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Schriftsteller Boris Strugazki im Alter von 79 Jahren gestorben

Er galt mit seinem Bruder Arkadi als Begründer der russischen Science-Fiction-Literatur. Politisch hatte Boris Strugazki einen derart eigenen Kopf, dass er zwar die Mächtigsten brüskierte, aber dennoch als Autor hoch geschätzt war.

20.11.2012
    Dina Netz: Jetzt kannn er sich dagegen ja nicht mehr zur Wehr setzen: Russlands Präsident Wladimir Putin hat heute gesagt, "Boris Natanowitsch Strugazki war einer der brillantesten, talentiertesten und beliebtesten Autoren". Und Ministerpräsident Dimitrij Medwedew hat ihm beigepflichtet und Strugazki einen "unersetzlichen Verlust für die Literatur" genannt. Dabei war Boris Strugazki ganz und gar kein Freund der russischen Regierung. Er hat gesagt, unter Putin sei Russland zur Stagnation der früheren Sowjetunion zurückgekehrt, hat einen langen, auch veröffentlichten Briefwechsel mit dem Putin-Gegner Chodorkowski geführt, Petitionen zur Freilassung von Oppositionellen unterschrieben. Das war seine politische Seite. Vor allem aber war Boris Strugazki tatsächlich ein wichtiger russischer Autor – gestern Abend ist er 79-jährig in St. Petersburg gestorben. Frage an Sascha Mamczak, der die Science-Fiction-Reihen beim Heyne-Verlag und auch die Bücher der Brüder Arkadi und Boris Strugazki herausgibt: Die Brüder Strugazki, die gelten ja heute als wichtigste Vertreter der russischen Phantastik, wenn nicht gar als Begründer der russischen Science-Fiction. Kann man das so sagen?

    Sascha Mamczak: Ja. In gewisser Weise sind sie die zentralen Autoren der russischen Science-Fiction. Was vorher war, hat sich eher aus einer Erzähltradition des Märchens gespeist, und die Brüder Strugazki haben daraus die moderne Phantastik gemacht, also die mit Science-Fiction-Elementen angereicherte Phantastik.

    Netz: Vielleicht können Sie mal ein Buch beispielhaft – ich weiß nicht, welches Ihnen am nächsten ist – herausnehmen und beschreiben, wie Sie das gemacht haben?

    Mamczak: Vielleicht nehmen wir das bekannteste, es ist auch eines ihrer besten: "Picknick am Wegesrand". Das wurde ja dann verfilmt von Andrei Tarkowski als "Stalker". Der Grundplot ist, dass die Außerirdischen die Erde besucht haben, aber sich nicht groß für die Menschen interessiert haben, sondern sie sind wieder abgeflogen und haben Sachen zurückgelassen, mit denen wir Menschen uns jetzt herumschlagen müssen, die wir aber nicht verstehen. Und diese Dinge von den Außerirdischen liegen in sogenannten Zonen und es gibt Menschen, die diese Zonen betreten und versuchen, herauszufinden, was es mit diesen Objekten auf sich hat. Also Sie sehen: Der Grundplot kreist um ein Riesenrätsel, das nie aufgelöst werden kann. Ständig kreisen die Protagonisten der Brüder Strugazki um Rätsel und versuchen, die in irgendeiner Form mit dem, was Menschen wissen können, in Einklang zu bringen. Manchmal gelingt es, manchmal nicht.

    Netz: Die Bücher der Brüder Strugazki, die spielen ja in fiktiven Welten, trotzdem war die Sowjetunion als sozusagen allegorische Folie immer deutlich erkennbar. Konnten die beiden eigentlich problemlos veröffentlichen?

    Mamczak: Überhaupt nicht. Sie haben zwar veröffentlicht, im Gegensatz zu den bekannten Regimekritikern, die natürlich nicht publiziert werden durften, aber problemlos war das überhaupt nicht. Sämtliche Manuskripte mussten der Zensurbehörde vorgelegt werden, wurden hin- und herdiskutiert und auch in stark veränderter Form dann publiziert. Ja, bis in die Gorbatschow-Ära hinein wurden diese Texte verändert. Aber – und das ist der große Vorteil des phantastischen Genres – die Zensurbehörden, das waren ja alles Bürokraten, und wie es bei Bürokraten oft so ist: die waren ein bisschen dumm. Sie haben gewisse Metaphern und gewisse Plot-Elemente gar nicht verstanden. Die Leser, die haben es aber sehr gut verstanden.

    Netz: Das wollte ich Sie gerade fragen. Hierzulande kennen wir ja von den beiden vor allem die Tarkowski-Verfilmungen ihrer Bücher, zum Beispiel eben "Stalker" oder "Die Wunschmaschine". Aber in ihrer Heimat, da waren die beiden richtige Stars, oder?

    Mamczak: Ja. Ich glaube, in Russland gibt es kaum jemand, der die Brüder Strugazki nicht kennt.

    Netz: Die haben ja seit 1964 zusammen geschrieben, diese Brüder Boris und Arkadi Strugazki. Weiß man eigentlich, wie das funktioniert hat, wer da wofür zuständig war?

    Mamczak: Wenn Sie in unserer Werkausgabe nachlesen, da kann man ganz gut erkennen: es gab keinen festgelegten Prozess, wer was wann schreibt, sondern sie waren eigentlich ein Autor, ein Autor, der sich aus zwei Menschen zusammengesetzt hat.

    Netz: Wie geht das denn?

    Mamczak: Es ist ganz eigen. Die Ideen wurden ständig hin- und hergeschickt, es wurde jongliert, vieles wurde auf gemeinsamen Spaziergängen weiterentwickelt, dann hat der eine wieder was geschrieben, das hat der andere dann übernommen. Aber man kann das überhaupt nicht auseinanderklamüsern, wer was geschrieben hat. Deshalb sind die wenigen Texte, die die Brüder einzeln geschrieben haben im Laufe der Jahre, die wurden unter einem ganz anderen Pseudonym veröffentlicht. Und der Autor Arkadi und Boris Strugazki ist quasi gestorben, als Arkadi gestorben ist, und das war ja schon 1991.

    Netz: Wir reden jetzt über seinen Bruder Boris, der gestern Abend gestorben ist. Der hat ja auch nach dem Tod seines Bruders tatsächlich noch zwei Bücher veröffentlicht. Wissen Sie, was das für Bücher waren?

    Mamczak: Das waren auch phantastische Romane, die sich sehr stark mit der Kindheit von Boris Strugazki befasst haben. Er hat ja in Leningrad den Zweiten Weltkrieg erlebt. Sie hatten aber nicht mehr so diesen Strugazki-Sound, der halt irgendwie immer nur zu verstehen ist oder richtig zu goutieren ist, wenn man die Folie der Sowjetunion vor Augen hat.

    Netz: Ich hab schon gesagt, dass Boris Strugazki ein vehementer Putin-Kritiker war. Wie wichtig war er denn als Figur des öffentlichen Lebens in Russland?

    Mamczak: Ich hatte so ein bisschen das Gefühl - er hat ja auch dann viel publiziert in Tageszeitungen und Magazinen -, dass er so ein bisschen memoralische Autorität darstellte, vielleicht so wie bei uns Günter Grass oder so, auf dieser Ebene quasi – Menschen, an denen man sich reibt, denen man auch nicht immer zustimmt in ihrer Meinung, aber wenn sie was sagen, dann sollte man das wirklich sehr, sehr ernst nehmen.

    Netz: ... , sagt Sascha Mamczak vom Heyne-Verlag. Er erinnerte an den russischen Autor Boris Strugazki.

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