
In Schloss Bellevue empfängt der Gast höchste Ehren – und zuweilen auch präsidiale Lektionen. Beides ist Gerhard Schröder heute Mittag zu Teil geworden – bei einem Essen zu Ehren des Altbundeskanzlers aus Anlass seines 70. Geburtstages. Den hatte Schröder bekanntlich schon mit einem anderen Präsidenten aufs allerherzlichste gefeiert: mit Wladimir Putin in St. Petersburg. Das Bild von der Umarmung der beiden Männerfreunde ging um die Welt, während der neue Ost-West-Konflikt um die Ukraine eskalierte.
Joachim Gauck, der es abgelehnt hatte, als Staatsoberhaupt zur Fußball-Europameisterschaft in die Ukraine und zu den olympischen Winterspielen nach Sotschi zu reisen, dürfte nicht zu denen gehört haben, die in dem Bild von Schröder und Putin den Ausdruck einer in Krisenzeiten verdienstvollen Diplomatie sahen.
Ausführliche Würdigung - und Mahnung
Heute ließ der Bundespräsident den Altkanzler in kaum verschlüsselten Worten wissen, was er davon hielt. Tonaufzeichnungen von der bemerkenswerten Tischrede Gaucks gibt es nicht. In dem schriftlichen verbreiteten Manuskript heißt es: "In den vergangenen Wochen standen Sie im Mittelpunkt des medialen Interesses. Ihre aktuellen Äußerungen und Ihre Aktivitäten sind viel diskutiert worden. Daran möchte ich heute ausdrücklich nicht anknüpfen."
Es folgt eine ausführliche Würdigung des Lebensweges Schröders, seiner Leistungen als Bundeskanzler – um dann am Ende der Rede den rhetorischen Finger zu einer subtilen Mahnung zu erheben: "Auch wenn die Macht verloren geht, so bleibt doch ein Stück Verantwortung für das Land – auch nach der Amtszeit."
Sagte der Bundespräsident und erhob das Glas. Joachim Gauck hatte dem Altkanzler eingeschenkt.