Samstag, 11. Mai 2024

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Schröder will Familienpolitik in den Mittelpunkt rücken

Bundeskanzler Schröder will die Familienpolitik im Falle eines neuen Wahlsiegs zu einem Schwerpunkt der nächsten Legislaturperiode machen. Es gehe darum, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, sagte Schröder. Er denke zudem an ein Elterngeld nach skandinavischem Vorbild. Mit Blick auf den Weltjugendtag betonte Schröder, Deutschland habe sich den Gästen aus aller Welt als offen und tolerant gezeigt.

Moderation: Rainer Burchardt | 21.08.2005
    Rainer Burchardt: Herr Bundeskanzler, Sie haben dieser Tage im Fernsehen gesagt, Sie freuten sich auf den 19. September. Offen geblieben ist allerdings, worauf Sie sich freuen, ob auf eine neue Periode als Kanzler oder auf den Vorruhestand.

    Gerhard Schröder: Sicher nicht auf den Vorruhestand, sondern auf eine neue Periode als Kanzler. Ich freue mich einfach über einen dann stattgefundenen Erfolg. Das war natürlich das, was ich zum Ausdruck bringen wollte.

    Burchardt: Nun haben wir allerdings Trendzahlen, die in eine andere Richtung gehen, die nicht gerade - jedenfalls heute, vier Wochen vor der Wahl - optimistisch für die rot-grüne Koalition sind. Wie erklären Sie sich das, dass auch angesichts der Stoiber-Äußerung dennoch ein plötzliches Zwischenhoch für schwarz-gelb da am Horizont zu sehen ist?

    Schröder: Ich kann mir das nicht erklären. Zunächst muss man ja feststellen, dass langsam die SPD aufzusteigen beginnt. Ich selber kann mich ja nicht beschweren, die Zustimmungswerte sind sehr gut. Und die Aufgabe, die wir haben, ist, die Zustimmung für mich als Bundeskanzler in eine Zustimmung zur SPD zu verwandeln. Denn das ist die Voraussetzung dafür, dass gelingt, was ich mit meinem Koalitionspartner zusammen vorhabe, nämlich den erfolgreichen Reformkurs nach innen fortzusetzen, und nach außen - wie gehabt - Deutschland als eine mittlere Macht zu positionieren, die die Konflikte dieser Welt helfen will, friedlich zu lösen. Das sind die beiden Punkte, um die es geht. Darüber hinaus heißt Reformkurs nach innen auch Verteidigung des sozialen Zusammenhalts, der verteidigt werden muss, wenn der Reformkurs weiterhin in den politischen Institutionen stattfinden soll und nicht auf der Straße ausgetragen werden soll. Ich sehe gefährliche Tendenzen bei der Union, was den inneren Frieden angeht.

    Burchardt: Was sind das genau?

    Schröder: Nun ja, der massive Abbau von Arbeitnehmerrechten, den man sich da vorstellt, wird natürlich zur Gegenwehr führen, wird Unruhe in die Betriebe bringen, kann den beginnenden Erholungsprozess, der jetzt ja sehr stark auch aus dem Ausland festgestellt wird, beeinträchtigen. Das ist es, was mich am meisten stört. Darüber hinaus die soziale Schieflage, die etwa dadurch eintreten wird, wenn man wirklich rangeht und die Steuerfreiheit von Zuschlägen für die, die besonders hart arbeiten, also nachts arbeiten, die Schichtarbeit machen müssen, die Feiertagsarbeit machen müssen. Da geht's ja nicht um wohlhabende Leute, sondern da geht's um die Krankenschwester, da geht's um den Feuerwehrmann, den Polizisten. Ich finde, all das sind Tendenzen, denen man entgegentreten muss.

    Burchardt: Was haben Sie dem entgegenzuhalten? Im Moment wird es nicht richtig sichtbar, wo die SPD nach der Wahl stehen wird.

    Schröder: Ich glaube schon, dass das sichtbar wird. Wir haben deutlich gemacht: Wir wollen keine Belastungen der Menschen mit geringeren Einkommen, etwa über die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Denn die trifft natürlich die besonders, die den größten Teil ihres Verdienstes ausgeben müssen für die Lebenshaltungskosten. Wir wollen wirklich die eben genannten Errungenschaften verteidigen, und wir halten gar nichts davon, die Gewerkschaften so zu schwächen, dass es ihnen nicht gelingen kann, auf gleicher Augenhöhe mit den Partnern auf der anderen Seite über die Arbeitsbedingungen zu reden und darüber zu verhandeln

    Burchardt: Ist aber nicht doch eine Mehrwertsteuererhöhung unabdingbar, nicht nur aus rechnerischen Gründen, sondern auch im europäischen Anpassungsvergleich? Da muss ja und wird ja auch in den nächsten Jahren einiges zu geschehen haben. Deutschland liegt noch am Ende der Skala, muss da aber doch offenbar weg. Und das könnte ja auch den SPD-Politikern in den Ländern, die immer zur Mehrwertsteuer hinschielen, weil sie davon ja auch was hätten, sofern sie Ministerpräsidenten sind, könnte für die ja auch durchaus attraktiv sein

    Schröder: Zunächst einmal ist es so, dass das, was sich die Union ganz offenkundig vorstellt, nicht in die konjunkturelle Landschaft passt. Wir haben ja seit geraumer Zeit Tendenzen, dass sich die Binnennachfrage erhöht und die Menschen wieder etwas mehr konsumieren. Und das würde natürlich durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer stark beeinträchtigt. Nein, ich bin dagegen, auch dann, wenn - wie Sie sagen - einige schielen. Ich kenne die zwar nicht, aber die da schielen, sollen . . .

    Burchardt: . . . nun ja, die Ministerpräsidenten, die es noch gibt von der SPD . . .

    Schröder: . . . na ja, ich habe aber keinen gehört, der sich stark macht für eine Mehrwertsteuererhöhung, weil die in der Tat nicht in die Landschaft passen würde, soziale Verteilungswirkungen hätte, die ungerecht sind. Deswegen haben wir ja gesagt: Natürlich muss der Staat sich finanzieren können, aber das soll er tun, indem wir steuerliche Subventionen abbauen in Größenordnungen, die durchaus das Aufkommen, das die Union über die Erhöhung der Mehrwertsteuer erzielen will, erreichen kann.

    Burchardt: In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage - bezogen jetzt auf das, was Sie möglicherweise in einer neuen Koalition machen können -, wie weit Sie mit den Grünen noch gemeinsames Potential haben, und vor diesem Hintergrund auch die Frage: Warum tritt Rot-Grün nicht doch mehr zusammen auf?

    Schröder: Es ist ja immer so gewesen, dass man in Wahlkämpfen nicht als Koalition auftritt, sondern dass jede Partei versucht, so stark, wie es irgendwie geht, zu werden. Und ich sehe es auch als meine Aufgabe an, dafür einzutreten, dafür zu kämpfen, dass die SPD stärkste Partei wird. Die Schnittmengen sind groß genug, um die Zusammenarbeit fortzusetzen. In der Außenpolitik sowieso, wo ich mit dem Bundesaußenminister ja nun überhaupt gar keine Differenzen habe. Aber auch, wenn man sich mal das anschaut insgesamt in der Innenpolitik, in der Gesellschaftspolitik - mit einem Schwerpunkt in der Familienpolitik, wo wir - glaube ich - etliches erreicht haben und weiteres erreichen müssen. Kern dessen, was wir tun wollen, wird in der nächsten Legislaturperiode sein die Frage: Wie verbessern wir die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder? Wir haben vier Milliarden mobilisiert, um die Ganztagsbetreuung in den Schulen zu verbessern, obwohl wir formal gar nicht zuständig sind. Aber ich glaube, bei dieser Frage darf man sich nicht hinter Zuständigkeiten verstecken. Wir müssen als Nächstes ran, zusammen mit den Gemeinden - und das geht nicht ohne die Länder - die Betreuungsangebote in den Kindergärten massiv auszubauen. Das brauchen wir übrigens nicht nur aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit, also aus Gründen der Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern, sondern auch aus ökonomischen Gründen. Wir werden es uns auf Dauer nicht leisten können, eine Frauenerwerbsquote zu haben, die zu gering ist, weil wir Talente, weil wir Fähigkeiten, die wir brauchen, nicht nutzen würden. Das wird sich aber nur steigern lassen, wenn es uns gelingt, dafür zu sorgen, dass man - übrigens, Männer genau so - Familie und Beruf besser überein bringt, als jemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Hier ist ein Punkt, glaube ich, wo wir sagen müssen: Die materielle Steigerung, etwa über das Kindergeld, ist nicht mehr die erste Priorität. Erste Priorität muss sein: Ausbau von Betreuungseinrichtungen, die wirklich funktionieren, um erstens den Wunsch und den Willen zu Kindern zu stärken, und zweitens, um deutlich werden zu lassen, dass Frauen so leben können sollen, wie sie wollen, und nicht wie andere möchten, dass sie sollen. In dem Zusammenhang spielt das, was wir einführen wollen und können - etwa zur Mitte der nächsten Legislaturperiode - das so genannte 'Elterngeld' eine Rolle. Denn wir wollen es hinbekommen, nach dem Muster der skandinavischen Staaten, dass insbesondere auch junge Menschen mit höherem Einkommen in die Lage versetzt werden, sich für Kinder zu entscheiden. Ich halte das für ganz wichtig.

    Burchardt: Wie beurteilen Sie - bezogen auf unsere letzten beiden Themen, nämlich Mehrwertsteuer und Kinderbetreuung oder Familienpolitik, wie Sie sie dargestellt haben, die Nominierung von Herrn Kirchhoff im sogenannten 'Kompetenzteam' von Frau Merkel, denn Herr Kirchhoff gehört ja nun zu den Leuten, die ad eins für die Rückkehr der Frau an den Herd sind sozusagen, und zum zweiten ja bislang auch immer gegen die Mehrwertsteuer, gegen die Erhöhung zumindest, war, aber jetzt sich das offenbar doch anders überlegt hat?

    Schröder: Ja gut, das zeigt die Konzeptionslosigkeit dessen, was Sie völlig zu recht ein so genanntes Kompetenzteam nennen - Konzeptionslosigkeit, die ja nicht nur da deutlich wird. Einmal wird sie deutlich bei der Auseinandersetzung um die Frage Mehrwertsteuer - ja oder nein? Sie wird aber sicher auch deutlich in der Familienpolitik. Das was ich gelesen habe, ist wirklich eine Rolle rückwärts. Was das angeht, ist der Versuch, Frauen das Recht und die Möglichkeit zu bestreiten, ihr eigenes Leben zu bestimmen. Wenn sie das wollen, sollen sie arbeiten können. Dem dient der Ausbau der Betreuungseinrichtungen. Wer dagegen ist, hat ein Familienbild, das nicht mehr in die Zeit passt. Und auch da ist ja - weil es auch andere Stimmen in der Union jedenfalls kurzfristig gegeben hatte - Konfusion feststellbar, eine die zeigt, dass es mit der Regierungsfähigkeit dieses Blockes nicht weit her ist.

    Burchardt: Herr Bundeskanzler, Der Wähler hat nun leider mal diese Fakten geschaffen, wir müssen nun doch was anderes machen, als wir vorher vorgehabt haben, etwa in Koalitionen. Als Erstes stellt sich dann natürlich die Frage: Wenn es denn für eine rot-rot-grüne Koalition reichte, ist die Verlockung dann nicht doch groß, sozusagen die Regierung dann zu bewahren, anstatt das Feld anderen zu überlassen?

    Schröder: Nein, das ist es nicht, denn regieren muss ja auch gehen. Und in der Konstellation kann man aus zwei Gründen ein Land mit 82 Millionen Einwohnern, den drittstärksten Wirtschaftsstaat der Erde, nicht regieren. Das zeigen einfach die völlig konfusen Vorstellungen, die man dort hat in dem, was sich da als erweiterte PDS darstellt, über die Möglichkeiten, im nationalen Maßstab Wirtschaftspolitik zu betreiben. Das würde nach außen Deutschland völlig isolieren und das kann man nicht verantworten. Und der zweite Grund ist, dass die beiden Spitzenleute, die sich da verbündet haben, wirklich welche sind, die gezeigt haben, dass immer dann, wenn es um Verantwortung geht, Flucht das einzige Mittel ist, zu dem sie greifen. Sie sind ja beide aus hohen Ämtern geflohen, als es darum ging, schwierige Entscheidungen durchzusetzen. Das ist aber nun mal nötig, wenn man eine Führungsrolle anstrebt. Und deswegen: Das können Sie ausschließen. Da bin ich mir übrigens mit der gesamten Führung der SPD auch einig. Ich weiß, dass es da die eine oder andere Stimme gab, die mal spekuliert hat, aber das sind Randerscheinungen

    Burchardt: Es gab natürlich auch die eine oder andere Stimme, die über große Koalition spekuliert haben, und in dem Zusammenhang haben Sie ja in 'basta-Manier' die Diskussion beendet. Die kann Ihnen persönlich natürlich auch nicht ins Konzept passen. Aber ist das nicht im Augenblick eine realistische Möglichkeit?

    Schröder: Schauen Sie, es macht in laufenden Auseinandersetzungen über politische Inhalte, über die Frage, wer als Person geeignet ist, das Land zu führen, überhaupt keinen Sinn, über Konstellationen oder Koalitionen zu diskutieren. Deshalb tue ich das auch nicht. Nein, wir haben deutlich gemacht, wir wollen stärkste Partei werden, wir wollen eine bewährte Zusammenarbeit fortsetzen. Und alles andere sind Debatten, die eigentlich nur ablenken von den inhaltlichen Fragen. Um die geht es aber. Darauf haben die Menschen einen Anspruch, dass man die klärt.

    Burchardt: Wir sprechen, wie so viele schon viel länger, auch schon eine Viertelstunde über eine Wahl, die es möglicherweise gar nicht gibt am 18. September. Es kann sein, dass schon morgen, am Montag, eine Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht fällt, die unter Umständen auch tatsächlich dazwischen grätscht. Halten Sie diesen Kaffee jetzt schon für gekocht, oder glauben Sie, dass hier tatsächlich noch die Wahl gestoppt werden könnte?

    Schröder: Es gibt eine gute Übung, nämlich dass die Verfassungsorgane einander in der Öffentlichkeit nicht in die Parade fahren, indem sie spekulieren, wie denn der eine oder andere entscheiden könnte. Daran will ich mich halten, und deswegen wird es von mir auch kein kommentierendes Wort zu einer Entscheidung geben, die es noch gar nicht gibt. Das gebietet einfach der Respekt des Verfassungsorgans Bundeskanzler dem Verfassungsgericht gegenüber. Deswegen bitte ich um Verständnis, dass ich mich an einer solchen Spekulation, die ich aus journalistischen Gründen nachvollziehen kann, nicht beteiligen werde.

    Burchardt: Wenn man das bedenkt, worüber wir jetzt gesprochen haben, Herr Bundeskanzler, haben Sie sich möglicherweise auch ein wenig verspekuliert mit Ihrer Vertrauensfrage. Haben Sie wirklich damit gerechnet, dass sich plötzlich ein Linksbündnis in dieser Art etablieren kann?

    Schröder: Also zunächst einmal ging es nicht um eine Spekulation, sondern um die Frage, gibt es eine neue Legitimation für eine für Deutschland wichtige Politik nach innen und nach außen. Und deswegen war das notwendig, so zu verfahren, wie es geschehen ist. Das Weitere: Diese Partei hätte sich so oder so gebildet, denn es war ja klar, dass dieser Wunsch bestand und deswegen glaube ich nicht, dass der frühe Wahltermin das gefördert hat, sondern glaube schon, dass das unabhängig von dem Wahltermin so gekommen wäre, weil die Akteure das einfach gewollt haben und weil es ja das Recht einer solchen Gruppe ist, sich zusammenzuschließen um politischen Einfluss zu gewinnen. Es ist deren Recht, aber ich kann nur sagen: Wer genau hinschaut, der weiß, dass Deutschland damit nicht gedient ist, mit den Personen nicht und auch mit den Inhalten nicht. Denn das sind die Inhalte von gestern und das sind Personen, die Verantwortungslosigkeit zum Prinzip erhoben haben. Und damit ist im wahrsten Sinne des Wortes kein Staat zu machen.

    Burchardt: Es fällt auf, dass Sie in den letzten Tagen - ich will das mal etwas überspitzt formulieren - anfangen, Front gegen die Wirtschaft zu machen und die Wirtschaft auch auffordern, mehr für das Volk, für die arbeitende Bevölkerung zu tun. Es gibt ein Bonmot von Tucholsky, zugegebenermaßen in der Weimarer Republik, der mal sagte auf die Regierung: Sie dachten, sie wären an der Macht, dabei waren sie nur an der Regierung. Trifft das auch heute noch zu?

    Schröder: Nein, das trifft so nicht zu. Also, ich glaube nicht, dass man das Tucholsky-Zitat wirklich auf die gegenwärtige Wirklichkeit anwenden kann. Politik setzt den Rahmen und in diesem Rahmen muss sich Wirtschaft bewegen. Und wenn Sie darauf hinweisen, dass ich auch etwas einfordere von der Wirtschaft, haben Sie ja Recht. Es geht mir darum, dass die Unternehmen, zumal die großen, nicht nur betriebswirtschaftlich funktionieren, sondern auch ihre regionale, ihre volkswirtschaftliche Bedeutung erkennen und entsprechend handeln. Die müssen in der Tat, weil wir einen sehr viel günstigeren Rahmen gesetzt haben als je zuvor, investieren und über diese Möglichkeiten Arbeitsplätze schaffen. Und ich habe immer deutlich gemacht, dass es eine Verpflichtung der Wirtschaft ist, für Ausbildungsplätze für die jungen Leute zu sorgen.
    Burchardt: Aber der ist man doch nicht nachgekommen. Wir haben doch hier ausstehende Zahlen.

    Schröder: Nein, nein, im letzten Jahr hat das funktioniert. Da haben wir Angebot und Nachfrage überein bringen können durch den Pakt, den wir mit der Wirtschaft geschlossen haben. Der hat wirklich funktioniert. Und ich gehe davon aus, dass das auch in diesem Jahr so sein wird. Aktuell, wir diskutieren diese Frage jetzt im August, sind die Zahlen natürlich anders, weil diejenigen, die aus den Schulen entlassen werden, natürlich in der Statistik auftauchen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir das schaffen werden, im Laufe diesen Jahres dafür zu sorgen, dass wir ein ähnlich gutes Ergebnis wie 2004 erzielen können.

    Burchardt: Nach dem, was Sie jetzt sagen, muss sich aber doch der Eindruck verfestigen, dass die Bundesregierung im Prinzip sagt: Wir setzen euch gute Rahmenbedingungen, aber der Wirtschaft ist es eigentlich egal, sie tut was sie will.

    Schröder: Nein, das kann man so nicht sagen. Wenn man sich einmal die einzelnen Branchen anschaut, dann ist es schon so, dass etwa im Bereich der Automobilindustrie Arbeitsplätze entstanden sind. Das gleiche trifft für die Informations- und Kommunikationstechnologien zu. Wir haben natürlich Rationalisierung erlebt und damit auch Arbeitsplätze verloren. Es kommt für eine vernünftige Strategie, politisch gestützt, darauf an, dass wir zusätzliche Möglichkeiten schaffen in dem, was man Zukunftsbranchen nennt. Und wir haben über Innovation, über Förderung von Forschung und Entwicklung dafür gesorgt, dass das möglich ist. Im übrigen: Auch die Arbeitsmarktreformen beginnen zu greifen, das darf man nicht unterschlagen. Wir haben zum ersten Mal seit März diesen Jahres einen Rückgang bei der Langzeitarbeitslosigkeit, übrigens auch im Osten des Landes. Und wir können darauf hinweisen, dass die Zahl derer, die in Arbeit sind, dass die wächst. Und natürlich brauchen solche umfassenden Reformen, die ja, was die letzte Stufe angeht, erst mit Beginn diesen Jahres in Kraft getreten sind, auch eine gewisse Zeit, ehe sich Erfolge sichtbar einstellen. Aber im Zusammenhang damit, dass auch nach dem Urteil des Auslands die deutsche Wirtschaft gut aufgestellt ist, gehe ich davon aus, dass die Arbeitsmarktreformen auf der einen Seite und der wirtschaftliche Erholungsprozess, zunächst außenwirtschaftlich gesteuert, aber inzwischen aber auch den Binnenmarkt ergreifend, dass das wirklich dazu führt, dass wir weiter kommen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
    Burchardt: Wie weit ist Ihre Frustrationstoleranz eigentlich? Denn, um es einmal überspitzt zu formulieren: Die Wirtschaft tut nicht immer das, was Sie wollen, die eigene Partei ist Ihnen auch nicht nur gut gewogen gewesen. Was das Volk angeht, so kann man ja auch sagen, dass Sie sich bisweilen missverstanden fühlen oder nicht voll verstanden, was die Umsetzung von Harz IV angeht. Insbesondere im Osten ist offenbar der Frust drauf. Herr Stoiber hat das ja nun auch noch mal sehr drastisch formuliert. All diese muss doch eigentlich einen Bundeskanzler, der nur sagte, ich erneuere diese Republik so, wie es jetzt nötig ist, dazu bringen, dass er irgendwann mal sagt, ich schmeiß den Bettel hin oder, wie es einmal ein König gesagt hat, macht euren Dreck alleene.

    Schröder: Das ist nicht meine Haltung. Ich habe ein Amt übernommen und damit die Verpflichtung, das zu tun, was notwendig ist für dieses Land. Und wir sind mitten in diesem Reformprozess, der nicht abgebrochen werden darf. Es ist immerhin ein Reformprozess, den wir nach innen friedlich hinbekommen haben, was ja auch nicht selbstverständlich ist. Die Auseinandersetzungen haben im Großen und Ganzen stattgefunden in den politischen Institutionen, zwischen den politischen Kräften, aber nicht auf der Straße.

    Burchardt: Würde es denn bei einem Regierungswechsel so friedlich bleiben, falls dann der Kurs sogar noch verschärft würde?

    Schröder: Das wäre meine Hoffnung, aber sicher bin ich natürlich nicht. Und die Befürchtung, die ich habe ist, dass das, was die Union an Streichung von Arbeitnehmerrechten ankündigt, wirklich auch Beeinträchtigung ist, der Verdienstmöglichkeiten der Aktivsten, der Mobilsten, derer, die Schichtarbeit machen, die Nachtarbeit machen, dass das zu Reaktionen führte, die die Friedlichkeit eines Reformprozesses infrage stellen würden. Sie merken, ich drücke mich bewusst zurückhaltend aus, aber ich muss darauf hinweisen, dass diejenigen, die immer weiter einseitig die Arbeitnehmerrechte einschränken wollen, die Gewerkschaften schwächen wollen, dass die ein gefährliches Spiel mit dem Feuer spielen und dass der innere Reformprozess, der nun einmal nötig war angesichts der Veränderungen, denen wir ausgesetzt sind, dass wir den friedlich hinbekommen haben. Ob das andere genau so gut können, das ist die Frage, die sich jeder für sich selber beantworten muss.
    Burchardt: Ich würde zum Schluss unseres Gesprächs doch noch einmal gerne auf die Außenpolitik kommen, Herr Bundeskanzler, die sicherlich in diesen Wochen eine untergeordnete Rolle spielt im öffentlichen Diskurs. Aber aufgemerkt hat man schon, als Sie anmerkten in Tradition auch zur Irakpolitik der Bundesregierung, dass auch im Iran deutsche Truppen keineswegs zur Verfügung stünden. Nun hat sich diese Frage bisher auch nicht gestellt. Wollen Sie das zum zentralen Wahlkampfthema machen?

    Schröder: Nein, überhaupt nicht. Ich habe reagiert auf eine Äußerung aus den Vereinigten Staaten von Amerika, wo deutlich wurde, dass man die militärische Option nicht ausschließen will. Inzwischen hat man das relativiert, vielleicht auch wegen der Intervention. Ich hatte darauf zu reagieren als deutscher Bundeskanzler und deutlich zu machen, dass wir daran interessiert sind, dass der Iran keine Verfügung über atomare Waffen erhält, dass wir dies aber in einem friedlichen diplomatischen Prozess lösen wollen, einem Prozess, bei dem wir auch wirtschaftliche Zusammenarbeit anbieten wollen und anbieten müssen, und dass es gefährlich wäre, die militärische Option zu erklären und darauf zu bauen. Denn das hieße, eine Lunte in ein Pulverfass zu werfen, wie wir gesehen haben. Ich bin froh, dass sich dem die Opposition jedenfalls weitgehend inzwischen angeschlossen hat. Und Sie haben zu Recht den Irak erwähnt: Da bleibt es dabei, auch dort ist ja die Opposition beigedreht, wenn ich mal so sagen darf. Das zeigt übrigens nur, dass es immer etwas spät kommt, die Stimme der Vernunft bei der Opposition und beweist erneut, dass es sinnvoll ist, uns das weiter machen zu lassen, denn ich glaube, wir haben bewiesen, dass wir unsere Bündnisverpflichtungen erfüllen, dass wir aber so weit es irgend möglich ist, auf die Lösung internationaler Konflikte mit friedlichen Mitteln setzen, Deutschland also als eine mittlere Macht, die friedenswillig und friedensfähig ist, positionieren. Das sollte nicht infrage gestellt werden.

    Burchardt: An diesem Wochenende geht ein Megaereignis zu Ende, der Weltjugendtag. An dem können wir jetzt nicht vorbei gehen. Sie selbst haben den Papst ja am Flughafen mit empfangen. Man sieht Bilder von unglaublich begeisterten Jugendlichen, die sich auch für einen letztlich erzkonservativen Papst offenbar begeistern. Findet in der Weltjugend, vielleicht sogar insgesamt in der öffentlichen Wahrnehmung so gesehen eine Wertewende statt?

    Schröder: Das würde ich so nicht nennen. Ich glaube, dass religiöse Werte für Jugendliche immer eine Bedeutung gehabt haben - übrigens nicht nur für Jugendliche - und katholische wie evangelische Christen, das Christentum überhaupt trägt zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft, unseres Landes bei. Und insofern hat mich das Ereignis sehr gefreut. Noch mehr gefreut hat mich die Art und Weise, wie es vonstatten gegangen ist. Die Begeisterung, die sichtbar war, die Bereitschaft auch zu Internationalität, nicht zuletzt der deutschen Jugendlichen, all das zeigt doch, dass wir in einem Land leben, das offen ist, das tolerant ist und dass die Jugendlichen diese Offenheit und Toleranz leben. Natürlich vertritt der Papst gesellschaftspolitische Vorstellungen, die nicht meine sind. Aber er vertritt sie eindeutig, er vertritt sie sehr klug, so dass mit dem, was er sagt, sich jede Auseinandersetzung lohnt. Das ist schon auf intellektuell sehr, sehr hohem Niveau, was dort geschrieben und gesagt wird und es ist auch eine intellektuelle Freude, sich damit auseinander zu setzen.

    Burchardt: Kann man da als Spitzenpolitiker nicht neidisch werden? Die Politik oder die Politiker sind im Moment auch in einem Status in einem öffentlichen Anerkenntnis, der ziemlich weit hinten rangiert, während der Papst ganz vorne rangiert. Was machen Sie falsch?

    Schröder: Ich glaube, mit dem Papst zu wetteifern, was die Bedeutung in der Öffentlichkeit angeht, was die Bedeutung auch für das Innere der Menschen angeht, wäre ganz falsch. Politik ist etwas ganz anderes als Religion. Religion ist etwas, was Menschen ja im Inneren berührt. Gelegentlich tut das Politik auch, aber jede Form des Wetteiferns hielte ich für ganz falsch. Im Gegenteil, ich freue mich wirklich darüber, wenn - das trifft ja auch für evangelische Kirchenführer zu, wenn die im Bewusstsein des Volkes einen wirklich wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaften, die katholische Kirche ist ja nun wirklich Weltkirche, leisten. Darüber kann man sich als Politiker nur freuen. Und jede Form von Wetteifern, glaube ich, wäre falsch.

    Burchardt: Vielen Dank, Herr Bundeskanzler.

    Schröder: Bitte schön.