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Schreiben als Akt der Sühne?

Fischer: Jürgen Ritte in Paris, der Weg der Nachricht von seinem Tod ist ja schon bezeichnend für diese Figur?

Jürgen Ritte, Paris, im Gespräch |
    Ritte: Ja, das kann man wohl sagen. Es war ein Student, der hin und wieder zu ihm ging und feststellte, dass er nicht mehr öffnete und dann auf dem Anrufbeantworter von France Culture, also dem französischen Radiosender, die Nachricht von seinem Tod hinterlassen hat. Die musste dann erst bestätigt werden. Das ist durch einige Familienangehörige geschehen, so dass man erst am Wochenende sagen konnte, dass Maurice Blanchot wirklich verstorben ist. Er wurde ja schon seit den 70er Jahren regelmäßig in den Medien als sterbend gemeldet. 1980 erschien ein Schulbuch, in dem er als bereits toter Schriftsteller angezeigt wurde. Das Verschwinden, der Tod, das Nichtsein von Maurice Blanchot, also die Frage, ob er überhaupt jemals gewesen ist, gehört bei Blanchot zum literarischen Programm. Für ihn war Literatur immer auch eine Beschäftigung, die mit dem Tod engst verwandt war. Er verglich die Literatur gerne mit vielen Bildern, beispielsweise mit der Kerzenflamme, die brennt, indem sie verbrennt. Das heißt, sie lebt, indem sie auch schon stirbt. Er hat auch in 'La Part Du Feu', in einem Ende der 40er Jahre erschienenen Buch Literatur auf den Orpheus- und Eurydike-Mythos reduzieren wollen. Er sagte darin nämlich 'Literatur ist das, was lebt, indem sie schreibt', indem man Worte aneinander reiht. Aber in dem Moment, wo man sie anschaut, in dem sie Werk wird, erstarrt sie auch schon und spricht schon wieder von Tod, vom Verwischen der Zeichen.

    Fischer: Diese selbst verordnete Unauffälligkeit, diese Leerstelle, die der Mensch Blanchot über Jahrzehnte gewesen ist, lässt ja viel Spielraum für Interpretationen. Üblicherweise wird dann auf das schreckliche Geheimnis seiner Vergangenheit, die intellektuelle Hingabe an den Faschismus hingewiesen.

    Ritte: Ja, das ist 1985 von einem amerikanischen Literaturwissenschaftler an die Öffentlichkeit gebracht worden. Blanchot hat in der Tat in den 30er Jahren vor allen als politischer Journalist gearbeitet. Er war auch Mitarbeiter rechtsradikaler Zeitschriften, hat ab 1940 hin und wieder noch in Zeitschriften des Vichy-Regimes geschrieben. In diesen Beiträgen, die man nicht als republikanisch- oder demokratisch-gesinnt bezeichnen kann, tauchen auch immer wieder antisemitische Zeilen auf. Es ist nicht der Totschlagantisemitismus bei Maurice Blanchot, aber es ist immerhin Antisemitismus. Es ist ein Antisemitismus, den er in eine Reihe mit Antikapitalismus stellt, was vielleicht erklärt, dass er geläutert war und nach der Befreiung 1944 sehr engen Kontakt zu kommunistischen Zirkeln hatte. Aber wie geläutert er war, darüber streitet man sich auch.

    Fischer: Er ist ja auch zum Vorzeige- oder Vorbildintellektuellen für viele Linke geworden.

    Ritte: Er verkehrte vor allen Dingen mit Marguerite Duras und Robert Antelme. Das ist der erste Ehemann von Marguerite Duras, der ein sehr schönes Buch über die Lagerwelt, der er entkommen war, geschrieben hat. Außerdem hatte er viel Kontakt zu Francois Mitterand. Das war ein kleiner Zirkel, der aus Resistance-Zeiten hervorgegangen war. Maurice Blanchot hat schon in den Jahren der Besatzung eine sehr oszillierende Rolle übernommen, indem er einerseits immer noch in offiziellen Zeitungen schrieb, andererseits aber schon einigen Resistance-Milieus angehörte.

    Fischer: In Deutschland ist sein bekanntestes Werk 'Thomas l'obscur' aus dem Jahre 1941 erst sehr spät erschienen, nämlich bei Suhrkamp 1987 unter dem Titel 'Thomas, der Dunkle'. Heute ist das Buch heute nicht mehr lieferbar, eine Neuauflage auch nicht geplant. Was waren seine Themen als Schriftsteller?

    Ritte: 'Thomas l'obscur' ist 1950 noch einmal überarbeitet worden, wie fast alles, was heute von Blanchot lieferbar ist, in Frankreich überarbeitet ist. Seine Themen als Schriftsteller kann man schwer resümieren. Es geht immer um das Schreiben und den Sinn des Schreibens. Am besten kann man das vielleicht an seiner literarischen Vorliebe zeigen. Eine seiner literarischen Vorlieben war Franz Kafka, dem er 1980 noch einen großen Essay gewidmet hat, nämlich 'Von Kafka zu Kafka'. An Kafka beobachtet Blanchot das, was er selber vielleicht vorhatte. Kafka ist für ihn der Schriftsteller, der ohne Projekte schrieb. Bei ihm stellte sich der eventuelle Sinn des Schreibens erst während des Schreibens her. Der Weg, bei dem das Schreiben der wesentliche Aspekt war, war wichtig und nicht das Werk. Das Werk ist für Blanchot schon so etwas wie der Tod, die Versteinerung. Und bezeichnenderweise, dafür war Blanchot sehr sensibel, hat Kafka sein Werk ja per testamentarischer Verfügung verbrennen lassen wollen.

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