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Schreiben ist das bessere Leben

Elfriede Jelinek, E.M. Cioran, Friederike Mayröcker, Jorge Semprun - in seinem neuen Buch "Schreiben ist das bessere Leben" hat der Kulturtheoretiker, Autor und Publizist Hans-Jürgen Heinrichs Werkstattgespräche mit unterschiedlichsten Autoren gesammelt. Heinrichs geht es dabei um mehr als poetologische Thesen, sein Gedankenaustausch zielt auf ein ganzheitliches Porträt.

Von Michaela Schmitz | 28.12.2006
    "Also wer nicht leben kann, muß schreiben." So die apodiktische These von Elfriede Jelinek über das Verhältnis des Schriftstellers zu Literatur und Leben. Die größte Motivation für ihr eigenes Schreiben sei ihre fundamentale Lebensunfähigkeit, gibt die österreichische Schriftstellerin in einem Gespräch preis. Eine äußerst seltene Unterhaltung der ansonsten alle Außenkontakte, selbst ihre eigene Preisverleihung meidenden Literaturnobelpreisträgerin. Im Jahr 2000 lud sie ihren Gesprächspartner Hans-Jürgen Heinrichs sogar in ihr Einfamilienhaus ein. Eine Chance, die der Kulturtheoretiker, Autor und Publizist nicht ungenutzt ließ. Entstanden ist ein dichter authentischer Gedankenaustausch, der jetzt in einer Sammlung von Werkstattgesprächen nachzulesen ist. Unter dem Titel "Schreiben ist das bessere Leben" veröffentlichte Heinrichs seine Unterhaltungen mit Jelinek und neun weiteren bedeutenden Schriftstellern. Darunter Friederike Mayröcker, Gerhard Roth oder Jorge Semprun, die dem Publizisten Einblicke in ihre intimsten Beweggründe für das Schreiben und die individuelle Arbeitsweise gaben. Außer dem Gespräch mit E.M. Cioran, das im Frühjahr 1983 geführt wurde, fanden die Unterredungen in den Jahren seit 1999 statt. Die Unterhaltungen wurden oft mehrfach wieder aufgegriffen, weitergeführt, überarbeitet und durch private Dokumente ergänzt. Heinrichs geht es dabei um mehr als poetologische Thesen. Wie seine Biographie über den Psychoanalytiker, Maler und Reisenden Fritz Morgenthaler zielt sein Gedankenaustausch mit den Autoren auf ein ganzheitliches Porträt. Mit seinem interdisziplinären Ansatz möchte der auch als Unidozent für Ethnologie und Psychoanalyse tätige Heinrichs in produktiver Grenzüberschreitung den, so der Autor, "Raum der Faszination am Schreiben und am Geschriebenen, diese in Worten vollzogenen Ortswechsel und Prozesse des Sich-Wandelns wollen (...) sinnlich und intellektuell in Szene setzen." Ihn interessiert, wie künstlerisches Werk und Leben zusammenhängen. Dafür sucht er die Schriftsteller direkt vor Ort in ihren Schreibwerkstätten in Rom, Paris oder Wien auf. Und führt die Leser mit der Beschreibung seiner subjektiven Eindrücke während des Besuchs an die dokumentierten Gespräche heran. Auch die vorangestellten persönlichen Dokumente sollen das intellektuelle Autorenprofil um sinnliche Elemente erweitern. Selbstgemalte Bilder präsentieren der mit Ingeborg Bachmann befreundete Komponist Hans-Werner Henze und der französisch-südafrikanische Maler und Schriftsteller Breyten Breytenbach. Der rumäniendeutsche Essayist und Autor E.M. Cioran gibt Antworten auf den Proustschen Fragebogen. Danach wäre es für den Philosophen des Scheiterns das größte Unglück: Das Weltende zu verpassen. Andere Autoren haben Fotos und Jelinek ein handschriftliches Manuskript zur Verfügung gestellt, das, so die Autorin, "einzige Blatt in Handschrift, das ich nicht verbrannt habe!" Heinrich ermöglicht mit diesen unscheinbaren individuellen "Fingerabdrücken" immer wieder kleine Grenzüberschreitungen zum Persönlichen. Dadurch gelingt es ihm, nicht nur die literaturwissenschaftlich motivierten Leser mitzunehmen auf seine, so der Autor, "Expeditionen in die vielen Schichten eines literarischen Textes und in die Motivationszusammenhänge, aus denen heraus Schriftsteller ihr Werk schaffen". Eine weitere Besonderheit ist Heinrichs Gesprächsführung: Sie zeugt von fundierter Kenntnis der Werke, ohne sie dagegen beim Leser vorauszusetzen. Und immer wieder tasten seine Fragen über die rein theoretische Poetologie hinaus in das subjektive Erleben des literarischen Schaffensprozesses und die individuellen psychologischen Beweggründe für das Schreiben. Marguerite Duras' emotionale poetologische Reflexion mit dem schlichten Titel "Schreiben" gab dabei den Leitfaden für die Dialoge vor. Ihre Zuspitzungen öffneten, so Heinrichs, "den Fragen und Antworten weite Horizonte und bildeten ein unerschöpfliches Reservoir, das sich stetig ‚anzapfen' ließ und den Gesprächen eine gemeinsame Ebene bereitete." Ihre These "Das Schreiben ist das Unbekannte" wird dabei immer wieder zum Anlass für die Überlegung, ob Schreiben für den Autor eher Zwang oder Freiheit bedeute und er sich eher als Sprachrohr oder autonomer Sprachspieler empfindet. Weitere Angelpunkte bilden Duras' Gedanken zum "Schreibwahnsinn", von der Rückkehr zur Wildheit beim Schreiben, zur Rolle der Einsamkeit oder über das Verhältnis von Schreiben und Schweigen. Das entstandene Panorama lebt von seinen Widersprüchen: Es geht von Jelineks obsessivem Schreibzwang und ihrem Fazit "Die Sprache zerrt mich hinter sich her" über Paul Nizons Verständnis von dem nur in und durch Sprache möglichen Leben und seine Rede vom "Schreiben wie Atmen oder Am Schreiben gehen" bis zu Georges-Arthur Goldschmidts klarer Priorisierung des Lebens gegenüber der Literatur. Schreiben, so Goldtschmidt, "gehört irgendwie zu einer Art unnützer Selbstironie, aber so tragisch ist es nicht. Das wirkliche Leben ist tragischer." Wie sich im Privaten das Politische findet, spiegele sich in diesen subjektiven Selbstaussagen, so Heinrichs, das Objektive. Hans-Jürgen Heinrichs "Schreiben ist das bessere Leben" sind dialogische Reflexionen, die nicht nur intellektuell herausfordern, sondern auch bewegen. Ein Buch, das sich mehr als einmal zur Hand zu nehmen lohnt.