"Als sie mich beim Halt in einem Dorf nach der Größe meiner Stiefel fragten, da wurde mir erst klar, dass diese Leute uns entführt hatten. Deshalb habe ich diesen Moment in meinem Buch so ausführlich dargestellt. Die Fahrt dauerte viele Stunden, und dann ging es zu Fuß immer tiefer in den Urwald hinein. Je weiter wir vordrangen, desto endgültiger erschien mir die Situation: Von hier aus gab es kein Zurück mehr."
Noch wusste Clara Rojas nicht, dass sie Jahre unter solchen widrigsten Bedingungen werde verbringen müssen. Sie schildert - im Gespräch wie im Buch - mit einfachen Worten, was eine Geiselhaft im Urwald bedeutet für die von der FARC Verschleppten - und davon gibt es noch Hunderte: Leben in Hütten aus Palmblättern auf unterstem Niveau, fern jeglicher Zivilisation und Information, bedroht von Giftschlangen, geplagt von Ungeziefer, ständiger Nässe und Hitze, ernährt meist nur von Zuckerwasser, Reis und Bohnen. Aber Clara Rojas wollte von Anfang an überleben.
"Gleich zu Beginn habe ich den Tagesablauf zur Routine gemacht. Ich bin früh aufgestanden, habe darum gebeten, mich waschen zu dürfen, anfangs nur in Wassereimern, dann auch mal in einem Bach. Ich habe versucht, alles sauber zu halten, und habe regelmäßig den Lehmboden meines Schlafplatzes mit Palmblättern gefegt. Sauberkeit war mir sehr wichtig: des Körpers und der Kleidung, die ich täglich gewaschen habe. Und ich habe positives Denken geübt trotz all der Angst und Ungewissheit. Ich habe gelesen, wenn es mal ein Buch gab, und geschrieben, wenn ich ein Stück Papier finden konnte. Und ich habe für meine Mutter an einer Decke gearbeitet, monatelang."
Dann versuchte Clara Rojas zusammen mit Ingrid Betancourt zu fliehen, doch sie waren dem Urwald nicht gewachsen. Die Guerilleros fesselten sie danach mit Ketten.
"Es war erschütternd zu erleben, wie man von einem anderen Menschen in Ketten gelegt wird. Ich habe daraufhin erstmal resigniert, weil ich nun die ganze Tragweite dieser Entführung begriffen habe. Und dann habe ich mich von allen, auch von Ingrid, völlig zurückgezogen und darüber nachgedacht, wieso wir uns nur für diese Reise entschieden haben. Hätten wir einen anderen Zeitpunkt gewählt, dann wäre die Geschichte ganz anders verlaufen."
Die beiden Frauen beschuldigten sich gegenseitig, ihre Freundschaft zerbrach, die Guerilleros mussten sie in verschiedenen Bereichen des Lagers unterbringen. Später nimmt das Schicksal von Clara Rojas eine unvorhergesehene Wende: Nach zwei Jahren Haft bringt sie ein Kind zur Welt. Über die Identität des Vaters hüllt sie sich in Schweigen.
"Als ich merkte, dass ich ganz allein auf mich angewiesen sein und keine fachgerechte ärztliche Hilfe erhalten würde, erinnerte ich mich an das Bauernmädchen in meiner Kindheit, das eine solche Situation gemeistert hat. Das gab mir Kraft. Nur musste bei mir ein Kaiserschnitt vorgenommen werden und zwar von einem unerfahrenen, jungen Sanitäter. Ich vertraute auf Gott und meine Gesundheit und wollte unbedingt mein Kind retten, aber das Kind auch selbst in die Arme nehmen. Die Umstände waren äußerst kompliziert, doch auch das habe ich nach einigen Tagen überstanden."
Was Clara Rojas fast beiläufig erzählt, war ein Kampf auf Leben und Tod. Sie brauchte Wochen, um davon zu genesen. Dem kleinen Emanuel, wie sie ihren Sohn genannt hat, wurde bei der Geburt das linke Ärmchen gebrochen. Monate später haben die FARC das Kind der Mutter weggenommen. Es galt als verschollen und wurde erst kurz vor ihrer Freilassung in einem staatlichen Waisenhaus gefunden. Wie erklärt sie sich überhaupt dieses barbarische Verhalten der Guerilla, die vor einem halben Jahrhundert angetreten war, die Welt zu verbessern?
"Ihnen fehlt sowohl ein Bewusstsein für Menschlichkeit als auch für rationale Einsichten. Und sie glauben immer noch, dass sie mit Entführungen den Staat unter Druck setzen können. Wenn aber ihre Forderungen nicht gleich erfüllt werden, wissen sie oft nicht, was sie mit den Entführten machen sollen. Sie vermitteln manchmal sogar den Eindruck, als ob sie das politische Ziel der Entführung gar nicht mehr interessiert. Sie leben wie Entwurzelte in einer eigenen Wirklichkeit des Dschungels. Es ist eine autistische, völlig isolierte Organisation, die glaubt, unabhängig vom Rest der Welt leben zu können."
Dieser Aspekt kommt in der Darstellung von Clara Rojas etwas zu kurz. Sie konzentriert sich ganz auf das menschliche Leid und den täglichen Kampf um die Selbstbehauptung, die das pervertierte Verhalten der Terroristen auslösen. Doch es gelingt ihr, sachlich zu bleiben in dieser hoch emotionalen Geschichte und selbst ihre Entführer ohne Ressentiments zu beschreiben. Darin liegt die Stärke dieses bewegenden Buchs. Den Entschluss dazu fasste sie auf ihrem Flug in die Freiheit.
"Als ich den Hubschrauber betrat und mir das alles wie ein Traum vorkam und ich dann den Urwald von oben sah - was für eine wunderbare Landschaft - da war mir klar, dass ich diese Geschichte selbst aufschreiben müsste. Es wurde zu einer Art Therapie, die es mir erlaubte, meine Gedanken zu ordnen und viele Dinge aus mir herauszuholen, nachdem es mir endlich möglich war, sie zu erzählen."
Peter B. Schumann besprach das Buch von Clara Rojas: Ich überlebte für meinen Sohn. Erschienen im Blanvalet-Verlag, 288 Seiten für Euro 16,95.
Noch wusste Clara Rojas nicht, dass sie Jahre unter solchen widrigsten Bedingungen werde verbringen müssen. Sie schildert - im Gespräch wie im Buch - mit einfachen Worten, was eine Geiselhaft im Urwald bedeutet für die von der FARC Verschleppten - und davon gibt es noch Hunderte: Leben in Hütten aus Palmblättern auf unterstem Niveau, fern jeglicher Zivilisation und Information, bedroht von Giftschlangen, geplagt von Ungeziefer, ständiger Nässe und Hitze, ernährt meist nur von Zuckerwasser, Reis und Bohnen. Aber Clara Rojas wollte von Anfang an überleben.
"Gleich zu Beginn habe ich den Tagesablauf zur Routine gemacht. Ich bin früh aufgestanden, habe darum gebeten, mich waschen zu dürfen, anfangs nur in Wassereimern, dann auch mal in einem Bach. Ich habe versucht, alles sauber zu halten, und habe regelmäßig den Lehmboden meines Schlafplatzes mit Palmblättern gefegt. Sauberkeit war mir sehr wichtig: des Körpers und der Kleidung, die ich täglich gewaschen habe. Und ich habe positives Denken geübt trotz all der Angst und Ungewissheit. Ich habe gelesen, wenn es mal ein Buch gab, und geschrieben, wenn ich ein Stück Papier finden konnte. Und ich habe für meine Mutter an einer Decke gearbeitet, monatelang."
Dann versuchte Clara Rojas zusammen mit Ingrid Betancourt zu fliehen, doch sie waren dem Urwald nicht gewachsen. Die Guerilleros fesselten sie danach mit Ketten.
"Es war erschütternd zu erleben, wie man von einem anderen Menschen in Ketten gelegt wird. Ich habe daraufhin erstmal resigniert, weil ich nun die ganze Tragweite dieser Entführung begriffen habe. Und dann habe ich mich von allen, auch von Ingrid, völlig zurückgezogen und darüber nachgedacht, wieso wir uns nur für diese Reise entschieden haben. Hätten wir einen anderen Zeitpunkt gewählt, dann wäre die Geschichte ganz anders verlaufen."
Die beiden Frauen beschuldigten sich gegenseitig, ihre Freundschaft zerbrach, die Guerilleros mussten sie in verschiedenen Bereichen des Lagers unterbringen. Später nimmt das Schicksal von Clara Rojas eine unvorhergesehene Wende: Nach zwei Jahren Haft bringt sie ein Kind zur Welt. Über die Identität des Vaters hüllt sie sich in Schweigen.
"Als ich merkte, dass ich ganz allein auf mich angewiesen sein und keine fachgerechte ärztliche Hilfe erhalten würde, erinnerte ich mich an das Bauernmädchen in meiner Kindheit, das eine solche Situation gemeistert hat. Das gab mir Kraft. Nur musste bei mir ein Kaiserschnitt vorgenommen werden und zwar von einem unerfahrenen, jungen Sanitäter. Ich vertraute auf Gott und meine Gesundheit und wollte unbedingt mein Kind retten, aber das Kind auch selbst in die Arme nehmen. Die Umstände waren äußerst kompliziert, doch auch das habe ich nach einigen Tagen überstanden."
Was Clara Rojas fast beiläufig erzählt, war ein Kampf auf Leben und Tod. Sie brauchte Wochen, um davon zu genesen. Dem kleinen Emanuel, wie sie ihren Sohn genannt hat, wurde bei der Geburt das linke Ärmchen gebrochen. Monate später haben die FARC das Kind der Mutter weggenommen. Es galt als verschollen und wurde erst kurz vor ihrer Freilassung in einem staatlichen Waisenhaus gefunden. Wie erklärt sie sich überhaupt dieses barbarische Verhalten der Guerilla, die vor einem halben Jahrhundert angetreten war, die Welt zu verbessern?
"Ihnen fehlt sowohl ein Bewusstsein für Menschlichkeit als auch für rationale Einsichten. Und sie glauben immer noch, dass sie mit Entführungen den Staat unter Druck setzen können. Wenn aber ihre Forderungen nicht gleich erfüllt werden, wissen sie oft nicht, was sie mit den Entführten machen sollen. Sie vermitteln manchmal sogar den Eindruck, als ob sie das politische Ziel der Entführung gar nicht mehr interessiert. Sie leben wie Entwurzelte in einer eigenen Wirklichkeit des Dschungels. Es ist eine autistische, völlig isolierte Organisation, die glaubt, unabhängig vom Rest der Welt leben zu können."
Dieser Aspekt kommt in der Darstellung von Clara Rojas etwas zu kurz. Sie konzentriert sich ganz auf das menschliche Leid und den täglichen Kampf um die Selbstbehauptung, die das pervertierte Verhalten der Terroristen auslösen. Doch es gelingt ihr, sachlich zu bleiben in dieser hoch emotionalen Geschichte und selbst ihre Entführer ohne Ressentiments zu beschreiben. Darin liegt die Stärke dieses bewegenden Buchs. Den Entschluss dazu fasste sie auf ihrem Flug in die Freiheit.
"Als ich den Hubschrauber betrat und mir das alles wie ein Traum vorkam und ich dann den Urwald von oben sah - was für eine wunderbare Landschaft - da war mir klar, dass ich diese Geschichte selbst aufschreiben müsste. Es wurde zu einer Art Therapie, die es mir erlaubte, meine Gedanken zu ordnen und viele Dinge aus mir herauszuholen, nachdem es mir endlich möglich war, sie zu erzählen."
Peter B. Schumann besprach das Buch von Clara Rojas: Ich überlebte für meinen Sohn. Erschienen im Blanvalet-Verlag, 288 Seiten für Euro 16,95.