Archiv


Schröder: Keine zusätzlichen Gesetze zur Terrorismusbekämpfung

Burchardt: Herr Bundeskanzler, der internationale Terrorismus ist jetzt auch in Europa angekommen. Was bedeutet das für die Sicherheit, für die internationale Sicherheit auf europäischer Ebene? Sind neue Gesetzesmaßnahmen nötig?

Moderation: Rainer Burchardt |
    Schröder: Neue Gesetzesmaßnahmen nicht. Im übrigen: Diese Form des ETA-Terrorismus – und die spanischen Behörden gehen ja davon aus, dass es die ETA gewesen ist - gibt es ja seit langem in Spanien, bedauerlicherweise, nur diese Dimension ist eine neue, eine Fürchterlichkeit, die, glaube ich, Menschen kaum nachvollziehen können. Wir müssen wachsam sein. Bezogen auf unser Land sagen die Sicherheitsbehörden, die wachsam sind, dass es keine neue Sicherheitslage gibt. Und diese Form des Terrorismus bekämpft man ja auch nicht mit Gesetzen, sondern mit harter Verfolgung, und so man der Täter habhaft wird, mit harter Bestrafung. Das ist ja gar keine Frage. Aber ich glaube, was jetzt wichtig ist, ist Solidarität mit dem spanischen Volk, mit der Regierung in der Bekämpfung des Terrorismus. Die Sicherheitsbehörden Deutschlands arbeiten mit allen europäischen Sicherheitsbehörden zusammen, natürlich auch mit den amerikanischen, bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Und gleichgültig, welche Gruppe verantwortlich war: Es ist feiger, feigester Mord und muss auf eine harte Antwort der Internationalen Gemeinschaft treffen. Das wird auch geschehen.

    Burchardt: Nun gibt es ja in der deutschen Innenpolitik zwei sensible Bereiche, die genau diese Frage touchieren. Das eine ist der große Lauschangriff, da gab es jetzt ein Verfassungsgerichtsurteil. Und das andere ist das Zuwanderungsgesetz. Und man hört ja schon wieder Stimmen, die gewissermaßen auch eine Vermengung des internationalen Terrorismus mit Gesetzesverschärfung herbeiführen. Sind Sie da nicht doch in den Zugzwang geraten?

    Schröder: Nein, wir sind nicht in Zugzwang geraten, denn wir müssen ja das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes umsetzen, das wird auch geschehen. Das Verfassungsgericht hat ja nicht gesagt, man darf Schwerstverbrecher nicht verfolgen, auch nicht mit elektronischen Mitteln verfolgen, sondern es hat gesagt: Ihr dürft das, aber Ihr müsst bestimmte Sicherungen einbauen, Sicherungen, die ja nicht gemacht werden gegenüber Verbrechern, sondern die gemacht werden gegenüber dem Recht auf Unversehrtheit der Wohnung. Das wird man sorgsam miteinander abwägen müssen, das wird auch geschehen. Aber wir fühlen uns durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht behindert in der Verfolgung des internationalen Terrorismus, auch nicht behindert in der Verfolgung von Schwerstkriminalität in Deutschland, auch Schwerstkriminalität anderer Art. Das muss abgewogen werden, das geschieht auch. Daran arbeiten die Sicherheitsbehörden. Das Zweite – das eine muss man vom anderen trennen, das sollte nicht miteinander vermengt werden: Wir brauchen ein modernes Zuwanderungsrecht, das uns die Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung erlaubt. Und darum geht es jetzt. Das ist auch eine Forderung der Wirtschaft. Ein modernes Land wie Deutschland darf sich nicht abschotten, muss diejenigen, die auch zum Wohlstand hier beitragen können und wollen, aufnehmen. Daneben haben wir humanitäre Verpflichtungen, die wir ernst nehmen. Ich hoffe, dass man sich einigen wird. Dass man daneben die Frage der Sicherheit vor ausländischem Extremismus überprüfen muss, das ist gar keine Frage. Das ist ein Prozess, der immer gemacht werden muss, man muss immer auf der Höhe der Zeit sein. Die Sicherheitsgesetze, die wir gemacht haben, gestatten uns, auf der Höhe der Zeit zu sein. Ich habe nichts dagegen, wenn über die Fragen unter dem neuen Blickwinkel neu geredet wird, aber man soll das eine nicht mit dem anderen vermengen vor allen Dingen, das wäre schlecht. Ich hoffe, das geschieht auch nicht, und ich hoffe weiter, dass wir das moderne Zuwanderungsrecht, das wir brauchen, bekommen. Im Übrigen: Die Instrumente, die wir brauchen, um Kriminalität und den Extremismus zu bekämpfen, haben wir. Aber wie gesagt: Eine Diskussion darüber, ob man noch etwas besser machen kann, die bin ich bereit zu führen. Aber es muss eine rationale Debatte sein, und sie hat gelegentlich, jedenfalls wenn ich mir die eine oder andere Forderung anschaue, nicht unbedingt den Eindruck.

    Burchardt: Das spanische Volk hat ja – im Gegensatz zur Regierung – gegen den Irak-Krieg sich damals erklärt. Stellen Sie einen Zusammenhang her zwischen möglicher terroristischer Bedrohung und dem, was da jetzt geschehen ist in Madrid – und der Haltung der jeweiligen Regierung?

    Schröder: Ich glaube, wir sollten nicht spekulieren jetzt. Die Spanier haben es schwer genug, mit diesem schrecklichen Attentat fertig zu werden, die Regierung auch, die Staatsführung insgesamt. Ich verstehe das journalistische Interesse, aber bitte verstehen Sie mich, wenn ich über solche Fragen nicht spekulieren will. Nein, wir müssen miteinander dabei bleiben: Dies war – von wem auch immer ausgeführt – ein fürchterlicher Terrorakt, der zu Recht auf die Solidarität der Internationalen Gemeinschaft trifft. Und wir sollten uns davor hüten, Zusammenhänge zu konstruieren, die nicht konstruierbar sind.

    Burchardt: Herr Bundeskanzler, heute exakt vor einem Jahr haben wir hier auch beieinander gesessen. Sie hatten damals gerade die Agenda 2010 im Bundestag vorgetragen, und Sie haben hier ins Mikrofon des Deutschlandfunks gesagt: ‚Das wird umgesetzt, Punkt für Punkt!’ Nun haben Sie sicherlich auf dem Wege hierher innerhalb des letzten Jahres einige – nun sagen wir mal – Überraschungen erleben dürfen. Haben Sie damals die Durchsetzbarkeit überschätzt?

    Schröder: Nein, es ist ja Punkt für Punkt durchgesetzt worden, wenn Sie an die Arbeitsmarkt . . .

    Burchardt: . . . mit einigen Abstrichen . . .

    Schröder: . . . nein, wohl nicht. Wenn Sie an die Arbeitsmarktgesetze denken, sogar noch mehr, als seinerzeit von der Kommission, die Herr Hartz geleitet hat, vorgeschlagen worden ist. Nein, wer die Agenda-Rede liest vom letzten Jahr und vergleicht, was wir Schritt für Schritt zur Wirklichkeit gemacht haben, der wird mir zustimmen, wenn ich sage: Das ist Punkt für Punkt umgesetzt. Dass es schwierige Debatten gegeben hat, ja, wer wollte das leugnen – schwierige Debatten in meiner Partei, um die Überzeugung wachsen zu lassen, dass dieser Prozess, der mit der Agenda 2010 verbunden ist für Deutschland, aus zwei Gründen notwendig, und zwar in des Wortes wirklicher Bedeutung notwendig ist: Einmal, weil die Wirtschaft sich verändert hat. Die Vorstellung, man könnte wirtschaften noch im nationalen Maßstab, ist nun wirklich überholt. Die wirtschaftliche Basis unserer Gesellschaft hat sich verändert, der Konkurrenzdruck ist sehr viel härter geworden als jemals zuvor. Und das Zweite: Wir haben eine Gesellschaft, in der die Menschen Gott sei Dank älter werden, das ist ja was Schönes eigentlich. Aber das macht natürlich Druck auf die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, insbesondere derjenigen, die für das Alter vorsorgen. Und aus beiden Gründen musste die Konsequenz Agenda 2010 gezogen werden. Und es gibt einen dritten. Wir mussten den Umbau der sozialen Sicherungssystemen aus den beiden Gründen heraus machen, aber auch zum Dritten, weil wir Mittel freikriegen müssen, um uns zukunftsfähig und zukunftsfest zu machen. Und das können wir nur werden, wenn wir massiv in Forschung und Entwicklung, in Bildung und in Betreuung von Kindern investieren, damit auch Frauen in unserem Land die Chance haben, Familie und Beruf übereinander zu bringen, die sie wirklich brauchen und die sie auch wollen im Übrigen.

    Burchardt: Als ich eben sagte, ‚Punkt für Punkt möglicherweise nicht ganz gelungen’, haben Sie sicherlich aus Ihrer Sicht schon recht, dass Sie einiges durchgedrückt haben. Auf der anderen Seite mussten Kompromisse im Vermittlungsausschuss gemacht werden, und es werden auch weiterhin welche nötig sein, und der Eingriff von Seiten der Arbeitgeberfront ist ja unübersehbar. Haben Sie eigentlich damit gerechnet, dass angesichts der sicherlichen Notwendigkeit zu diesen Reformen die Bevölkerung so nicht mitgeht? Haben Sie da den entscheidenden Fehler gemacht, der Bevölkerung nicht wirklich den Ernst der Lage richtig zu erklären – und auch den Gerechtigkeitsfaktor?

    Schröder: Man kann natürlich immer etwas besser machen, das ist gar keine Frage, damit muss man sich immer beschäftigen, ob man genug getan hat. Aber ich glaube, dass allmählich deutlich geworden ist, wie sehr wir diese Maßnahmen brauchen, wenn wir auch in Zukunft in Wohlstand leben wollen, wenn wir auch Kindern und Kindeskindern eine Perspektive im Wohlstand geben wollen. Das hat mit der Frage der Gerechtigkeit zu tun. Man ist leicht geneigt, die Frage der Gerechtigkeit zu beziehen auf den sozialen Ausgleich der heute lebenden, der heute aktiven Generation. Das ist aber für weitsichtige Politik zu kurz gesprungen. Gerechtigkeit hat auch zu tun mit Generationengerechtigkeit, anders ausgedrückt: Wenn wir uns weiter leisten, das aufzuessen in dieser Generation, wovon unsere Kinder und deren Kinder auch noch leben müssen, dann sind wir nicht fair zur zukünftigen Generation . . .

    Burchardt: . . . aber damit können Sie doch keine Wahlen gewinnen . . .

    Schröder: . . . na, und diese Fairness ist notwendig. Ich sehe ja, dass das Schwierigkeiten macht, das zu vermitteln, und mich bedrücken die Wahlergebnisse. Aber ich finde, Politik hat auch die Aufgabe, Fairness gegenüber künftigen Generationen walten zu lassen, Gerechtigkeit auch insoweit herzustellen. Das tun wir. Dass das Schwierigkeiten macht, ist gar keine Frage. Und dass ich mich von der einen oder anderen Gruppe – nicht im Stich gelassen fühle, das wäre ganz falsch – aber dass ich mir da mehr Unterstützung erwartet hätte, das will ich gerne zugeben . . .

    Burchardt: . . . meinen Sie damit die Gewerkschaften?

    Schröder: Ja, ich meine eigentlich alle gesellschaftlichen Gruppen, denn wir haben ja den interessanten Tatbestand in Deutschland, dass, wenn man fragt: Ist Veränderung notwendig? – sagen 80 Prozent der Menschen ‚Ja, das ist notwendig’. Ein etwas anderes Ergebnis bekommt man, wenn man konkrete Betroffene fragt. Das heißt, dass die Kluft zwischen der allgemeinen Erkenntnis, dass sich was verändern muss und der Bereitschaft zur Veränderung, wenn man selber betroffen ist, die ist noch reichlich groß. Und die muss geschlossen werden. Und ein Zweites ist wichtig: Wir müssen noch klarer machen, dass wir diese Reformmaßnahmen brauchen, um Wohlstand in Zukunft – in nächster Zukunft – sichern zu können. Ohne diese Maßnahmen würde wirtschaftlich die Schwierigkeit weit größer, als sie ohnehin schon ist. Und auch aus diesem Grunde sind diese Maßnahmen notwendig. Man kann nicht von vornherein auf Beifall rechnen, wenn man in einer – alles in allem – wohlhabenden Gesellschaft einen solchen Reformprozess in Gang setzt. Trotzdem ist er notwendig. Und Politik heißt ja auch, nicht nur an das Heute zu denken, sondern an das Morgen auch. Und darin liegt ja auch ein Stück Verantwortung von Politik.

    Burchardt: Schließen Sie denn aus, dass Sie als Kanzler in die viel zitierten Geschichtsbücher eingehen, der die klugen Reformen auf den Weg gebracht hat aber leider nicht mehr gewählt worden ist?

    Schröder: Ich bin kein Mensch, der zum Pessimismus neigt. Ich setze auf was anderes. Ich setze auf Überzeugung und ich setze auf Einsicht. Und ich bin der allerletzte, der davon ausginge, dass diese Überzeugung, die Einsicht in der Mehrheit der Menschen in Deutschland nicht erzielbar wäre. Das ist gewiss nicht einfach, und da wird man auch noch den einen oder anderen Rückschlag möglicherweise hinnehmen können. Aber all diejenigen, die glauben, dass die Wahl 2006 – und um die geht es, auf die spielen Sie ja auch an – wegen dieses Reformprozesses nicht zu gewinnen wäre, die irren gründlich. Ich will sie gewinnen, und ich habe gute Hoffnung, dass das . . .

    Burchardt: . . . das heißt also, dass Sie auch wieder antreten - aus heutiger Sicht . . .

    Schröder: . . . das ist so, das ist so.

    Burchardt: Also auch dieses Jahr, selbst wenn die SPD alle Wahlen verlieren sollte – 13 stehen noch an –, das wird Sie nicht umtreiben und auch nicht aus dem Amt heben?

    Schröder: Über diese Frage denke ich schon gar nicht nach. Wir gehen in die Wahlauseinandersetzung nicht resigniert oder pessimistisch, sondern mit dem festen Willen, sie zu gewinnen. Und eine andere Überlegung darf man gar nicht an sich heranlassen. Das ist wie bei einem Fußballspiel. Wenn man in ein solches Spiel ginge mit der Angst, zu verlieren, dann wäre das schon die halbe Miete für die andere Seite. Ich habe diese Angst nicht.

    Burchardt: Wir sind ja auch etwa in der Halbzeit jetzt, und da steht ja traditionell eigentlich jede Bundesregierung in der Demoskopie nicht so richtig gut da. Welche Rolle hat die Demoskopie eigentlich bei Ihnen gespielt, als Sie gesagt haben, den SPD-Vorsitz, den kann der Franz Müntefering machen?

    Schröder: Das war keine Frage der Demoskopie. Übrigens, was Umfragen angeht, sind Politiker immer ein bisschen abhängig davon. Natürlich hat man lieber bessere als schlechtere Zahlen, das ist doch völlig klar . . .

    Burchardt: . . . aber so schlecht war die SPD noch nie . . .

    Schröder: . . . ja, ich will drauf hinweisen, dass vor der Wahl 2002 wir auch nicht sehr viel mehr hatten und manch einer unsere Gegner schon im Amt gesehen hat. Das ist dann anders gekommen, und ich bin ganz optimistisch, dass das wieder so sein wird. Nein, die Frage der Abgabe des Parteivorsitzes hatte damit nichts zu tun. Es gibt gelegentlich Situationen, in denen man einsehen muss – und ich habe es, bezogen auf Franz Müntefering, auch mit Respekt und insoweit gerne eingesehen –, dass er es besser kann als ich. Er erreicht die Menschen in der Partei eher als ich. Und wenn das so ist, dann ist es angemessen, dass man Macht auch teilt. Das ist ja auch ein gutes demokratisches Prinzip. Ich weiß, dass mir das am allerwenigsten zugetraut worden ist, aber nun ist der Beweis des Gegenteils erbracht . . .

    Burchardt: . . . so ist es Ihnen ja auch seinerzeit in den Schoß gefallen, als Oskar Lafontaine plötzlich von der Fahne ging . . .

    Schröder: . . . das kommt auch hinzu, aber ich habe es gern gemacht. Es war auch durchaus schmerzlich, diese Einsicht zu haben, das dann abgeben zu müssen und zu sollen. Aber ich glaube, wenn wir uns die Arbeit in diesem Sinne teilen, dass das dann für unsere gemeinsame Sache besser ist. Und wir haben eine gemeinsame Vorstellung, die wir auch gemeinsam durchsetzen wollen. Wir sind beide an einem Punkt auch der politischen Arbeit angelangt, denke ich, wo wir uns aufeinander verlassen können und das Maß an Vertrauen da ist, das man braucht, wenn man in dieser Weise Arbeit sich teilt. Das Amt des Bundeskanzlers – das ist auch so eine Erfahrung – ist auch wegen der internationalen Aspekte so arbeitsreich, dass einem dann auch häufig zu wenig Zeit für die Partei geblieben ist. Neben also der Tatsache, dass Franz Müntefering ganz offenkundig diesen Vermittlungsprozess besser gestalten kann als ich, hatte das auch den Grund, dass geteilte Arbeit vielleicht dann die Arbeit auch besser macht.

    Burchardt: Ihr mittelbarer Amtsvorgänger Helmut Schmidt hatte es ja seinerzeit mal als einen Fehler betrachtet, angesichts seiner verlorenen Basis auf dem sogenannten ‚Raketenparteitag’ – Sie werden sich sicherlich noch sehr gut daran erinnern –, dass er nicht auch Parteivorsitzender war. Befürchten Sie nicht auch, dass angesichts auch gerade auch der wirtschaftlichen Entwicklung hier ein Momentum eintreten könnte, dass die Partei – Sie waren im Prinzip nie ein Mensch der Partei oder von der Partei so aufgenommen, wie es sicherlich nötig gewesen wäre – dass die Partei Sie dann auch im Stich ließe und Franz Müntefering vielleicht auch gar keine andere Möglichkeit hat, als zu sagen: ‚Okay, dann mach ich’s’?

    Schröder: Man darf diese Frage zunächst nicht dogmatisieren. Es kann Zeiten geben, wo das sinnvoll ist, auch Menschen geben, wo das sinnvoll ist, und wo die Zusammenlegung eine gute Alternative ist. Es kann aber auch – wie jetzt – Zeiten geben, wo es besser ist, es zu trennen, also kein Dogma draus machen – so, und so nicht. Ich denke, dass die Befürchtungen, die Sie formulieren, nicht eintreten werden. Wir haben eine gemeinsame Position zum Prozess der Agenda 2010 und zu seiner Umsetzung, wir sind gemeinsam der Auffassung, dass die SPD nicht gegründet worden ist, um zu opponieren, sondern gegründet worden ist, um im Interesse der Menschen zu regieren. Und ich sehe eine solche Gefahr einfach nicht, dass wir uns sozusagen in wichtigen politischen Fragen auseinanderbringen lassen. Und so lange und so weit das der Fall ist – und das wird so bleiben, davon bin ich überzeugt –, sind in dieser Arbeitsteilung mehr Chancen als Risiken.

    Burchardt: Aus Kreisen der Gewerkschaften, aber auch der parlamentarischen Linken und der sogenannten ‚Linksintellektuellen’ in der SPD sind plötzlich Töne zu hören, es wäre ja auch vielleicht ganz sinnvoll, eine linke neue SPD zu gründen, also eine neue Linke, die sich aus der ‚Neuen Mitte’ herauskristallisiert. Sehen Sie diese Gefahr, und wie ist Ihre Meinung dazu?

    Schröder: Also, wir beide wissen ja – Sie aus Beobachtung, ich aus langer politischer Praxis –, dass es solche Versuche und Diskussionen immer mal wieder gegeben hat. Das muss man ernst nehmen, und das wird ja auch ernst genommen. Soweit jemand aufruft – als SPD-Mitglied –, etwas anderes zu tun oder zu gründen, ist das nicht vereinbar mit der Mitgliedschaft in der SPD, das wird man auch deutlich machen. Aber man sollte jetzt diese Debatten auch nicht dramatisieren. Wie gesagt, es war alles schon einmal da. Und ich gehe davon aus, dass diese Diskussion so enden wird, wie die früheren Debatten auch.

    Burchardt: Eine der Aufgaben Franz Münteferings wird Kommunikation nicht nur nach innen, sondern auch nach außen sein. Sie haben sich zumindest partiell etwas abgemeldet, indem Sie einem Massenblatt keine Interviews mehr geben wollen. Das ist ja auch ein alter Streit innerhalb der SPD. Die SPD kauft jetzt die FRANKFURTER RUNDSCHAU, zumindest Anteile. Wann kaufen Sie BILD?

    Schröder: Sicher nie, und ich habe verstanden, dass diejenigen, die für die wirtschaftliche Gesellschaft der SPD verantwortlich sind, gesagt haben, es wäre schade, wenn eine solche Zeitung aus dem Markt verschwände. Und wenn die Bedingungen stimmen, habe ich da keine Einwände, die Zeitung, die eine wichtige Stimme ist, als Zeitung zu erhalten. Ich glaube, dass das der wirkliche Hintergrund ist. All diejenigen, die da über die Gefährdung der Pressefreiheit reden, ich glaube, die übertreiben auch. Die SPD hat – manchmal zum Leidwesen ihrer Mitglieder – immer bewiesen, dass sie redaktionelle Freiheit sehr, sehr wohl sehr hochhält, und das wird auch in diesem Fall so sein. Also, jede Form von Befürchtung ist da unbegründet. Nein, die andere Frage ist eine. Wenn man, wie mein Regierungssprecher das gesagt hat, konfrontiert ist ständig mit Häme und Hetze und mit Halbwahrheiten, dann muss man ja nicht unbedingt . . .

    Burchardt: . . . so ist das Leben in der Politik . . .

    Schröder: . . . ja gut, dann muss man ja nicht unbedingt noch einen Beitrag dazu leisten, dass Glaubwürdigkeit erhöht wird. Das ist nicht meine Aufgabe. Ich will hier sehr deutlich sagen: Es ist das gute Recht eines Verlages und einer Chefredaktion, die Linie einer Zeitung festzulegen. Aber es ist mein gutes Recht, eine andere Meinung zu haben und mich danach zu verhalten. Das heißt doch nicht, dass wir nicht eine ganz normale Informationspolitik, soweit das unsere Aufgabe ist, gegenüber allen machen würden. Das geschieht, und das ist auch nie in Frage gestellt worden.

    Burchardt: Ist das reversibel?

    Schröder: Nein, das ist nicht reversibel.

    Burchardt: Also auf ewig und . . .

    Schröder: . . . ach, ich habe ja nicht vor, ewig Bundeskanzler zu bleiben. Ich werde jetzt aber nicht spekulieren darüber, wie lange. Und insofern: Eine solche Bemerkung ist nicht für die Ewigkeit.

    Burchardt: Am 1. Mai wird Europa größer – um zehn Staaten. Es gibt noch den Sonderfall jetzt Zypern, bezogen auf die griechischen und die türkischen Anteile auf dieser Insel. Sie selber haben, zumindest bei dem gescheiterten EU-Gipfel, mit Ihrem Kollegen Miller doch ein problematisches Gespräch gehabt. Sehen Sie, dass Polen sich noch weiter bewegen würde in die Richtung, dass man doch trotz Nizza-Prozess im Sinne der großen drei – wenn ich das mal so formulieren darf, also England, Frankreich und Deutschland – dass Polen sich in diese Richtung bewegt?

    Schröder: Ich hatte übrigens in Brüssel mit dem damals sehr verletzten Leszek Miller, den ich gut kenne und mit dem ich auch sehr gut zusammenarbeite, kein unfreundliches Gespräch, sondern ich bin zu ihm gegangen und habe gesagt: Ich will wissen, wie weit seid Ihr beweglich? Und er hat mir gesagt: Ich bin nicht beweglich. Und dann sind wir auseinander gegangen, wie sich das für die politisch Verantwortlichen befreundeter Staaten gehört. Es gibt manchmal solche Interessenunterschiede. Ich werde Leszek Miller, das haben wir heute verabredet, in der übernächsten Woche sehen, und werde ihn dann fragen, ob es Bewegung gibt, um diesen Verfassungsprozess zu Ende zu bringen. Ich würde mir das wünschen. Es ist nur völlig klar: Bewegung kann nur auf dem Prinzip der sogenannten ‚doppelten Mehrheit’ stattfinden. Das ist ja das eigentliche demokratische Prinzip. Das heißt, jeder Staat, ob groß oder klein, hat eine Stimme, aber auch die Stimme eines jeden Bürgers hat das gleiche Gewicht. Und 82 Millionen Deutsche sind eben doppelt so viele wie etwa 40 Millionen Polen. Und deswegen muss sich das in der Stimmengewichtung auch niederschlagen. Das gilt für Spanien übrigens ganz genau so.

    Burchardt: Sind Sie sicher, dass die irische Ratspräsidentschaft das hinkriegt in diesem Halbjahr?

    Schröder: Es gibt die Hoffnung, und ich habe ja gesagt, wir sind – nicht, was das Prinzip angeht, aber was einzelne Ausgestaltungsschritte angeht – durchaus diskussionsbereit. Es wird auch Aufgabe sein, in unserer Begegnung herauszufinden, ob es Bewegungsfähigkeit auch bei unseren Freunden in Polen gibt. Wie gesagt, auch Spanien müsste sich bewegen. Die irische Präsidentschaft macht eine sehr, sehr gute Arbeit, sehr still und nicht durch Erklärungen, aber sehr präzise. Und vielleicht gibt es diese Möglichkeit. Ich würde es mir wünschen. Aber wie gesagt: Das Prinzip, auch die Gewichte der Einwohner auszutarieren, darf nicht in Frage gestellt werden.

    Burchardt: Zum Schluss dieses Interviews noch eine andere Präsidentschaft, die nämlich, die jetzt ansteht am 23. Mai, Wahl des neuen Bundespräsidenten. Dieses Geschacher um das Amt, insbesondere von denjenigen, die die Mehrheit in der Bundesversammlung haben, hat das nicht nachhaltig die Würde des Bundespräsidenten geschädigt?

    Schröder: So weit würde ich nicht gehen. Die Würde des Amtes hängt ja auch immer von den Personen ab, die das Amt bekleiden. Und wir hatten eigentlich immer Glück mit unseren Bundespräsidenten, und wir würden sehr viel Glück haben mit der Bundespräsidentin, die wir vorgeschlagen haben. Und insofern denke ich, wird das nicht von Dauer sein. Aber es war schon nicht sehr würdevoll – die Art und Weise, wie die Mehrheit in der Bundesversammlung, also Union und FDP, da zu einem Kandidaten gekommen sind. Ich rechne nicht damit, dass das nachhaltig Schaden anrichtet. Aber gelegentlich sollte sich mal vorstellen: Wenn in gleicher Weise, im gleichen Verfahren über zentrale Fragen deutscher Politik, gar über Krieg und Frieden entschieden werden müsste – ich glaube, davor kann man eigentlich nur warnen.

    Burchardt: Sie haben gerade das Volk genannt. Wäre angesichts dieser Erfahrung dann nicht nur auf europäischer Ebene, sondern dann auch die Gewichtung des Volkes mal bei der Wahl des Bundespräsidenten zu stärken?

    Schröder: Ich habe da keine prinzipiellen Einwände, aber ich finde, diese Debatte sollte man nicht jetzt führen, sondern das sollte eine sein, um die sich die nächste Präsidentin oder der nächste Präsident kümmert. Ich bin da durchaus offen. Man muss nur wissen: Wenn man Direktwahl macht, könnte das auch die Funktionen, die ja nach dem Grundgesetz festgelegt sind, verändern. Also, diese Diskussion muss dann sehr sorgfältig geführt werden, aber bitte schön nicht aus Anlass dieses wahrlich etwas merkwürdigen Verfahrens, das hinter uns liegt und nicht bezogen auf die jetzige Wahl. Danach kann man das durchaus einer rationalen Diskussion anheim geben. Vielleicht macht es auch Sinn, über diese Frage in jener Kommission zu reden, die sich mit der föderalen Ordnung Deutschlands beschäftigt. Das soll kein Ausweichen sein, aber ich glaube, wenn man das jetzt diskutiert mit bezug auf das Verfahren, das unglücklich war und diese Wahl, die jetzt bevorsteht, würde man dem Amt nicht helfen.

    Burchardt: Aber eine Volksabstimmung schließen Sie kategorisch nicht aus?

    Schröder: Ich schließe eine Direktwahl nicht aus. Aber wie gesagt, man muss dann auch über die Frage reden, was das für die Kompetenzen des Amtes bedeutet. Ich bin da durchaus offen für eine Debatte. Aber wie gesagt, es macht keinen Sinn, das jetzt zu machen, weil das dann so aussähe, als wolle man das als Konsequenz eines verunglückten Verfahrens vorschlagen. Das muss dann schon Substanz haben und gut vorbereitet sein.

    Burchardt: Herr Bundeskanzler, danke für das Gespräch.