine Ersatzfamilie:
"In diesem Lager, in dem man so weit weg ist von zuhause und Heimweh hat und seine Lieben vermisst und auf der anderen Seite so eng zusammenlebt, entwickelt sich das ganz ganz schnell. Nach kürzester Zeit weiß man alles von den anderen."
Die Kameradschaft schweißt die Soldaten zusammen, die gemeinsam erlebte Gefahr tut ihr Übriges. Immer häufiger gibt es im Lager Raketenalarm. Hatte die afghanische Bevölkerung die Bundeswehr anfangs noch als Befreier von den Taliban begrüßt, spürt Heike Groos nun, dass sie als Besatzer wahrgenommen und gehasst wird. Bei Überlandfahrten wird jeder Junge, der am Straßenrand spielt, als potenzieller Widerstandskämpfer misstrauisch beäugt. Zurückgekehrt nach Deutschland, will Groos nicht erneut nach Afghanistan – doch die Bundeswehr kommandiert sie gegen ihren Willen zu weiteren Einsätzen ab. Die Oberstabsärztin Heike Groos, Chefin ihrer Sanitätskompanie, nimmt Haltung an, will vor ihren Soldaten keine Schwäche zeigen:
"Ich musste stark sein, ein Vorbild. Sie verließen sich auf mich, brauchten mich. Dass jemand meine Hand ergreifen, sie halten und drücken würde - mein einziger Wunsch in diesem Moment -, war ausgeschlossen. Ich riss mich zusammen, verschob meinen persönlichen Schmerz auf später."
Dieses "Später" tritt erst ein, nachdem Heike Groos' Dienstzeit bei der Bundeswehr ausläuft. Sie wandert aus, nach Neuseeland, weit weg von Krieg, Gewalt, Todesangst - kommt endlich zur Ruhe – und bricht dann zusammen. Eine schwere Depression lähmt sie monatelang. Erst nachdem sie sich bei einem guten Freund alles von der Seele redet, tritt Heilung ein.
"Ein schöner Tag zum Sterben" heißt das Buch, mit dem sich Groos ihre Afghanistan-Erlebnisse nun auch von der Seele geschrieben hat. Es ist ein radikal ehrliches und sehr emotionales Werk, mit dem Heike Groos weder sich selber, noch die Leser schont. Der Text wurde nur behutsam lektoriert, offenbar, um Groos' Vortrag nichts an Authentizität einbüßen zu lassen. Allerdings hätten etliche Redundanzen sicher problemlos entfernt und einzelne Passagen stilistisch poliert werden können, ohne dass dies die Stimme der Autorin unkenntlich gemacht hätte.
Nichtsdestotrotz: Heike Groos' Buch ist packende und berührende Kriegsliteratur – über einen Krieg, den Deutschland ja nach offizieller Lesart gar nicht führt.
Alles eine Frage der Perspektive. Und die ist in dem Buch "Drachenwind" eine vollkommen andere. Autorin ist Kerstin Tomiak, eine weitere Afghanistan-Heimkehrerin.
"Ich werde die Nacht in einem Schlafsack auf einem Feldbett der Bundeswehr verbringen. Unter afghanischem Sternenhimmel. Steine werden aufgetürmt, ein Feuer angezündet, ein Gitter darübergelegt und Grillfleisch darauf verteilt. Jemand verteilt Bier."
Es ist kaum zu glauben, aber Heike Groos und Kerstin Tomiak waren tatsächlich etwa zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Doch während Groos Verwundete versorgt hat, hatte die Afghanistan-Schutztruppe ISAF die freie Journalistin Tomiak angeworben, eine Gratiszeitung für die Einheimischen zu erstellen – in der Werbebranche würde man das wohl einen Reklamefeldzug nennen. Und während Groos ein Sprachrohr der ersten deutschen Kriegsveteranengeneration seit dem Zweiten Weltkrieg ist, hat Tomiak ihr Afghanistanabenteuer wie eine Erlebnistouristin genossen. Terroranschläge kennt sie nur vom Hörensagen, dafür absolvierte sie viele Stippvisiten bei Hilfsprojekten und porträtiert die Bundeswehr als Samariter in Flecktarnuniform. Wenn sie dabei über politische Themen reflektiert, wirkt das stilistisch flott und unterhaltsam, inhaltlich aber wie ein Schulaufsatz. Aufgekratzt plaudert Kerstin Tomiak über ihre wunderschöne Bildungsreise quer durchs wilde Afghanistan - und entfacht Lagerfeuerromantik:
"Wir sitzen und reden, das Holz knackt im Feuer, Schatten huschen über Soldatengesichter. Alle ebenso dreckig wie meins. Über uns entfaltet sich ein Sternenhimmel von unfassbarer Pracht. Ich versuche zu begreifen, dass ich hier bin, in Afghanistan, an einem Bergsee. Sechsunddreißig Jahre, denke ich, habe ich ein fast normales Leben geführt. Lächle in die samtene Dunkelheit. Afghanistan. So fühlt sich Glück an."
Eine Feldbettgeschichte mit einem Soldaten trägt des Weiteren zu Tomiaks "Glück" bei – und zum Eindruck, dass sich der Titel streckenweise wie eine politische Schmonzette liest. "Drachenwind" und Heike Groos' "Ein schöner Tag zum Sterben" – zwei Afghanistanbücher, die gegensätzlicher kaum sein könnten.
Heike Groos: "Ein schöner Tag zum Sterben. Als Bundeswehrärztin in Afghanistan". Erschienen im Krüger Verlag, 272 Seiten für 18,95 Euro. Und: Kerstin Tomiak: "Drachenwind – Mein Jahr in Afghanistan". Aus dem Knaur-Verlag, 288 Seiten kosten 9,95 Euro. Unser Rezensent war Daniel Blum.