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"Schreiben stärkt"

"Bravery", Mut, ist das Thema des diesjährigen World Voices Festival, zu dem der Schriftstellerverband PEN nach New York lud. Wie viel Mut es für manchen Teilnehmer erforderte, überhaupt in die USA zu kommen, berichtet Buchpreisträgerin Ursula Krechel.

Ursula Krechel im Gespräch mit Karin Fischer | 02.05.2013
    Karin Fischer: Die Opening Night beim PEN World Voices Festival in New York war kein Fest poetischer Stimmen, eher eine Generalversammlung der Tapferen, der Wortstreiter, der Chefankläger unter dem Schreibenden: Michail Schischkin, bekannter russischer Schriftsteller, Mahmoud Darwisch, palästinensischer Autor, der amerikanischen Leutnant der Reserve, Darrel Vandeveld, der seinen Posten als Ankläger bei der U.S. Army aus Protest gegen den Mangel an Rechtsstaatlichkeit gegenüber Guantanamo-Häftlingen aufgab, oder Vaddey Ratner, der das kambodschanische Horrorregime der Roten Khmer überlebte. Auch eingeladen: die deutsche Schriftstellerin Ursula Krechel, ausgezeichnet 2012 mit dem Deutschen Buchpreis für ihren sehr politischen Roman "Landgericht". Frage an Ursula Krechel: Was war dieser Auftaktabend zum Thema Bravery – Mut – für Sie? Ein Appell, eine Katharsis durch Sprache, eine Art Anklage?

    Ursula Krechel: Es gab Teile davon, die eine harte Anklage waren, zum Beispiel dass der palästinensische Autor erzählte, wie schwer es war für ihn, überhaupt nach New York zu kommen – israelische Kontrollen, amerikanische Kontrollen gegen einen Palästinenser, das war klar –, aber es war auch in der Vorrede von Salman Rushdie sehr klar, dass es nicht nur um persönlichen Mut oder um politische Konsequenz geht, sondern eben auch um Wagemut in der Literatur. Wie Sie das jetzt aufgezählt haben, so muss daraus ja geschlossen werden, es geht nur um Dinge. Aber es geht natürlich auch um Darstellungen, um individuelle Sichtweisen, um individuelles Leiden, was Texte bezeugen.

    Fischer: Salman Rushdie hat viele Beispiele aufgezeichnet, heute auch in der "FAZ", in denen mutige Menschen von den Machthabern, die sie kritisiert haben, umgedeutet wurden zu Verbrechern und Staatsfeinden, oder eben mundtot gemacht wurden – von Ossip Mandelstam, der Stalin kritisiert hat, bis hin zu chinesischen Dissidenten von heute. Und ein Thema, ganz wichtig, Russland, die arabische Welt, und zum Teil auch Indien würden vor einem neuen religiösen Extremismus in die Knie gehen. Ist die Aufklärung, ist das mutige Wort auch Ihrer Ansicht nach heute auf dem Rückzug eher?

    Krechel: Am interessantesten dazu hat für mich der türkische PEN-Präsident gesprochen, der bei dem Galadiner zu Gast war. Er sagte: Warum werden unsere Autoren verfolgt? Man kann Intellektualität gar nicht mehr ertragen, man deutet Intellektualität als einen potenziellen Terrorismus um. Und das ist in der Tat eine sehr schwierige Situation, wo man allein mit Literatur eigentlich nur im Zusammenhang mit verschiedenen Organisationen, mit Menschenrechtsorganisationen, weiterkommt. Insofern ist der PEN dafür schon das richtige Forum, weil der Zusammenhalt zwischen den Vorstellungen von einem freien Wort und von freier Entfaltung einer Persönlichkeit und einer Möglichkeit eben auch, so zu denken, wie man es richtig hält, natürlich von Fundamentalisten in aller Welt bedroht wird.

    Fischer: Worin besteht denn Mut für einen Schriftsteller, für eine Autorin heute, und wodurch ist er eben am meisten gefährdet?

    Krechel: Ich glaube, in unseren westlichen Ländern heißt Mut vielleicht am häufigsten, das zu tun und das zu schreiben, was einen wichtig ist, nicht nach Auflagen zu schielen, nicht nach 'was käme heute gut an', sondern eben auf dem Eigenen, auf dem Spezifischen der Literatur, auf dem extremsten ästhetischen Punkt, der einem selbst möglich ist, zu beharren. Dass natürlich das zusammenkommen muss mit großen Themen, mit vielleicht wichtigen Themen, nicht dass der Hamster gestorben ist, das ist vielleicht ganz wichtig. Und wenn man eben diese Autoren aus aller Welt sieht, aus welchen Hintergründen sie kommen, so ist, dahinzukommen, um heute hier zu stehen, und eben seine Literatur zu vertreten, auch doch etwas sehr Wichtiges.

    Fischer: Sie haben noch einige andere Veranstaltungen des PEN World Voices Festival besucht. Was ist Ihnen aufgefallen?

    Krechel: Es ist mir aufgefallen eine große Freundlichkeit untereinander, ein großes Interesse, es ist perfekt organisiert, es ist eine Art von Begeisterung für das, was man tut, Begeisterung für Literatur und für mögliche andere Wirkungsweisen für Literatur. Es gibt zum Beispiel ein Panel über kleine Sprachen, über Zeit in der Literatur – meine österreichische Kollegin macht in dieser steinernen Stadt einen kleinen Workshop, der heißt "Imagine your own garden". Und das sind einfach vielleicht Sonderdinge, die einfach Kraft und Fantasie und so etwas stärken. Eine andere Initiative des PEN ist, in die Gefängnisse zu gehen und mit Leuten, die dort inhaftiert sind, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Schreiben stärkt ja, Schreiben stärkt die Fantasie, und das sind Dinge, die mir sehr auffallen, die mir auch Mut machen, dass wir in Deutschland auch offensiver, nicht nur für politische Dinge, sondern eben auch für ästhetische Dinge eintreten können.

    Fischer: Die Schriftstellerin Ursula Krechel war das vom PEN World Voices Festival in New York.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.