Kuba steckt unter den spanisch sprechenden Ländern aufgrund seiner politischen Situation in einer besonders heiklen Lage. Wichtige Autoren der älteren Generation wie Guillermo Cabrera Infante und Jesús Díaz gingen ins Exil nach London oder Madrid. Der begnadete Reinaldo Arenas starb 1990, mit 47 Jahren, in New York. Eine Nachwuchsstimme wie Zoe Valdés, wohnhaft in Paris, erregt mit erotischen Konfessionen allenfalls kurzlebige Aufmerksamkeit. Und daneben: nicht viel. In den Zentren des kubanischen Exils machen Politiker, aber auch ernsthafte Intellektuelle wie gehabt Stimmung gegen Fidel Castro, den Dinosaurier unter den autoritären Herrschern der Welt. Die Essaysammlung "Mea Cuba" von Cabrera Infante etwa, ein Haßgesang auf Castro und die "Castritis", bringt es auf fast fünfhundert Seiten - ein bedrückendes Zeugnis für die lebenslange Obsession eines Exilierten, der in seinen gut 35 Jahren außerhalb Kubas keinen Roman mehr geschrieben hat.
Doch die Insel, und mit ihr die Literatur, hat sich in den letzten zehn Jahren nachhaltig verändert. Mit dem Euphemismus "Spezialperiode in Friedenszeiten" bezeichnet das Castro-Regime das unerwartete Ende der Sowjetunion; der Zusammenbruch des großen Bruders brachte auch die gelehrigen Marxisten aus der Karibik an den Rand der Katastrophe. Die "Spezialperiode" zwischen 1991 und 1993 schien das unbeugsame Kuba in die Knie zu zwingen und trieb Hunderttausende ins Exil. Die Jungen dagegen, die mit dem Castro-Staat aufgewachsen sind, erzählen etwas andere Geschichten - nicht ünbedingt von Normalität, aber von Ausharren und Weiterwursteln. Etwa die 1961 geborene Ärztin Adelaida Fernández:
Mit dem Schreiben fing ich in Afrika an. Ich ging als freiwillige Ärztin dorthin, für zwei Jahre, und schrieb Briefe an meine Familie in Kuba. Es war eine fast traumatische Erfahrung, davon zu schreiben, was ich sah, von den Krankheiten zum Beispiel. Alle wissen, wie es dort aussieht. Nach und nach verwandelte sich das Schreiben in etwas Besessenes. Zuerst hatte ich meinen Eltern berichtet, es sei alles in Ordnung, doch dann konnte ich nicht mehr lügen und schrieb von der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die ich in Sambia erlebte. Und ich konnte nicht mehr aufhören, es war wie ein Zwang. Das Geld reichte nicht, die Umschläge wurden knapp, aber ich schrieb. Nachts wachte ich auf und musste weiterschreiben. Ich bewahrte die Sachen auf, die sich anhäuften, eigentlich ja Briefe, aber auch so etwas wie ein Tagebuch, und als ich nach Kuba zurückkehrte, erfuhr ich, dass meine Eltern alle Briefe aufbewahrt hatten, und so hatte ich alles beieinander, das ganze Paket.
Doch die kaum dreißigjährige Frau kam vom Regen in die Traufe. Denn ihre Eltern hatten ihr nach Kräften verheimlicht, dass das sowjetische Imperium taumelte und mit ihm die kubanische Subventionswirtschaft. Als sie 1990 auf die Insel zurückkehrte, lag das zuvor idealisierte Land ihrer Kindheit am Boden. Der Schock traf Adelaida Fernández wie eine Keule, und es gab nur einen Ausweg:
Ich begann also wieder zu schreiben, aber jetzt eindeutig in literarischer Form. Jetzt waren es keine Briefe mehr und auch kein Tagebuch. Ich erinnere mich an meine erste Erzählung, die ich 1991 schrieb. Und wie es bei mir so geht, will ich zwanghaft immer mehr: Habe ich einen Sohn, will ich einen zweiten, habe ich einen Ehemann, will ich den zweiten und dritten, und so konnte ich es auch nicht bei einer einzigen Erzählung belassen: Es musste ein ganzes Buch werden! Trotz der schwierigen Lage, in der unser Land damals steckte, spielte ich in diesen Erzählungen mit den Erinnerungen an Afrika, ich musste das alles verarbeiten und gewissermaßen exorzieren. Es war wie ein Alptraum, den man verscheuchen will.
"Mitleid unter der Sonne", ein späterer Text der Autorin, ist eine von 25 Erzählungen junger kubanischer Autoren, die Michi Strausfeld in dem bei Suhrkamp erschienenen Band Cubanísimo! versammelt hat. Adelaida Fernández schreibt gern aus der Ich-Perspektive von burschikosen Frauen, die die Schlachten des Alltags schlagen und um kein Wort verlegen sind. Auch privat pflegt die Schriftstellerin eher einen rauhen Ton. Als Tochter eines einflussreichen Literaturkritikers, dessen Bibliothek das Haus in Havanna füllt, kultiviert sie ein Bild, das wenig zum offiziellen Betrieb passt: Die Wahrheit schreiben, so direkt und schonungslos wie möglich, ob es dem Leser gefällt oder nicht - eine Haltung, die man als Berufskrankheit bezeichnen könnte:
So bin ich auch mit meinen Patienten. Ich sage ihnen offen: Dies oder jenes wird mit dir passieren. Und ich habe das Glück, das meine Patienten mich mögen, auch wenn ich sie manchmal zum Weinen bringe. "Wie kannst du mir sagen, dass ich krank oder arbeitsunfähig bleiben werde!" sagen sie mir. Und ich antworte: "Wenn Du die Behandlung nicht durchziehst, wirst du nie wieder gesund, so einfach ist das." Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich hoffen, dass man mir dasselbe sagt.
Es wäre naiv, von Autoren theoretische Systemkritik zu fordern, als gäbe es in einem literarischen Text nicht einen ganzen Fächer direkter oder indirekter Hinweise, die nur der Deutung bedürfen. Die Wahrheit über die Lebensbedingungen in Kuba kann jeder entdecken, der Augen hat zu lesen. Im Gespräch wiederum erzählt Adelaida Fernández ein halbes Dutzend unfromme Witze über Castro; nur Che Guevara, die Ikone der kubanischen Revoulution, und der Nationalheld José Martí sind für Witzkreationen tabu.
Neben dem zupackenden Realismus dieser Autorin gedeiht aber auch eine Literatur, die man auf Kuba am allerwenigsten erwarten würde: Hier sind besonnene, geduldige Schriftsteller am Werk, die sich im Schreiben eine unantastbare Domäne des Ästhetischen geschaffen haben. Wer sie fragt, wie sie mit der Zensur umgehen, erntet ein Lächeln, ein paar erklärende Worte, ein Achselzucken: Es wird in Castros Reich alles nicht mehr so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Der Staat und seine Kulturbürokraten wollen ja nicht nur sozialistischen Realismus, sie wollen auch im Ausland mit den neuen Talenten hausieren gehen.
Alberto Guerra, Jahrgang 1961, ist einer der Stars der neuen kubanischen Erzählkunst. Er schreibt raffiniert gebaute Texte, die geschmeidig zwischen Wirklichkeit und Fiktion hin- und hertänzeln. Jeder Satz darin ist kalkuliert - das stilistische Erbe der Prosa-Puristen Borges und Cortázar. Wenn man Alberto Guerra so sieht, könnte man sich für den großen, dunkelhäutigen Mann mit dem glattrasierten Kopf auch eine Karriere als Model denken. Aber wir sind in Havanna, wo es weder Models noch Pulloverwerbung gibt. Vielmehr eine ziemlich reglementierte Kulturpolitik, deren Nischen man erst einmal ausfindig machen muß, dazu Papierknappheit, schlechte Vertriebswege, chronischen Geldmangel und eine große Zahl gieriger Leser, die die wenigen, wertvollen Bücher von Hand zu Hand gehen lässt.
Ein Publikum von aficionados. Und so mag es dann doch nicht so überraschend sein, dass die jungen kubanischen Autoren von heute mit heiligem Ernst bei der Sache sind. Alberto Guerra schreibt maximal zwei Erzählungen im Jahr, manchmal auch gar keine. Kunst braucht eben Zeit. Und einen "Markt" im landläufigen Sinn, einen wartenden Verleger, unruhige Rezensenten oder klatschsüchtige Talkshows gibt es ja nicht.
Bevor ich mich ganz der Literatur zuwandte, habe ich an der Universität und an Schulen unterrichtet. Jetzt lebe ich allein vom Schreiben. Und es geht mir gut, was in diesem Fall bedeutet: Manchmal habe ich viel Geld, dann wieder habe ich praktisch nichts. Ich halte mich am Leben wie jeder andere Kubaner auch. Ich ernähre mich von Artikeln für Zeitungen, also vom Journalismus. Dann nehme ich an Literaturwettbewerben teil. Den Preis "La Gaceta de Cuba" zum Beispiel habe ich schon zweimal gewonnen, was noch kein anderer kubanischer Autor geschafft hat. Daneben erhielt ich einen Preis, der für neue Romanprojekte vergeben wird. Außerdem ein dreimonatiges DAAD-Stipendium für Berlin, das mir viel Geld gebracht hat und Zeit zum Schreiben. Dadurch habe ich meinen Roman ein Stück vorangetrieben.
Anders als ihre europäischen Kollegen, die oft mit beiden Beinen im Unterhaltungs- und Amüsierbetrieb stehen, wenn sie nicht gerade Peter Handke heißen, pflegen die jungen Kubaner einen fast asketischen Literaturbegriff.
Der Schriftsteller, sagt Balzac, befragt das Privatleben der Nationen. Und meine Absicht ist, mir mein Leben, meine Umgebung zu erklären - nicht als Journalist, sondern als Künstler. Deshalb muss ich auf Mittel zurückgreifen, die dem Werk zur Dauer verhelfen, damit es dem Leser im Gedächtnis bleibt und nicht verfliegt, wenn das Buch zugeklappt wird. Das heißt: Der Leser muss weiter an mich denken, an meine Figuren, meine Geschichten, an die Art und Weise meines Erzählens. Das ist das große Ziel. Wenn ich es erreiche - Glückwunsch. Wenn nicht, wird es gefährlich, denn das hieße wohl, dass ich mir etwas vormache.
Von der Verbesserung der Menschheit oder zumindest der Gesellschaft ist bei Alberto Guerra nicht die Rede, überhaupt fehlt jede plakative politische Botschaft. Eher spricht der Autor von genauer Selbstanalyse und der Schönheit eines gelungenen Satzes:
Wenn jemand in der Literatur die Politik höher bewertet als die Probleme des Menschen, wird er keine Werke von Dauer schreiben. Dann macht er Illustriertenliteratur. Für mich ist das nichts. Wenn Sie in meiner Erzählungen alles finden, politische und gesellschaftliche Probleme, den Menschen, die Wirtschaft, die Gefühle, das Herz, dann fühle ich mich verwirklicht und verstanden. Aber wenn Sie nur politische Probleme entdeckt haben sollten, wäre ich gescheitert. Denn ich bin kein Politiker, sondern Schriftsteller, der einen anderen Auftrag hat. Er lautet, alles durch Wörter zu prüfen und zu mustern. Das geht weit über Politik hinaus.
Die nach 1959 geborenen Autoren haben verschiedene Etappen im kubanischen Kulturbetrieb miterlebt: als Jugendliche die "grauen fünf Jahre" zwischen 1970 und 1975, als das Regime jegliche Kreativität im Dogmatismus sowjetischer Prägung erstickte. Die Auswanderungswelle von 1980, die zahlreiche Schriftsteller forttrug, darunter eben auch Reinaldo Arenas. Den Kollaps des kommunistischen Systems zehn Jahre darauf. Und die neuerlichen Auswanderungen der neunziger Jahre, begleitet von zaghaften Öffnungstendenzen der Funktionärselite.
In den letzten Jahren hat sich die wirtschaftliche Lage dank des zugelassenen Dollar und steigender Gewinne des staatlich organisierten Tourismus wieder verbessert. Den ins Exil gegangenen Schriftstellern verdankt Alberto Guerra sogar seinen Start: Als sich die Gelegenheit bot, nahm er kurzerhand den Platz der verschwundenen Konkurrenz ein.
Ich war ein junger, unveröffentlichter Schriftsteller. Viele Leute gingen fort, darunter auch Autoren, die als heilige Kühe gegolten hatten. Natürlich herrschte Mangel an Papier, aber neben der Papierknappheit gab es buchstäblich eine Schriftstellerknappheit. Das ermöglichte mir, mich dazuzuschmuggeln. Wir veröffentlichen hier vor allem in Zeitschriften. Und durch solche Veröffentlichungen stellte ich mich auf die neue Situation ein: Ich füllte das plötzliche Vakuum, das entstanden war, nach und nach mit meinem Werk. Das verschaffte mir eine Unmenge von Lesern.
Die "Unmenge" bedeutet in diesem Fall: in Zeitschriften mit einer Auflage von 20.000 Stück zu publizieren, wobei jedes Exemplar durch viele Hände geht. Aber Alberto Guerra hat es auch geschafft, dass seine Erzählungen in New Yorker Magazinen veröffentlicht werden oder Tageszeitungen aus Spanien um Interviews bitten. Und wie manche andere seiner Kollegen verteidigt er die eine oder andere Errungenschaft des kubanischen Sozialismus: dass die Kinder vernünftige Zähne haben, dass sie lesen und schreiben können. Der Rest scheint Nebensache.
Einer der interessantesten Köpfe der neuen kubanischen Literatur ist der Lyriker und Erzähler Antonio José Ponte, Jahrgang 1964. Soeben hat er einige Monate als Gastprofessor in Pennsylvania verbracht. Doch wie kritisch er sich auch über die Politik des Castro-Regimes äußert, weggehen will er nicht.
Die Perspektive, die verschiedenste Kubaner haben - auch Intellektuelle, wenn sie denn ehrlich ihre Meinung sagen, was sie sehr selten tun -, ist gewissermaßen eine gemeinsame. Der Wissenschaftler sieht dasselbe Bild wie der Mann auf der Straße: nämlich dass alles am kubanischen Leben sich um die Entscheidungskraft und die Langlebigkeit Fidel Castros dreht. Gleichgültig, wen du befragst, welchen Experten du heranziehst, ob innerhalb oder außerhalb Kubas, die Bilder ähneln sich. Das zumindest ist mein Eindruck seit geraumer Zeit, in der ich mich frage: Was geschieht in Kuba? Was wird noch geschehen? Wie sieht die Zukunft des Landes aus? Das ist einerseits quälend; andererseits ist es in Ordnung, dass Intellektuelle dieselbe Urteilsmöglichkeit haben wie einfache Leute, die mit Büchern nichts anfangen können. Mit anderen Worten, vor der Zukunft sind wir alle gleich. Niemandem wird vorher erzählt, was noch passiert. Und das, was in diesem Augenblick passiert, vollzieht sich fast immer unterirdisch. Eindeutige Zeichen wirst du nicht lesen können. Du erfährst es nicht aus den Fernsehnachrichten oder einer kubanischen Tageszeitung und auch nicht aus dem staatlichen Radio. Es gibt in Kuba nicht das, was man "Zwischen den Zeilen lesen" nennt. Denn die Information wird eingeschränkt, kontrolliert und ist überaus spärlich, und obendrein ist sie verzerrt.
In einer Erzählung mit dem vielsagenden Titel "Die Kunst, Ruinen zu erschaffen", die in dem Suhrkamp-Band Cubanísimo! enthalten ist, erfindet Antonio Ponte eine unterirdische Stadt unter der eigentlichen, ein alternatives Havanna, dessen rätselhafte Vertreter die Häuser des wirklichen Havanna nach und nach zum Einsturz bringen. Der Autor ist fasziniert von solchen Chiffren. Und er weiß, dass die Zensoren seine vieldeutige Literatur nicht mit Begeisterung sehen. Deshalb hat Ponte von Anfang an bei kleinen Verlegern veröffentlicht, in Auflagen von 200 Stück, und nimmt es hin, dass seine Bücher in Havanna längst nicht mehr aufzutreiben sind. Andererseits wird er in Frankreich gedruckt, auch in den USA, wo der Verlag City Lights in San Francisco schon das zweite Buch von ihm vorbereitet. Wie die Figuren in seinen Erzählungen, die durch eine leicht unwirkliche Welt laufen, bietet Ponte Erklärungen für die Vorgänge in Kuba an, die ihrerseits nach Literatur klingen, Deutungen weit jenseits von Dissidenz oder Konformismus. Die aktuelle Situation hält er für ein Puzzle, das niemand überschaut.
Selbst die Leute, die auf den Fluren der Macht zu Hause sind, können die Einzelteile nicht mehr zusammenfügen. Denn alles ist zersplittert, der eine weiß dieses, der andere weiß jenes, aber das ganze Lied kennt niemand. Vielleicht den Refrain, ein kleines Stück, eine Zeile. Aber das Ganze? Wir glauben ja immer, Fidel Castro kenne das vollständige Lied, aber inzwischen vermute ich: Auch er kennt es nicht.
Antonio Ponte und all die anderen, die nicht weggehen, hängen an ihrem Land. Gelegentlich fällt unter Seufzen die Bemerkung, immerhin seien es Kubaner, die diese Art von Sozialismus veranstalten, daher sei die Sache nicht annähernd so systematisch betonhaft wie seinerzeit in der DDR. Aber das Schreiben ist unter diesen Bedingungen ein stilles Privatreich, kein öffentlicher Protestschrei.
Meine Literatur geht ihre Themen nicht frontal an, sondern schräg, sie umschleicht sie geradezu. Natürlich kann ich von allen Gegenständen reden, etwa in diesem Gespräch, und ich könnte auch in einer öffentlichen Debatte über die Lage Kubas sprechen. Aber in der Literatur würde ich das nicht tun. Weil direkte Literatur, die die Dinge beim Namen nennt, sich erschöpft, wenn diese Dinge verschwinden. Eines ist mir sehr klar: Ich muss etwas schaffen, was die kubanische Revolution überlebt. Nicht nur ich als Mensch muss die kubanische Revolution überleben, meine Literatur muss es auch. Denn die kubanische Revolution ist nur eine Episode, wenn auch eine lange - über vierzig Jahre schon, und wer weiß, wie lange sie noch dauert? Aber innerhalb der Geschichte ist sie nur eine Episode. Wer die Weltgeschichte kennt, weiß, dass das Römische Reich größer war als die kubanische Revolution, auch wenn Fidel Castro und manche Funktionäre das anders sehen. Doch eines Tag ging das Römische Reich unter und verschwand. Alles verschwindet eines Tages - Babylon ging unter, die Französische Revolution verschwand, die Russische Revolution verschwand. Auch die kubanische Revolution wird verschwinden.
Viele kubanische Schriftsteller begreifen das nicht, sie können sich selbst partout nicht jenseits und außerhalb der kubanischen Revolution sehen. Selbst kritische Geister, die nicht an den Staat gebunden sind, wüssten nicht, wie sie in einem Land ohne Revolution überleben sollten: Ihre Literatur klebt an dieser einen politischen Tatsache. Meine Literatur nicht. Meine Literatur beschäftigt sich mit diesem Tatbestand, weil er das Leben bestimmt, das ich hier lebe, und dieser Tatbestand bleibt ein Rätsel. Aber für mich ist er nur Teil viel größerer Rätsel. Mich interessiert etwa das Problem des Todes. Oder des Lebens. Oder die Frage, warum auf den Winter der Frühling folgt, oder warum die Liebe so kompliziert ist, und so weiter. Diese Fragen interessieren mich sehr viel mehr als die kubanische Revolution.
Es scheint, als hätten die verschwundenen Totalitarismen des vergangenen Jahrhunderts auch das Berufsbild des "engagierten" Schriftstellers zum Verschwinden gebracht. In Kuba sind Geschichtsskeptiker am Werk, die über die Zeitläufte hinausdenken und sich an einen ganz altmodischen Gedanken klammern. "Ein Schriftsteller glaubt an die Ewigkeit", sagt Antonio Ponte. "Ich will noch in zweihundert oder dreihundert Jahren gelesen werden." Und ob wir Europäer ihn lesen oder nicht, er wird weiterschreiben.