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Schrödingers Virus

Physik. - Die Gesetze der Quantenmechanik beschreiben die bizarre Welt des Mikrokosmos so trefflich, dass an ihrer Korrektheit kaum Zweifel bestehen. Gewöhnungsbedürftig sind sie trotzdem, denn sie erlauben Atomen, Molekülen und ähnlich winzigen Objekten beispielsweise, an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Bei einem Tisch oder Haus dagegen wurde so etwas noch nie beobachtet. Wo aber liegt die Grenze. Mit einem pfiffigen Experiment wollen Forscher dieser Frage jetzt nachgehen.

Von Ralf Krauter | 05.08.2010
    Was für unsereins wie Zauberei klingt, ist für winzige Quantenobjekte wie Elektronen, Atome oder Moleküle Alltag: Sie können sich an mehreren Orten gleichzeitig befinden und mehrere Dinge gleichzeitig tun. Das physikalische Prinzip, das solche Sowohl-als-Auch-Zustände ermöglicht, heißt Superposition. Es besagt, dass sich die Wellenfunktionen, mit denen Forscher mikroskopische Partikel mathematisch beschreiben, überlagern können. Das Ergebnis sind fragile Mischzustände, erklärt der spanische Physiker Dr. Oriol Romero-Isart.

    "Die Überlagerung von Wellenfunktionen ist das fundamentale Prinzip der Quantenmechanik. Es wurde in unzähligen Experimenten mit Atomen, Molekülen und so weiter bestätigt. Offen ist aber, ob dieses Prinzip auch dann noch gilt, wenn man den Mikrokosmos verlässt. Wir haben deshalb ein Experiment vorgeschlagen, mit dem man untersuchen kann, ob Superpositionen auch mit größeren Objekten möglich sind."

    Oriol Romero-Isart forscht als Humboldt-Stipendiat am Garchinger Max-Planck-Institut für Quantenoptik. Sein Ziel ist es, die Grenzen der bizarren Quantengesetze auszuloten. Atome und Moleküle gehorchen ihnen, makroskopische Gegenstände nicht. Die Physiker erklären sich das damit, dass sich nur winzige Partikel gut genug isolieren lassen, um die empfindlichen Sowohl-als-Auch-Zustände beobachten zu können. Größere Objekte dagegen spüren Umwelteinflüsse, stoßen mit Luftmolekülen und ähnlichem zusammen und verlieren dadurch ihre Quantennatur. Ein Stuhl zum Beispiel wurde deshalb noch nie an zwei Orten gleichzeitig gesehen.

    "Doch was wäre, wenn es doch gelänge, ein größeres Objekt von der Außenwelt abzuschirmen? Wären die Quantengesetze dann noch gültig? Professor Roger Penrose aus Großbritannien ist der Ansicht, dass sie ab einer bestimmten Masse nicht mehr gelten. Wenn das stimmt, dürften oberhalb dieser Grenze keine Superpositionen mehr auftreten. Und genau diese Vermutung wollen wir experimentell testen."

    Der Versuchsaufbau, den Oriol Romero-Isart und Kollegen vorschlagen, ähnelt jenem, mit denen Physiker heute einzelnen Atomen und Molekülen auf den Zahn fühlen. Sie wollen zehntausendstel Millimeter messende Objekte mit Laserstrahlen in die Zange nehmen und kitzeln.

    "Die Kollegen hier am Max-Planck-Institut fangen einzelne Atome in optischen Käfigen und manipulieren sie dann mit Laserstrahlen. Wir schlagen vor, dasselbe mit Objekten zu machen, die aus Milliarden Atomen bestehen."

    Winzige Quartzkügelchen wären mögliche Kandidaten für den Quantentest. Aber auch Mikroorganismen wie Viren hätten die passende Größe und wären robust genug, den Laserbeschuss im Vakuumkessel zu überstehen. Vorversuche für entsprechende Experimente laufen bereits. Dabei geht es zunächst darum, die Untersuchungsobjekte mit Laserstrahlen in der Schwebe zu halten. Dann müssten die Forscher sie mit Lichtpulsen gezielt manipulieren, um einen der fragilen Mischzustände zu erzeugen. Sollte das mit einem Virus gelingen, wäre dieser die erste Quanten-Kreatur auf dem Planeten - also die erste Lebensform, die zwei Dinge gleichzeitig tun kann. Der medizinische Nutzen wäre zwar gleich Null, umso größer aber der physikalische Erkenntnisgewinn.

    "Bei Objekten bis zu einem halben Mikrometer Größe müsste unsere Methode funktionieren. Vermutlich ließe sich die Grenze sogar noch etwas weiter nach oben schieben."

    Ob man aber jemals bis zum Format einer Katze vorstoßen und damit Erwin Schrödingers berühmtes Gedankenexperiment nachstellen könnte, bei dem eine Katze tot und lebendig zugleich ist? Da hat der spanische Physiker dann doch Zweifel. Aber schon ein Virus im quantenmechanischen Überlagerungszustand wäre spannend genug. Von der Superposition wäre es nämlich nur noch ein kleiner Schritt zur Teleportation, also dem Kopieren aller Quanteninformation von einem Organismus auf einen anderen. Ein Vorgang, der Star-Trek-Fans unter dem Begriff "beamen" geläufig ist.