Leif Ove Andsnes betont in seinem eigenen kleinen Essay zu Schubert die Verwandtschaft gerade der späten Sonaten mit dem Klavierwerk Beethovens. In seiner Interpretation freilich tritt viel eher die Nähe Schuberts zum späten Haydn zutage, und da ist der Pianist Andsnes tatsächlich dem Essayisten voraus. Er geht auch einigermaßen zügig vor, sorgt für eine schlüssige Verbindung zwischen Kopfsatz und Finale und lässt sich zugleich immer wieder alle Zeit für die plötzlichen Unterbrüche und Abstürze, für die Form gewordene Vergeblichkeit jeglicher Anstrengung. Ein kleines Detail ist aufschlussreich: In den reichlich vorhandenen Oktavgriffen nimmt er den unteren Ton fast stets sehr zurückhaltend und betont dadurch die Helle des Klangs. Tatsächlich wirkt dieser Schubert sehr licht, gar nicht zergrübelt, dafür immer wieder von plötzlicher Verzweiflung zerrissen. Großen Atem beweist Andsnes in den schier endlosen Triolenketten dieser Sonate; denn diese Triolen lässt er mal rastlos vorwärtstreiben, mal selbstvergessen in sich kreisen, sodass das innere Tempo der Musik ständig variiert, ohne dass sich das Zeitmaß wirklich ändert. Herausgekommen ist ein außerordentlich aufregender Schubert, wobei das Andantino, das Andsnes in diesem Fall auch wirklich Andantino spielt und nicht Andante oder gar Adagio, in seiner inneren Zerrissenheit paradigmatisch für das ganze Projekt sein dürfte - soweit es die Sonaten betrifft. * Musikbeispiel: F. Schubert - 2. Andantino aus der Sonate A-dur D 959 Soweit Leif Ove Andsnes mit dem Andantino aus der Sonate A-dur D 959 von Franz Schubert. Gerade vor dem Hintergrund dieses Satzes scheint seine Zusammenarbeit mit dem Tenor Ian Bostridge allerdings eher problematisch. Ian Bostridge ist ein Sänger mit einem ungewöhnlich schönen Timbre, einer ausgefeilten Technik und sehr hoher Musikalität. Er ist freilich auch das, was der Wiener einen "Krawattl-Tenor" nennt. Also nicht gerade die gestaltgewordene Sprengkraft. Vermutlich hält er das Wort "Brustregister" für obszön. Unter den möglichen Befindlichkeiten des Menschen gibt er dem Zustand des Schmachtens entschieden den Vorzug. Fast jeder Ton bekommt eine kleine messa di voce mit auf den Weg, und für beinahe jede Silbe hält er einen leichten Augenaufschlag bereit. Nun hat der große Kaiser Karl V. sicher übertrieben, als er meinte, die deutsche Sprache sei vorzüglich geeignet, mit Feinden zu reden. Aber ganz so weichgespült muss hiesige Poesie nicht klingen. Gesangstechnisch gesprochen dehnt Bostridge die Vokale nicht ausreichend und hält sich dafür viel zu lang mit den Konsonanten auf, die er dann zur Unkenntlichkeit vernuschelt. Will sagen: die Sache hat keinen Biss, und wenn in den Texten immer wieder von unglücklicher Liebe die Rede ist, kann man nur konstatieren: Recht so, Mädels! haltet euch die Kerle vom Leib, die nur Mutterersatz suchen! * Musikbeispiel: F. Schubert - "Die Sterne"