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Schottlands "No"
"Das hat auf jeden Fall die Insel verändert"

Das Ergebnis des Referendums könnte nun eine Föderalisierung des Vereinigten Königreiches sein, sagte der Schottland-Experte Michael Klevenhaus im DLF. Und das sei ein sehr gutes Ergebnis. Persönlich ist er über das Abstimmungsergebnis aber enttäuscht.

Michael Klevenhaus im Gespräch mit Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: Zuerst aber zu den Schotten. Das Land war gespalten viele Monate lang über die Frage, ob Schottland weiter zu Großbritannien gehören sollte oder nicht. Schottische und auch nicht-schottische Künstler, Musiker, Schauspieler und Schriftsteller hatten sich einzeln oder in Gemeinschaftsaktionen auf die eine oder andere Seite geschlagen. Der Autor John Burnside hielt nichts von der Unabhängigkeit, wie er in "Kultur heute" sagte, der Schauspieler Sean Connery war mit Pathos für sie eingetreten. 85 Prozent der abstimmungsberechtigten Schotten haben gewählt, 55 Prozent von ihnen wollen staatlich mit England und Nordirland verbunden bleiben. Die Sache ist also entschieden. Freude und Trauer unter den Schotten sind fast gleichmäßig verteilt.
    - Michael Klevenhaus ist Lehrbeauftragter für Gälisch-Schottisch an der Universität Bonn und Gründer und Leiter des Deutschen Zentrums für Gälische Sprache und Kultur in Bonn. Was überwiegt bei Ihnen, Trauer oder Freude, habe ich ihn zuerst gefragt?
    Michael Klevenhaus: Ich konnte kaum ins Bett gehen, weil ich natürlich sehr aufgeregt war und wissen wollte, wie das Ergebnis war. Aber ich habe es dann doch nicht mehr geschafft und als ich heute Morgen als Erstes die Nachrichten mir angesehen habe, war ich maßlos enttäuscht. Wenn Sie monatelang diese Initiativen mitbekommen, wie ein ganzes Land politisch diskutiert und emotional beteiligt ist, das färbt einfach ab, wenn Sie Sympathien für dieses Land haben.
    Schmitz: Muss man Sympathien für das Land haben, um für die Abspaltung zu sein?
    Klevenhaus: Ich glaube, man muss Sympathien haben für den Willen, seine eigenen Angelegenheiten selber regeln zu wollen. Darum ging es den Schotten eigentlich, dass sie gesagt haben, wir wollen nicht mehr von Westminster fremdbestimmt werden, von der Zentralregierung in London, sondern wir wollen in einem eigenen Schottland unsere Sachen selber regeln. Und das hat die Mehrheit offensichtlich so nicht gewollt.
    Schmitz: Eine Sprache gehört ja immer zum Kern einer sozialen Identität. Die gälische Sprache ist nach dem Englischen die zweite offizielle Sprache in Schottland. Wie viele Schotten sprechen oder verstehen Gälisch?
    Klevenhaus: Nicht mehr so sehr viele, zirka ein Prozent der Bevölkerung. Wir reden von um die 58.000 Menschen, die noch Schottisch-Gälisch reden. Es ist ja eine keltische Sprache, die also mit dem Englischen überhaupt nichts zu tun hat, sondern zu einer eigenen Sprachgruppe gehört. Die Sprecher sind hauptsächlich auf den äußeren Hebriden. Das sind die Inseln, ich sage immer, oben links in Schottland. Und es gibt große Sprechergemeinschaften in den Großstädten Glasgow und Edinburgh, da, wo Leute von den Inseln hingewandert sind um dort Arbeit zu finden. Es ist eigentlich sehr schön verteilt, dass man sich auch trifft und miteinander reden kann.
    Schmitz: Ein Prozent, das sind ja relativ wenige. Zeigt sich darin nicht auch, dass der englische Süden den schottischen Norden kulturell doch so stark geprägt hat, bis in die Sprache hinein, dass die Kraft für einen eigenen Staat dann letztlich nicht aufzubringen ist, grundsätzlich?
    Klevenhaus: Schottland ist natürlich ein englischsprachiges Land und es ist eben auch ein britisches Land. Das darf man nicht vergessen. Trotz aller Eigentümlichkeiten, Eigenständigkeiten hat Schottland 300 Jahre an der britischen Geschichte partizipiert, im Guten wie im Schlechten. Und das steckt man nicht über Nacht einfach so weg. Das ist vollkommen klar. Die gälische Sprache wird vor diesem Hintergrund etwas kontrovers diskutiert. Man hat zum Beispiel ganz bewusst auf dem Abstimmungszettel auf die Zweisprachigkeit verzichtet und hat gesagt, wir setzen das da nur in Englisch hin, weil es eben in Schottland bis heute immer noch große Widerstände gegen die alte gälische Sprache gibt, die Ursprungssprache des Landes. Und man wollte sich da nicht irgendwelcher Chancen berauben.
    Schmitz: Premierminister Cameron hat größere Autonomierechte für Schottland versprochen, wenn die Schotten im britischen Königreich bleiben. Das tun sie nun. Wird das die enttäuschten Gemüter in Schottland besänftigen?
    Klevenhaus: Sie haben eine ganze Bandbreite von Meinungen. Sie haben natürlich Menschen, die sofort heute Morgen angefangen haben, einen Mythos zu stricken, wir haben schon wieder gegen die Engländer verloren und wir haben Schlachten verloren, jetzt auch diese, aber der Krieg ist noch nicht vorbei. Das war eine sehr extreme Meinung. Aber auf der anderen Seite ist doch auch sehr, sehr groß verbreitet die Meinung, wir haben zwar dieses Referendum verloren, aber wir werden für Schottland wirklich gute Sachen dabei herausbekommen. Wir werden weitere Rechte von Westminster bekommen. Wir werden möglicherweise eine eigene Steuergesetzgebung bekommen, dass wir Steuern in Schottland erheben dürfen und die auch für schottische Belange benutzen dürfen. Und damit können wir unser Sozialsystem, unser Erziehungssystem, Gesundheitssystem vor allen Dingen weiterhin sehr, sehr entschieden verteidigen und schützen, anders wie das in England der Fall ist, wo man vieles privatisieren möchte. Und die ganze Sache hat natürlich noch einen anderen Aspekt. Wenn wir von Schottland reden, vom schottischen Parlament – Schotten sitzen nach wie vor in Westminster, im Zentralparlament in London, und können nach wie vor über die Belange des gesamten Königreichs abstimmen. Engländer wiederum haben keine eigene Volksvertretung und können eben auch nicht über schottische Belange abstimmen, weil die werden zukünftig noch viel mehr in Edinburgh entschieden.
    Schmitz: Das Referendum hat doch die Insel verändert. Kann man das sagen?
    Klevenhaus: Das hat auf jeden Fall die Insel verändert. Sie können hinter dieses Ergebnis nicht mehr zurück. Im positivsten Fall kann das Ganze zu einer Föderation, zu einer Föderalisierung des Vereinigten Königreiches führen. Und das wäre in der Tat ein sehr, sehr gutes Ergebnis dieser ganzen Geschichte.
    Schmitz: ... , sagt Michael Klevenhaus von der Universität Bonn zum Ausgang des Referendums in Schottland.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.