Archiv


Schrift, Zeichen und Geste

Der DDR-Künstler Carlfriedrich Claus hat Zeit seines Lebens in einer Eremitenklause im erzgebirgischen Annaberg gearbeitet – abgeschieden von der ihn umgebenden real-existierenden Welt namens DDR. Nun will seine Heimatstadt Chemnitz ihm mit der Ausstellung "Schrift. Zeichen. Geste. Carlfriedrich Claus im Kontext von Klee bis Pollock" einen gebührenden Platz in der Kunstgeschichte bereiten.

Von Gottfried Blumenstein |
    Carlfriedrich Claus´ 75. Geburtstag im August mag der äußere Anlass gewesen sein, nicht zuletzt, um zahlreiche Förderer und Sponsoren mit ins Ausstellungsboot zu bekommen. Darüber hinaus war aber die Zeit längst reif, diesen einzigartigen Weltkünstler, nein eigentlich müsste man sagen Weltweisen, aus der tiefsten sächsischen Provinz nicht nur umfassend zu präsentieren, sondern ihn in einen Zusammenhang zu stellen und zu hängen mit Weltberühmtheiten wie Klee, Malewitsch, Lissitzky bis hin zu Cage, Pollock oder Ilja Kabakov. 360 Werke von insgesamt 110 Künstlern schmücken mit dem Motto "Schrift. Zeichen. Geste." das Oeuvre von Carlfriedrich Claus.

    Befürchtungen, das dessen Arbeiten der geballten Weltprominenz nicht standhalten würden, waren bereits nach einem ersten informellen Rundgang völlig nichtig, im Gegenteil, ein zweiter gründlicher Blick bewies, das diese Gegenüberstellung das Werk von Claus erst richtig groß, bedeutsam und geradezu unerlässlich machte.

    Dieser Beweis durfte freilich nirgendwo anders als in Chemnitz, vormals Karl-Marx-Stadt geführt werden, wo Carlfriedrich Claus aus dem nahe gelegenen Erzgebirgsstädtchen Annaberg nach der Wende hingezogen war, wo er 1998 an einem Schlaganfall starb und wo man eine Stiftung gegründet hat, um den gewaltigen Nachlass, allein 22.000 Brief sind zu sichten und zu ordnen, hingebungsvoll zu betreuen.

    Anderswo wäre dies alles sowieso fehl am Platz, denn der exemplarische Sonderfall Claus, der sein Leben ganz seinem Denken und Schaffen untergeordnet hat, war nur möglich an diesem Ort im Erzgebirge, zu dieser Zeit und exakt unter jenen sonderbaren politischen Umständen, die die so genannte DDR in ihrem mal erdrückenden und mal geradewegs entgeisterten Wahnvorstellungen heraufbeschworen hat.

    Claus verstand sich zeitlebens als Kommunist, freilich nicht in der offiziell-dümmlichen DDR-Lesart aber auch nicht in jenem krakeelenden Sinne Biermanns etwa, dessen Ausbürgerung mitsamt den Nachfolgeereignissen er nicht einmal registriert geschweige denn kommentiert hatte. Claus hielt sich an Menschenfreunde wie Ernst Bloch, Rudolf Steiner, Marx, Paracelsus, Jakob Böhme oder jüdische Kabbalisten. Dabei nie eifernd, sondern von Gelassenheit und Zuversicht angeweht, die sich aus einer Würde speiste, die man eben nicht kaufen kann und die in den ärmlichen Annaberger Verhältnissen sich wie in einem perfekt geschützten Kokon entwickelte. Dagegen war die Stasi völlig machtlos, denn Claus war weder zu bestechen noch zu erpressen, sondern die Stasileute selbst wurden in ein sanftes Kreuzverhör genommen und verfingen sich im magisch-marxistisch geknüpften Netzwerk des Denkens von Carlfriedrich Claus.

    O-Ton Lautprozessraum: " Vorwiegendes Operationsgebiet war der eigener Körper bis hin zu den Nerven- und Gliazellen seines Gehirns, dessen Aktionen er in Experimenten erforschte und dokumentierte, weil diese zwingend das soziale Verhalten determinierten. Die Marx-These "Das Sein bestimmt das Bewusstsein" wurde von Claus ins Extreme weitergesponnen. Und so begrüßte er seine beinahe tödliche Erfahrung mit der Tuberkulose, denn für ihn kam, wie er in einem Brief schrieb, "die Krankheit gerade im rechten Augenblick, denn sonst wäre er in geistvernichtenden Gefilden gelandet." "

    Dies dürfte eine seiner Grunderfahrungen gewesen sein, und der gewaltige Rest ergab sich zwangsläufig.

    Claus erforschte jeden Winkel in sich selbst, selbst im Schlaf war er noch aktiv und setzte die Nacht in "Ups and Downs" um. So wucherte sein Werk wie ein Gespinst substantieller Welterkenntnis voller magischer Zeichen und Gesten vor sich hin, sei es nun in Gedichten, Aquarellen, Briefen, Radierungen, Sprachblättern, Graphiken oder mit in Mikrofonen aufgefangene und neu zusammengesetzte Sprechaktionen:

    O-Ton Lautprozessraum: " Das verblüffende an dieser Ausstellung, die das Schaffen von Carlfriedrich Claus mit 125 Arbeiten umfassend darstellt, ist letztlich der Zugang, der sich auch dem Besucher, der nicht sofort alle philosophischen Hintergründe parat hat, geradezu perplex eröffnet. Es ist die perfekte Schönheit der Linie, des Strichs, der Komposition. Es gibt Arbeiten, von denen man einfach den Blick nicht wenden mag. "

    Möglicherweise würde dies Carlfriedrich Claus, der wie Parsifal in reiner Unschuld sein Leben für eine besseres Morgen fristete, diesen ästhetischen und ein bisschen geschmäcklerischen Zugang nicht goutieren, aber damit kann sein Werk sicherlich gut leben.