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Schrill, verstörend, bunt

Er gilt als einer der wichtigsten US-Künstler der 90er-Jahre, seine zerfetzten Kuscheltiere machten ihn berühmt. Als einen großen Verlust für die Kunst bezeichnet die Direktorin des Frankfurter Museum für Moderne Kunst den Tod von Mike Kelley, der sich in der Nacht zum 2. Februar das Leben nahm.

Susanne Gaensheimer | 02.02.2012
    Karin Fischer: Schamlos, respektlos, bunt, aber auch verstörend – so könnte man vielleicht die Kunst Mike Kelleys beschreiben, der einflussreichste "Underground"-Künstler der USA. Er wurde in der Nacht zum Mittwoch in seinem Haus in der Nähe von Los Angeles tot aufgefunden, die Polizei geht von Selbstmord aus; Kelly wurde 57 Jahre alt. Er hat seine Themen in der Popkultur gefunden, in Comics oder Filmen. Er machte Videos, Performances, auch Trash, die als kritische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit der USA gewertet wurden.

    Susanne Gaensheimer, die Direktorin des Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, habe ich vor der Sendung gefragt, ob Mike Kelley als Enfant terrible kanonisiert wird, oder als der medial versierte US-Gesellschaftskritiker?

    Susanne Gaensheimer: Nein, er war sicherlich zu Beginn seiner Karriere, die er in Detroit begann als Punkmusiker, da war er natürlich das, was Sie jetzt als Enfant terrible bezeichnet haben, und immer extrem gesellschaftskritisch, und das hat er auch in seiner Kunst so weitergeführt. Aber er war eben auch – und das spricht nun für die Qualität und die Wichtigkeit seiner Arbeit – ein Künstler, der sich weiterentwickelt hat, der nicht stehengeblieben ist. Und gerade in den letzten Jahren ist eine ganz neue Serie entstanden, in der diese Themen, die Sie vorhin genannt haben, immer noch präsent sind und einfließen, aber er inzwischen eben auch neue Formen weiterentwickelt hat, diese dann eben umzusetzen und zu thematisieren. Aber er ist mit Sicherheit sowohl was seinen Umgang und seine Kritik an den Medien betrifft, als auch seine gesellschaftskritischen Inhalte einer der wichtigsten amerikanischen Künstler der 90er-Jahre bis heute.

    Fischer: Dann sagen Sie doch bitte mal, Frau Gaensheimer, wie das konkret aussah? Man hat sein Werk auch "labyrinthisch" genannt.

    Gaensheimer: Das Werk ist ja sehr, sehr vielschichtig. Also er hat ja in den unterschiedlichsten Medien und Formen gearbeitet. Es gibt Performance, es gibt eben die Beschäftigung mit Musik, mit Pop, mit Punk. Aber dann sind eben auch skulpturale Arbeiten entstanden, die oft bizarrste Erscheinungsformen hatten, unterschiedlichster Materialität. Das kann man gar nicht so kategorisieren. Also das Wichtige war wirklich immer der Inhalt. – Es sind auch Gemälde entstanden, Stoffbanner, Comics. Also man kann die Arbeit von Mike Kelley medial nicht kategorisieren, oder auch nicht sozusagen mit einem Satz beschreiben, dazu ist sie viel zu vielfältig.

    Fischer: Er hat die stärksten Reaktionen erhalten eigentlich für seine zerstörten oder abgenutzten Puppen und Stofftiere, von denen viele dachten, dass es ein Hinweis auf Kindesmissbrauch sein solle. Er hat ja auch zum Beispiel diese Heile-Welt-Figur "Heidi" zusammen mit Paul McCarthy in einem Umfeld der Gewalt ausgesetzt. Er hat das selber so aber offensichtlich gar nicht gesehen?

    Gaensheimer: Ja. Also das ist ja noch mal was anderes, was die Künstler dann von sich aus zu ihrer Arbeit sagen. Das ist ein Interpretationsansatz, der durchaus seine Berechtigung hat, aber ich denke, dass diese Werkgruppe schon sehr viel weitergeht. Es geht da bei Mike Kelley immer um einen breiteren gesellschaftskritischen Ansatz, und mit dieser Arbeit, Auseinandersetzung, Beschäftigung mit Stofftieren, abgenutzten Puppen, selbstgestrickten Puppen auch zum Beispiel, hat er schon größere Zusammenhänge wie eben zum Beispiel auch die Familie oder das äußere Erscheinungsbild einer Gesellschaft und die Abgründe, die dahinter sich verbergen, beschäftigt. Dass das Thema Kindesmissbrauch da mit einfließt, finde ich als Interpretation total berechtigt und auch naheliegend, aber das war sicher nicht der einzige Ansatz.

    Fischer: Weil Sie sagen gesellschaftskritisch, könnte man ja auch vielleicht formulieren, dass er darum ging, durch diese billigen Materialien sozusagen den wahren Charakter der Kunst zu unterlaufen?

    Gaensheimer: Also das ist das eine, der wahre Charakter der Kunst, aber ihm ging es, glaube ich, vielmehr darum - das ist schon irre bei diesen Skulpturen -, jedes einzelne dieser von ihm verwendeten Stofftiere trägt ja eine gewisse Aura mit sich und es geht da auch darum, was eigentlich durch ein solches Stofftier repräsentiert wird. Da ist zum einen das Kind selber, das dieses Stofftier liebt, über Jahre mit sich trägt, irgendwann landet das Tier aber auf dem Müll – das ist die eine Geschichte. Die andere Geschichte ist überhaupt die heile Kindheit, die Familie, und dann sind wir schon bei dem Thema Gesellschaft und was sich eigentlich dahinter verbirgt. Gerade in der amerikanischen Gesellschaft, die ja sehr christlich-moralisch geprägt ist, dann weiß natürlich jemand wie Mike Kelley sehr genau, was sich hinter dieser heilen Fassade verbirgt.

    Fischer: Er ist sehr jung gestorben. Was wird von ihm bleiben?

    Gaensheimer: Natürlich wird sein Werk bleiben und die Rezeption seines Werkes. Das ist ja auch zum Glück in allerbesten Händen. Aber er als Person und als arbeitender, produzierender Künstler ist unersetzlich und er war eigentlich gerade beschäftigt eben mit dieser neuen Gruppe oder Serie von Werken, die sehr vielversprechend war. Und ich finde schon, man kann gar nicht sagen, wie groß dieser Verlust ist. Ich finde es ganz unfassbar, dass er das jetzt getan hat.

    Fischer: Das war Susanne Gaensheimer, die Direktorin des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, zum Tod von Mike Kelley.


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