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Schreibkräfte. Über Literatur, Glück und Unglück

Schreibkräfte. Die Assoziation der Triebkräfte liegt nahe und wird vom Autor selbst ins Spiel gebracht. Selbstportrait des Essayisten als Triebtäter, so könnte man den Titel des Buches von Franz Schuh verstehen. Könnte man, aber so einfach und plakativ geht es bei einem so differenzierten Kopfarbeiter selbstverständ-lich nicht zu. Obwohl eine Form von Besessenheit dem Essayisten, zumal dem weniger gut betuchten, unterstellt werden darf. Denn er produziert am Bedarf vorbei. Er passt weder in das akademische noch in das literarische System, und das Bedürfnis nach schnellen Urteilen, die ein breites Publikum sich erhofft, um mitreden zu können, erfüllt er schon gar nicht. Eine monadische Existenzweise unterstellt Franz Schuh sich selbst. Das öffentliche Nachdenken hat nicht mehr viele Orte, zwecklos und schlecht bezahlt ist es ohnehin. Doch wenn es erstürbe - es wäre nicht auszudenken.

Joachim Büthe |
    Das klingt nach Koketterie und Larmoyanz- und eine Spur davon ist gewiss vorhanden, doch gleichzeitig ist es meilenweit davon entfernt. Denn dass es eine Lust ist zu schreiben und zu lesen, daran lässt der Melancholiker Schuh unterm Strich keinen Zweifel aufkommen. Sonst ergäbe der Untertitel "Über Literatur, Glück und Unglück" ja keinen Sinn. Ob Etikettierungen und speziell Selbstetikettierungen wie Melancholiker oder Monade so stehen bleiben können, daran sind Zweifel erlaubt. Und Franz Schuh wäre der erste, der sie teilte.

    Man muss die Verhältnisse zum Tanzen bringen, indem man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt. So hat es sinngemäß ein gewisser Marx einmal ausgedrückt. Franz Schuh wendet dieses Verfahren auf die Begriffe an. Wenn man den Denkprozess nicht abschließt, dann geraten die Begriffe, ohne die er ja nicht möglich wäre, all-mählich aus den Fugen, erweitern sich und kommen ihrem Gegenteil immer näher. Nicht, dass Glück und Unglück nun in eins fielen, doch das eine schlicht als die Abwesenheit des anderen zu denken und zu empfinden, das geht nun nicht mehr. So sehr einem leichtfertige Zuschreibungen im Zuge der Lektüre mit Erfolg verleidet werden, vielleicht gibt es doch einen vorherrschenden Zug im Schuhschen Denken, und wenn es ihn gäbe, dann wäre es eine Art radikaler Ironie. Über (literarische) Radikalität, so heißt ei-ner seiner Essays über das Werk von Konrad Bayer und dessen Voraussetzungen. Bei aller Wertschätzung der Arbeit Konrad Bayers wird an diesem Beispiel auch deutlich, welche Form von Radikali-tät Franz Schuh nicht nachvollziehen mag. Es ist eine existenzielle Radikalität, die das Werk mit dem eigenen Tod beglaubigt. So heiter ist das Leben zwar nicht, aber die Kunst auch nicht so ernst, daß es sich lohnte, es für sie herzugeben. Der längste Essay ist der eigenen Profession, der Literaturkri-tik gewidmet. Ein tollkühnes Unterfangen angesichts der Berge von Essays über literarische Kritik, deren ganze Widersprüchlich-keit Franz Schuh schon in der Titelzeile elegant zusammenfaßt:

    All you need is love. Natürlich, alle Künstler wollen geliebt sein, und zwar von allen. Und die Kritiker natürlich auch, beson-ders wenn sie sich mit letzteren verwechseln. Andererseits ist hinreichend bekannt, dass in diesem Gewerbe, in dieser Gemengelage hinter der freundlich-kollegialen Fassade das Hauen und Stechen unübersehbar ist. Es sind (Selbst-)Widersprüche dieser Art, die Franz Schuh unwiderstehlich anziehen. Ironie ist eben nicht etwas von außen Hinzugefügtes, eine Haltung; sie kommt aus den Sachen und Sachverhalten selbst. Die Verkünder des Endes der Iro-nie sind in seinen Augen denkfaule Deppen. In den meinen übrigens auch. Doch dies trifft nur die Oberfläche des Betriebs, dessen Voraussetzungen Franz Schuh bis in die anthropologischen Grund-lagen nachgeht. Mit Elias Canetti z.B. folgt er der Grundkonstante des Urteilens, seiner wesenhaft agressiven Ausrichtung und Zweifelhaftigkeit und leider auch Notwendigkeit. Wer dies alles weiß, urteilt nicht leichten Herzens. Obwohl er ein Verdikt, daß ihm aus der Seele spricht, erleichtert und befreit begrüßen kann. Doch er interpretiert behutsam. "Ich glaube', sagt Franz Schuh dann, oder 'Ich lege es mir so zurecht'. Je fundierter die Ergebnisse des Denkens, desto vorläufiger sind sie. Es hört ja niemals auf, und die Unabschließbarkeit des Nachdenkens ist ein großes Glück. Das Glück ist eine Hilfe, sagt Franz Schuh. Zum Glück gibt es solche Überlebensmittel wie seine Essays.