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"Schritte in die richtige Richtung"

Der Vorsitzende der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, Joachim Herrmann, hält trotz der Vorbehalte von Ministerpräsident Edmund Stoiber ein Scheitern der Gesundheitsreform für undenkbar. Entscheidend sei, dass das politisch Vereinbarte jetzt in ein gutes und sauberes Gesetz übertragen werde, sagte Herrmann.

Moderation: Hans-Joachim Wiese |
    Hans-Joachim Wiese: Herr Herrmann, wie unzufrieden ist die CSU in Bayern derzeit mit der großen Koalition in Berlin?

    Joachim Herrmann: Nun, in den letzten Monaten war das Erscheinungsbild der großen Koalition natürlich durch die mehr als leidige Debatte über die Gesundheitsreform bestimmt. Sie hat uns nicht gefallen, sie schadet auch dem Image der CSU. Und deshalb ist es höchste Zeit, dass wir aus dieser leidigen Debatte jetzt wieder rauskommen.

    Wiese: Nun ist ja in der Nacht zum Donnerstag ein Kompromiss zustande gekommen in der großen Koalition in Sachen Gesundheitsreform, an dem außer den direkt Beteiligten aber eigentlich niemand ein gutes Haar lässt - die Opposition ohnehin nicht, aber auch nicht die Verbände, auch nicht die Gewerkschaften, auch nicht die Krankenkassen. Es fällt schwer, Befürworter zu finden.

    Herrmann: Nun, das liegt zum einen daran, dass natürlich die Verbände auch völlig gegenteilige Erwartungen haben. Der BDI - der Bundesverband der Deutschen Industrie - kritisiert die Reform aus seiner Sicht als unzureichend. Wenn man ihm mehr gefolgt wäre, dann würde dafür die Kritik aus Sicht der Gewerkschaften nur um so härter ausfallen. Das heißt, es sind ja völlig unterschiedliche Erwartungen, gegensätzliche Erwartungen zum Teil da. Ich mache persönlich kein Hehl draus, dass wir aus Sicht der CSU natürlich noch mehr an Reformen, mehr an Wettbewerb zwischen den Kassen, mehr an Gestaltungsfreiheit für die Versicherten gewünscht hätten. Das war mit den Sozialdemokraten nicht zu machen. Man muss einfach sehen, wenn man sich anschaut, was haben Union einerseits, SPD andererseits vor der Wahl ihren Wählern versprochen - dann war das nun mal kaum vereinbar. Jede Partei hat an dem mehr oder minder ziemlich forsch versucht, festzuhalten, was sie vor der Wahl versprochen hat. Das ist eigentlich legitim, aber das war halt miteinander nur schwer vereinbar. Dass es auf der Basis schwierig ist, zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen, liegt auf der Hand. Aber entscheidend ist, dass man - und dafür haben wir gekämpft in den letzten Wochen - nicht in die falsche Richtung geht, dass man versucht, zumindest den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, aber nicht zu beschließen, was nun wirklich schädlich wäre. Ich glaube, das ist gelungen. Uns war es ein Anliegen, dass es keine übermäßigen Belastungen für die einzelnen Versicherten gibt, dass es auch nicht wieder eine Gesundheitsreform gibt, die vor allen Dingen Leistungen der Versicherten streicht, dass wir aber vor allen Dingen auch zu dem Ergebnis kommen, dass die Lohnnebenkosten langfristig nicht weiter belastet werden, weil wir bislang ja gespürt haben: Immer höhere Rentenversicherungsbeiträge, immer höhere Krankenversicherungsbeiträge belasten letztendlich deutsche Arbeitsplätze und tragen mit dazu bei, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden. Mit dieser verhängnisvollen Entwicklung muss Schluss sein. Und da sind jetzt die richtigen Grundlagen dafür gelegt.
    Wiese: Nun lautet aber der Kern der Kritik, dass eben gerade die "kleinen Leute" - in Anführungsstrichen - belastet werden.

    Herrmann: Es muss natürlich klar sein: Wenn wir medizinische Fortschritte für alle Menschen erreichen wollen, dann muss das letztendlich natürlich auch bezahlt werden. Es gibt hochklassige Medizin für alle nicht zum Nulltarif. Und ich denke, die meisten Menschen sind ja durchaus auch bereit, für ihre Gesundheit etwas zu investieren, etwas auszugeben. Es muss sozial gerecht zugehen. Aber die meisten Menschen werden sicherlich einsehen, dass es gute medizinische Versorgung nicht kostenlos gibt. Wer soll die bezahlen? Und ich meine, es ist richtig, dass wir sagen: Die kostenlose Mitversicherung der Kinder ist Aufgabe des Steuerzahlers, das wollen wir schrittweise in den nächsten Jahren weiter entwickeln. Aber es ist auf der anderen Seite genau so klar: Für die medizinische Versorgung des Durchschnittsbürgers muss man selbst mit seinen Beiträgen und gegebenenfalls Prämien aufkommen. Ich glaube, dass wir da auf einem guten Weg sind. Nochmal: Wichtig ist, dass die Lohnnebenkosten insgesamt nicht weiter steigen. Und deshalb wäre es aus meiner Sicht ein ganz wichtiges Anliegen, dass, wenn jetzt nochmal letztmalig der Krankenversicherungsbeitrag um 0,5 Prozent angehoben wird, dass wir das möglichst auf der anderen Seite im nächsten Jahr durch eine Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages kompensieren.
    Wiese: Nun lautet eine weitere Kritik, dass gerade diese Ein-Prozent-Deckelung der Zusatzbeiträge ein Anliegen der SPD war und damit die SPD sich gegen die Union durchgesetzt habe.

    Herrmann: Nun, es ist klar, wir hätten uns das noch anders vorstellen können mit der Prämie. Aber in einer großen Koalition muss man sich auf irgendeinen Kompromiss verständigen. Darum ist klar, das ist keine Reform, die jetzt über die nächsten zehn oder zwanzig Jahre tragen wird. Aber sie enthält wenigstens jetzt einmal Schritte in die richtige Richtung. Klar ist, die Belastung der Arbeitsplätze mit den Kosten wird nicht weiter steigen. Die Bürger haben mehr Eigenverantwortung. Es wird auch der Wechsel innerhalb der privaten Krankenversicherungen erleichtert werden. Die Bürger müssen sich stärker selber überlegen in Zukunft, welche Krankenversicherung - sowohl in gesetzlichen wie im privaten Bereich - bietet mir zu welchen Beiträgen welche Leistungen. Und dieser Wettbewerb, den hätten wir uns noch stärker vorstellen können, aber er wird jedenfalls ein Stück weit jetzt vorangebracht. Und das ist richtig so, das stärkt die Eigenverantwortung der Versicherten. Und das wird den Krankenkassen auch zu überlegen geben, wie sie sich in der einen oder anderen Frage positionieren oder was sie ihren Versicherten eben auch an Service und an Leistungen medizinischer Versorgung zu welchen Tarifen anbieten.
    Wiese: Begeistert hört sich das nicht an, Herr Herrmann, was Sie sagen, eher zurückhaltend. Und auch Ihr Parteivorsitzender und bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hat ja Vorbehalte angemeldet.

    Herrmann: Nun, wir haben - ganz wichtig - erreicht, dass in Bayern, in Baden-Württemberg, in leistungsstarken Ländern, wo bisher eben schon von den Arbeitnehmern auch aufgrund ihres guten Einkommens höhere Beiträge im Durchschnitt bezahlt werden als in manchen anderen Ländern, dass diese höheren Beiträge auch zu einem guten Stück im Land bleiben sollen. Da gibt es ganz unterschiedliche Berechnungen der verschiedenen Ministerien, wie viel das ausmacht. Das geht von einem zweistelligen Millionenbetrag bis zu einem Milliardenbetrag. Das konnte nicht mehr geklärt werden. Wir haben jetzt ein Absicherungssystem, das für die nächsten Jahre sozusagen die bayerischen Beitragszahler insoweit ein Stück weit geschützt bleiben. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass die private Krankenversicherung nicht zerschlagen wird. Dafür haben wir uns eingesetzt - nicht, weil es hier um die Versicherung von besonders Besserverdienenden oder Großkopferten geht, sondern es geht darum, dass die private Krankenversicherung insofern vorbildlich ist, als sie schon heute Vorsorge trifft für höhere Ausgaben im Alter der Versicherten, denn die Lebenserfahrung zeigt, dass die Krankheitskosten für 70- 80-Jährige natürlich höher sind als für 20- bis 30-Jährige. Dafür sorgt die private Krankenversicherung heute schon vor, und eigentlich müssten wir diese Vorsorge - das sagt bei uns auch die jüngere Generation zu Recht -, dieses Vorsorgeprinzip müssten wir eigentlich auch in der gesetzlichen Krankenversicherung verankern. Dazu haben wir im Moment noch kein Geld, nicht genügend Spielraum, aber wir sollten uns in die Richtung entwickeln. Also summa summarum: Es ist das gemacht worden, was im Moment mit der SPD möglich ist. Da muss man die Grenzen einer großen Koalition auch erkennen. Und wichtig ist aus meiner Sicht, dass sich diese Regierung in Berlin jetzt dringend neuen Tätigkeitsfeldern zuwendet. Das Thema Gesundheitsreform ist aus meiner Sicht jetzt erstmal abgeschlossen. Und wir müssen deutlich machen: Unternehmenssteuerreform, Erbschaftssteuerreform, eine Reihe weiterer Punkte - dass da die Regierung handlungsfähig ist und auch was Vernünftiges zu Wege bringt.

    Wiese: Trotzdem noch einmal zurück zu den Vorbehalten, die Edmund Stoiber angemeldet hat. Sollte die Prüfung der Gesundheitsreform, der Kompromisse, dann doch nicht zur Zufriedenheit der CSU ausfallen, halten Sie dann ein Scheitern der ganzen Reform noch für möglich?

    Herrmann: Ich glaube, wir sollten jetzt nicht den Teufel an die Wand malen. Entscheidend ist, dass, was jetzt politisch vereinbart ist, auch in ein wirklich gutes, sauberes Gesetz umgesetzt wird. Wir dürfen es nicht noch einmal erleben, dass, wie bei Hartz IV, letztendlich ein handwerklich schlechtes Gesetz fabriziert wird, wo man dann ein Jahr später merkt, was alles nicht richtig passt und stimmt, und das dann schon bald wieder korrigiert werden muss. Sondern jetzt muss ganz sauber gearbeitet werden. Die politischen Richtlinien stehen, und jetzt muss es sauber umgesetzt werden, so dass da wirklich ganz exakt auch jeder Paragraph passt und dem entspricht, was wir vereinbart haben. Das ist der Vorbehalt von Edmund Stoiber, dass wir uns das ganz sorgfältig anschauen, dass da auch wirklich hier alles richtig ist. Und wenn es dann passt, dann soll es auch so laufen.
    Wiese: Wenn denn passt. Wenn es nicht passt, hieße das ja aber auch, dass mit der Gesundheitsreform die große Koalition und Angela Merkel gescheitert wäre.

    Herrmann: Ich sehe die Gefahr dieses Scheitern nicht, sondern entscheidend ist, werden wir es richtig zu Wege bringen? Die CSU wird drauf achten, dass da das Richtige zu Papier gebracht wird. Aber das Thema Scheitern der großen Koalition stellt sich aus unserer Sicht ganz eindeutig nicht. Wir wollen den Erfolg dieser Koalition im Interesse der Menschen in unserem Land.

    Wiese: Wie bewerten Sie denn die Arbeit der Großen Koalition gut ein Jahr nach der Wahl?

    Hermann: Ich glaube, diese Große Koalition hat unübersehbar einen sehr guten Start gehabt. Unübersehbar ist auch, dass Angela Merkel außenpolitisch einen sehr verlässlichen, klaren, überzeugenden Kurs fährt, dabei auch viel Zustimmung von unseren europäischen Freunden erfährt, dass wir selbstbewusst auch gegenüber unseren amerikanischen Freunden auftreten, aber eben in enger Partnerschaft mit den USA. Das ist ein sehr überzeugender und klarer Kurs und ich bin sicher, dass auch, wenn im ersten Halbjahr 2007 Deutschland dann ja die Präsidentschaft in der Europäischen Union hat, dadurch schon die Möglichkeit für neue Impulse, Anstöße auch in der europäischen Entwicklung da sein werden. Innenpolitisch haben sich eben an diesem leidigen Thema Gesundheitsreform in den letzten Monaten die großen Unterschiede zwischen Union und SPD gezeigt. Ich glaube, es ist wichtig, dass sich aufgrund dieser Erfahrungen die Große Koalition halt jetzt vor allen Dingen Dinge vornimmt, wo wirklich ein gutes Konzept zwischen Union und SPD jeweils darstellbar ist. Es gibt eben bestimmte Baustellen, da weiß man ja von vornherein, dass Union und SPD nur schwer auf einen Nenner zu bringen sind. Solche Themen sollte man dann nicht unbedingt ganz oben auf die Tagesordnung setzen und auch nicht an die große Glocke hängen, sondern man sollte sich halt jetzt ganz professionell die Themen auswählen, wo man eine Chance für eine vernünftige Einigung sieht und daran auch demonstrieren, dass diese Große Koalition tatsächlich handlungsfähig ist.

    Wiese: Welche Themen sehen Sie denn einigungsfähig und welche nicht?

    Hermann: Ich glaube, dass die Union auf jeden Fall zunächst einmal Interesse daran haben muss, dass wir Themen der inneren Sicherheit ganz deutlich diskutieren, dass wir uns um die Abwehr des islamistischen Terrors kümmern, natürlich insgesamt auch um die Bekämpfung der Kriminalität. Ich glaube, dass wir hier durchaus in solchen Bereichen mit der SPD mindestens so gut voran kommen, wie wir das in der Koalition mit der FDP könnten. Die Bürger müssen spüren, dass wir uns um ihre Sicherheit kümmern.

    Wiese: Sind Sie denn, Herr Hermann, zufrieden mit der Führungsstärke der Bundeskanzlerin?

    Hermann: Nun, in einer Großen Koalition ist eine Kanzlerin, ein Kanzler immer zunächst einmal damit beschäftigt, auch zu moderieren zwischen den verschiedenen Koalitionspartnern. Da gibt es nie eine Basta-Politik. Letztendlich ist Schröder mit seiner Basta-Politik ohnehin gescheitert. Selbst in kleinen Koalitionen lässt es sich auf Dauer ein Koalitionspartner nie gefallen, dass sein Kanzler einfach auf den Tisch haut und sagt: Ich will jetzt so und so. Das kann in einer Koalition niemals funktionieren. Da werden zum Teil auch völlig falsche Dinge in der Öffentlichkeit diskutiert, falsche Erwartungen geweckt. Ich glaube, dass Angela Merkel eine gute Politik macht als Kanzlerin. Entscheidend ist, dass alle Beteiligten den gemeinsamen Erfolg wollen. Kein Kanzler kann den Erfolg erzwingen, wenn Partner nicht wirklich mitmachen wollen. Und deshalb ist wichtig: Wir in der CSU wollen den Erfolg. Ich glaube, dass die Führung der SPD jedenfalls diesen Erfolg auch will. Es gibt für CDU wie CSU wie SPD keine Alternative zu dieser Großen Koalition in der jetzigen Situation. Und wenn ich mir die aktuellen Meinungsumfragen anschaue, dann weiß jeder: Neuwahlen zum jetzigen Zeitpunkt wären eine Katastrophe im Wahlergebnis, für Union genau so wie für SPD. Also, wir müssen den Bürgern demonstrieren, dass wir regierungsfähig sind. Da gehört zu dem Thema zum Beispiel innere Sicherheit, dass wir deutlich machen, wir kümmern uns um Abwehr islamistischen Terrors, dass wir uns kümmern um Bekämpfung von Kriminalität, Bekämpfung von Schmuggel und was es alles gibt. Das ist Kernkompetenz beispielsweise der Union. Da glaube ich, dass wir auch mit der SPD durchaus auf eine vernünftige Linie kommen können.

    Wiese: Wenn Sie aber, wie Sie sagen, den Erfolg dieser Koalition wollen, und auch den Erfolg damit von Angela Merkel, warum kommt dann immer wieder Störfeuer aus Bayern, aber auch von den anderen CDU-Ministerpräsidenten, zum Beispiel im Rahmen der Gesundheitsreform?

    Hermann: Es geht nicht um Störfeuer, sondern es geht darum, dass wir deutlich machen, was wir für richtig halten, was wir für den richtigen Weg halten. Es wäre ja unklug, wenn wir Dinge einfach sachlich für falsch halten, wenn wir sie für schlecht hielten im Interesse der Menschen in unserem Land, und dann einfach abnicken würden. Natürlich ist es immer das Selbstverständnis der CSU gewesen, dass wir das, was wir für richtig halten, auch deutlich ansprechen und einfordern. Und das tun andere natürlich genau so.

    Wiese: Sind Sie denn zufrieden mit dem Einfluss der CSU in Berlin?

    Hermann: Ich glaube, dass die CSU in der Tat schon einen bemerkenswerten Einfluss hat, den sowohl unser Parteivorsitzender Ministerpräsident Edmund Stoiber wahrnimmt wie natürlich auch die CSU-Landesgruppe im Bundestag mit Peter Ramsauer an der Spitze. Ich glaube schon, dass die CSU sich hier sehr gut bemerkbar macht und auch ganz wesentlich Entscheidungen mit beeinflusst. Auf der anderen Seite müssen wir uns immer bewusst sein, dass natürlich nicht alle Entscheidungen nur nach unserem Gusto fallen können. Und das unterscheidet natürlich immer eine Große Koalition in Berlin von den Gestaltungsmöglichkeiten, die wir in Bayern haben. Wir mit unserer klaren Mehrheit im Bayerischen Landtag, wir können natürlich in der Tat CSU-Politik pur machen. Und deshalb sagen in Bayern natürlich auch ganz klar, es gibt nichts Besseres als eine so klare Mehrheit der CSU im Parlament. Dann können wir auch in der Tat ganz uneingeschränkt das machen, was wir vor der Wahl den Menschen versprechen. Dass das in Berlin anders ist, das müssen wir uns immer wieder auch bewusst machen und natürlich auch unseren Wählerinnen und Wählern deutlich machen.

    Wiese: Wenn Sie CSU-Politik auch in Berlin pur machen könnten, Herr Hermann, wo würden Sie ansetzen? Was wäre Ihr erstes Projekt?

    Hermann: Ganz wesentlich ist, dass wir Entbürokratisierung, Deregulierung voran bringen. Das gilt für den gesamten Staatsapparat, das gilt speziell auch für den Arbeitsmarkt. Wir müssen im Arbeitsrecht dringend Regeln vereinfachen, wir müssen insgesamt die Spielregeln am Arbeitsmarkt etwas vereinfachen, so dass von daher auch die Anreize, neue Arbeitnehmer einzustellen, größer werden. Wir müssen Steuerrecht vereinfachen. Da bin ich allerdings optimistisch, dass auch die Große Koalition entsprechend in der Steuerreform wichtige Dinge voran bringt. Wir müssen in der inneren Sicherheit eine sehr klare Sprache sprechen bei der Integration von Ausländern in unserem Land. Wir haben die ganz klare Position, stärker als das in der Vergangenheit jedenfalls Rot und Grün hatten, dass unsere Rechtsordnung in Deutschland verbindlich ist für jeden, der sich in unserem Land aufhält, und wer diese Rechtsordnung eben nicht akzeptieren will, unser Land zu verlassen hat. Da sprechen wir in der CSU halt in vielen Fragen schon eine etwas klarere Sprache, als das zum Teil in der CDU, vor allen Dingen aber in der SPD der Fall ist. Und unser Bemühen wird sein, so viel wie möglich von diesem Profil schon auch in diese Große Koalition einzubringen.

    Wiese: Ist denn die Sprache von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, CDU, in Fragen der inneren Sicherheit nicht klar genug?

    Hermann: Ich glaube, dass Schäuble eine sehr, sehr gute Politik macht. Ich glaube, es gibt da zwischen seinen persönlichen Positionen und denen der CSU wenig Differenzen. Allerdings scheint mir das noch zu wenig insgesamt das Erscheinungsbild der Großen Koalition in Berlin zu bestimmen. Ich würde mir wünschen, dass die Themen, wie sie gerade auch von Wolfgang Schäuble auch ganz richtig angesprochen werden, was auch wichtig war jetzt beispielsweise bei der Islam-Konferenz in Berlin, dass diese Themen einen größeren Stellenwert in der Regierungsarbeit insgesamt haben.

    Wiese: Herr Hermann, Sie haben gerade eben stolz auf die guten Werte der CSU in Bayern hingewiesen. Nach Umfragewerten ist diese Situation der CSU derzeit alles andere als rosig, nur noch 49 Prozent. Und das hieße Verlust der absoluten Mehrheit. So was schlägt doch auch auf den Vorsitzenden zurück.

    Hermann: Es gibt schon wieder neue Umfragen, da sind wir wieder über 50 Prozent. Und auch mit 49 Prozent hätten wir sicherlich die absolute Mehrheit im Landtag. Trotzdem ist klar: Wir sind mit der momentanen Stimmungslage nicht zufrieden. Das hängt wesentlich zusammen mit dem Tief in Berlin. Denn wenn die Union bundesweit bei nur noch 30, 31, 32 Prozent liegt . . .

    Wiese: Weniger als die SPD derzeit . . .

    Hermann: . . . dann ist es sicherlich nicht verwunderlich und es ist eher auf der anderen Seite immer noch eine respektable Leistung, wenn wir dann in Bayern bei 49 oder 51 oder 52 liegen. Gleichwohl, wir sind damit, wie gesagt, nicht zufrieden, und es liegt da in erster Linie an der Situation in Berlin. Wir jedenfalls, denke ich, in Bayern, machen eine sehr gute Politik im Bayerischen Landtag, in der Staatsregierung. Und die Umfragen belegen auch, dass die Menschen in Bayern mit der Politik, die wir in Bayern machen für die Zukunft der Menschen, ja auch sehr zufrieden sind.

    Wiese: Aber dieselbe Umfrage, die ich gerade ansprach, besagt, dass nur noch 57 Prozent der Befragten meinen, Edmund Stoiber solle noch einmal dann für eine vierte Amtszeit antreten. Offenbar hat der Ministerpräsident seine besten Zeiten in Bayern hinter sich.

    Hermann: Nun, die Fragen, was persönliche Spitzenkandidaturen anbetrifft, die sind dann immer ein bisschen wechselhaft. Aber das ist nicht entscheidend. Ich bin sicher, wenn wir auf die nächste Landtagswahl zu gehen, dann wird sich das auch wieder etwas anders darstellen. Ich meine insgesamt, die CSU mit ihrem Ministerpräsident und Parteivorsitzenden steht gut da. Und insofern, denke ich, haben wir überhaupt keinen Anlass, jetzt solche Personaldiskussionen zu führen.

    Wiese: Keine Personaldiskussion, aber wenn der Chef unter Druck steht, Herr Hermann, bietet sich doch in der Regel als probates Mittel zur Ablenkung immer eine Kabinettsumbildung an. Ist daran vor der Wahl in Bayern gedacht?

    Hermann: Kabinettsumbildungen sind immer aus meiner Sicht das höchstpersönliche Entscheidungsrecht des Regierungschefs selbst. Ich werde ihm dazu sicherlich keine öffentlichen Ratschläge geben. Aber ob es wirklich sinnvoll ist, noch vor der nächsten Landtagswahl das Kabinett noch einmal umzubilden, wird man sich sicherlich sehr sorgfältig überlegen müssen. Klar ist, dass wir, jedenfalls was die Zeit nach der Landtagswahl anbetrifft, sicherlich auch eine deutliche Verjüngung im Kabinett und in vielen Führungspositionen der CSU brauchen. Die CSU hat in der Vergangenheit immer rechtzeitig die Kraft aufgebracht zu einer solchen personellen Erneuerung und Verjüngung. Und ich bin sicher, dass das Edmund Stoiber auch so sehen wird.

    Wiese: Sie mögen zwar nicht über Personen reden, aber es wird ja immer wieder ein Name genannt, der auf der Abschussliste angeblich steht, der Umweltminister Schnappauf, der sich im Zusammenhang mit der Gammelfleisch-Affäre ja nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Könnte der so ein Kandidat sein?

    Hermann: Nein. Ich sehe da überhaupt keinen Anlass, über solche Fragen zu spekulieren. Werner Schnappauf macht insgesamt eine sehr, sehr gute Arbeit. Das ist vielleicht in der Öffentlichkeitsarbeit nicht sehr gut gelungen, was das Gammelfleisch anbetrifft. Aber man muss schon einmal deutlich sagen: Kein Minister Deutschlands kann dafür garantieren, was in den Kühlhäusern seines Landes irgendwo lagert und ob es irgendwo kriminelle Machenschaften eines Fleischhändlers gibt. Und kein Innenminister kann mit einer noch so guten Polizei garantieren, dass es keine Diebe oder Räuber mehr in einem Land gibt. Ich glaube, da muss man auch schon die Maßstäbe richtig wahren. Also, Werner Schnappauf macht eine gute Politik, und ich sehe überhaupt keinen Anlass, ihn zu ersetzen.

    Wiese: Lassen Sie uns noch zu einem anderen Thema kommen. Sie haben es vorhin schon ein wenig angesprochen im außenpolitischen Bereich, Herr Hermann. Angela Merkel war gerade in der Türkei. Hat sich durch diesen Besuch bei der CSU etwas an der kategorischen Ablehnung einer türkischen EU-Vollmitgliedschaft geändert?

    Hermann: Nein, mit Sicherheit nicht. Wir wollen Partnerschaft, wir wollen Freundschaft mit der Türkei. Die Türkei ist ein wichtiger Partner in der NATO. Die Türkei ist sicherlich auch eine wichtige Brücke zwischen Europa und dem Nahen Osten. Aber wir sagen ganz klar: Die Türkei ist kein Teil Europas. Und wer sich in Anatolien umschaut, der weiß, das wird auch in 20 oder 30 Jahren kein Teil Europas sein. Das sind keine europäischen Städte. Das muss man klar ansprechen, und deshalb sagen wir ganz klar: Die Türkei kann nicht Vollmitglied der Europäischen Union sein. Das sagt auch eine klare Mehrheit des deutschen Volkes, das sagt eine klare Mehrheit beispielsweise des französischen Volkes und der Belgier und der Niederländer, und ich glaube, es sind auch die Verantwortlichen in Brüssel dringend aufgerufen, sich nicht über diese klare Mehrheit der Menschen in unseren Ländern hinweg zu setzen.