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Schreiben statt schlafen

Die Europa-Universität Viadrina hat zur bundesweit ersten "Langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten" eingeladen. Mit Laptop und Kaffee bewaffnet haben die Teilnehmer Schreibblockaden und "Aufschieberitis" den Kampf angesagt.

Von Nico Hecht |
    "So, Tassen sind sauber. Drei Pfund Kaffe haben wir gekauft. Das muss reichen!"

    Doktor Katrin Girgensohn hat noch Tassen abgewaschen. Nun soll es der Aufschieberitis, wie sie es nennt, an der Kragen gehen. Das gehe am leichtesten gemeinsam und in der Nacht:

    "Weil das nämlich unheimlich anspornt, wenn alle auf ihren Tastaturen klicken oder alle gerade den Stift über das Papier sausen lassen, dann kann man gar nicht anders als selbst auch schreiben."

    Als die Studenten kommen, sollen sie als erstes überlegen, was sie in dieser Nacht schaffen wollen. Damit fangen für viele die Probleme schon an, auch für Shira Porath.

    "Ich muss einen Bericht über eine Ausstellung über die Gotik schreiben. Und ich bin so ein bisschen hilflos."

    Solche Probleme kennt Katrin Girgensohn. Die Studenten sammeln Material, sind aber nicht immer in der Lage für sich daraus die wissenschaftlichen Fragestellungen zu formulieren. Deshalb schieben sie die Hausarbeiten vor sich her.

    "Ein Beispiel, dass man, bevor man Material auswertet, nicht klar hat: Was ist eigentlich die Frage, die ich beantworten möchte. Dann stellen wir manchmal fest, das sich Studierende nicht so richtig im Klaren sind, was sind die Ansprüche an einen wissenschaftlichen Text. Oder sie haben das Gefühl, wissenschaftlich kann ich nicht schreiben. Und wenn man das aber denkt, blockiert man sich."

    Deshalb hat die Europa-Uni an der deutsch-polnischen Grenze in Frankfurt Oder ein Schreibzentrum eingerichtet. Das Vorbild dafür liefern amerikanische Hochschulen, an denen es üblich ist, dass Tutoren den Studenten helfen, wissenschaftliches Schreiben zu lernen. In Deutschland bieten gerade mal ein gutes Dutzend Hochschulen diese Unterstützung, sagt Katrin Girgensohn.

    "Ich glaube, es kommt ein bisschen daher, dass wir in Deutschland sehr stark geprägt sind von dem Bild, das Schreiben ein angeborenes Talent ist. Dass es Genies gibt, die schreiben können, und andere, die es nicht können. Und der Gedanke, dass Vieles auch Handwerk und Übung ist, der ist noch nicht so verbreitet."

    Das haben aber die Studenten in Frankfurt begriffen. Ab 20 Uhr sind nämlich fast alle Tische belegt. Finger fliegen über Tastaturen, neben den Laptops türmen sich Bücher, Hefter und Schokolade. Die soll die nötige Energie liefern. Aber nach nur 90-minütiger konzentrierter Arbeit setzt um 21 Uhr 30 kollektives Gähnen ein. Zeit für ein wenig "Schreibtischyoga" sagt Tutorin Franziska Liebetanz.

    "Wir strecken uns, lassen uns nach vorne fallen."

    Eine Stunde vor Mitternacht ist Ruhe eingekehrt. Die Studenten blättern in ihren Büchern hin und her, das Tastengeklapper ist deutlich leiser geworden. Doch in dieser Nacht können die, die eine Schreibblockade spüren, die Tutoren um Rat fragen. Sebastian Schönbeck ist einer von ihnen.

    "Ich hatte heute eine Studentin, da ging es eher darum, ob ihre Argumentation schlüssig ist. Dazu hätte ich eigentlich die Arbeit lesen müssen. Was ich machen konnte, ich konnte mir ihr Problem anhören, hab relativ viel gefragt und auch, ob sie jetzt bei bestimmten Punkten besonders unsicher ist und hab so versucht, sie auf ihre eigenen Fehler aufmerksam zu machen"

    Die Studenten sind gut vorangekommen. Ab 24 Uhr geht es vor allem darum, welche genaue Frage die Hausarbeit beantworten soll, ob die Rohfassung verständlich ist und wie man richtig zitiert - eigentlich genau wie in den Sprechstunden - Sebastian Schönbecks Fazit in dieser Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten:

    "Was anders war, dass die Studenten heute, unter einem ziemlichen Zeitdruck standen. Was einfach damit zusammenhängt, dass in drei Wochen die Semesterferien vorbei sind. Und deswegen hat man heute schon gemerkt, dass ihnen das ganz schön an die Nieren ging."

    Die lange Nacht im Schreibzentrum der Viadrina hinterlässt gegen zwei Uhr morgens deutliche Spuren der Anstrengung bei allen, die dabei sind. Deshalb legen sich die Tutoren ganz im Sinne der Studenten noch einmal richtig ins Zeug.

    Danach geht es in den Endspurt bei der ersten langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten an der Frankfurter Viadrina. Um sechs Uhr klappen die Letzten ihre Laptops zu. Eine vollständige Hausarbeit ist natürlich nicht entstanden, sagt Katrin Girgensohn. Die Studenten haben aber erlebt, dass wissenschaftliches Schreiben durchaus erlernbar ist.