Archiv


Schubert, Wüllner, Haydn

Die drei CDs sind voneinander gründlich unterschieden, und so besteht immerhin die Chance, dass heute für jeden etwas dabei ist. Es geht um eine neue Schubert-CD des Mandelring Quartetts, um Kammermusik des Romantikers und Gürzenich-Kapellmeisters Franz Wüllner und um Feldparthien von Joseph Haydn. Die letzteren zählen nicht mehr zur eigentlichen Kammermusik, sondern sind Freiluftmusiken zum Plaisir der jagenden und sich sonstwie in der Natur ergötzenden Herrschaften, und in früheren Zeiten mussten die Musiker zu diesem Behufe wasser- und schußfest sein, ganz wie die Pferde, denen sie an Wertschätzung bei den Jagdherren nur wenig nachstanden.

Von Norbert Ely |
    Das Mandelring Quartett hat seine neue Produktion bei dem Label "audite" vorgelegt. Eingespielt haben die vier, die nun schon seit geraumer Zeit erfolgreich im Familienverbund streichen, Schuberts Es-dur-Quartett D 87 und das d-moll-Werk D 810, "Der Tod und das Mädchen". Das letztere ist natürlich das Hauptwerk auf dieser Scheibe; die beiden ersten Sätze benötigen zusammen bereits eine halbe Stunde.

    Der erste Eindruck: einfach imponierend! Da begegnen einem musikalisches Denken und musikalische Rede par excellence. Die beiden Hauptsätze des d-moll-Quartetts legen die vier an, als gelte es eine Bruckner-Sinfonie - mit ganz weitem, schier unerschöpflichem Atem. Nirgends die gefühligen Ritardandi, mit denen sich sonst auch gute Ensembles mal einen Moment des Verschnaufens gönnen. Das geht zwingend fort und fort, und dennoch klingt es nie gezwungen. Zumal im Kopfsatz, der über eine Viertelstunde in Anspruch nimmt, herrscht ein rascher, leichter, stets zu den fahlen Farben neigender Bogenstrich, der am Anfang des Tons immer einen deutlichen Akzent setzt - man spielt sozusagen Fortepiano. Das bekommt zum einen der Struktur des Satzes, baut zum andern eine unerhörte Spannung auf und bringt ein Moment des Konsonantischen ins Spiel, das wiederum der musikalischen Rede aufhilft.

    • Musikbeispiel: Franz Schubert - 1. Satz (Ausschnitt) aus: Streichquartett d-moll D 810 ("Der Tod und das Mädchen")

    Soweit das Mandelring Quartett mit einem Ausschnitt aus dem ersten Satz des Streichquartetts "Der Tod und das Mädchen” von Franz Schubert. Grandios ist der Variationensatz aufgebaut, der dem Werk den Namen gab. Dunkelste, wenngleich eher verhaltene und diskrete Trauer liegt über dieser Musik, bis sich kurz vor Ende die Spannung in einem wirklich ergreifend desperaten Ausbruch löst. Hier herrscht ein freier, zurückgenommen-singender Bogenstrich.

    • Musikbeispiel: Franz Schubert - 2. Satz (Ausschnitt) aus: Streichquartett d-moll D 810 ("Der Tod und das Mädchen")

    Diese Schubert-Interpretation des Mandelring Quartetts ist unerhört modern, groß in den Emotionen, wobei diese nie vordergründig zur Schau getragen werden. Man wird an jenen englischen Schauspieler erinnert, der das verzweifelte "Blow, winds, blow" des Lear niemals schrie, sondern fast flüsternd hervorstieß und gerade damit sein Publikum bis in die Tiefen rührte. Erschienen ist die Schubert-CD der Mandelrings bei dem Label "audite".

    Musik ganz anderen Zuschnitts ist auf einer CD des Kölner Labels "Verlag Dohr" zu hören. Da geht es um den Brahms-Zeitgenossen Franz Wüllner. Der stammte aus Münster in Westfalen, spielte in Dresden und Berlin eine bedeutende Rolle und war gegen Ende seines Lebens Gürzenich-Kapellmeister in Köln. Auf der CD finden sich eine ausgewachsene Violinsonate in e-moll, Wüllners Opus 30, vierhändige Variationen über ein altdeutsches Volkslied op. 11 und 22 Variationen über ein Thema von Schubert für Klavier und Violoncello. Beteiligt sind an dem Projekt die Geigerin Suyoen Kim, die Pianisten Tobias Bredohl, Alina Kabanova und Ekatherina Titova und der Cellist Konstantin Manaev. Wüllners sehr eigenständigen Stil zu beschreiben, ist nicht ganz einfach. Offenkundig erlag er nicht dem Sog des Zeitgenossen Brahms, sondern ging sehr persönliche Wege. Am ehesten könnte man ihn als Klassizisten bezeichnen und dem großen Camille Saint-Saëns an die Seite stellen. Wüllner setzt das beethovensche Denken fort, nutzt dazu aber die sich verästelnde Formentwicklung der Romantik und orientiert sich in der Harmonik einerseits an Schumann, anderseits an französischen Modellen der 1860er Jahre. Die Themen haben die melodische Eleganz der Oper, werden aber nicht nur höchst geistreich, sondern auch ausgesprochen abwechslungsreich verarbeitet. Will sagen: Wüllner ist nie akademisch. Und dementsprechend wird bei dieser Produktion auch frisch und unmittelbar musiziert. Ein Highlight ist dabei ohne Zweifel der alte Wiener Streicher-Flügel aus dem Jahr 1861 mit seinem unaufdringlichen, singenden Diskant und einer Cellolage wie Samt. Ein Ausschnitt aus dem zweiten Satz der Violinsonate op.30 mit der Geigerin Suyoen Kim und dem Pianisten Tobias Bredohl.

    • Musikbeispiel: Franz Wüllner - 2. Satz (Ausschnitt) aus: Violinsonate e-moll, op. 30

    Suyoen Kim und Tobias Bredohl mit einem Ausschnitt aus dem zweiten Satz der Violinsonate von Franz Wüllner. Die CD ist beim Kölner Verlag Dohr erschienen und macht, nebenbei bemerkt, Lust darauf, sich mal Noten von Wüllner zu besorgen und das eine oder andere Stück selbst unter die Finger zu nehmen.

    Zu unserer letzten Scheibe, die bei Capriccio erschienen ist. Darauf ist das Linos-Ensemble mit fünf Feldparthien von Joseph Haydn zu hören. Das offensichtliche Vergnügen, das die Musiker beim Musizieren empfanden, vermittelt sich ungeteilt. Haydn hat natürlich auch bei diesen Feldparthien wieder nach Herzenslust experimentiert. Die B-dur-Parthie Hob. II:42 ist für 2 Oboen geschrieben, für 2 Klarinetten, die damals brandneu waren, zwei Jagdhörner und 2 Fagotte, zu denen sich noch ein Kontrabass gesellt, der immer schon als hinreichend widerstandsfähig galt, um mit ihm durch Feld und Wald zu streichen. Über das Finale schrieb Haydn schlitzohrig "Allemande". Aber es ist tatsächlich ein ausgemachtes Jagdfinale, fröhlich und ohne jeden Nebengedanken an die Hirsche und Hasen, Sauen und Treiber, die es womöglich dahingerafft hat - einfach nur bestgelaunter Haydn in Erwartung eines guten Bratens. Er sei in diesem Fall nicht nur den Waidwerkern, sondern auch den Musikern von Herzen gegönnt.

    • Musikbeispiel: Joseph Haydn - 5. Satz aus: Feldparthie B-dur Hob II:42

    Das war die neue Platte. Heute ging es um eine Schubert-CD des Mandelring Quartetts, die bei "audite" erschienen ist, um eine Wüllner-CD aus dem Verlag Dohr und um Feldparthien von Haydn, die vom Linos Ensemble für Capriccio eingespielt wurden. Zum Schluss hörten Sie das Jagdfinale aus der Feldparthie B-dur Hob II:42, und falls Sie heute, sagen wir, Caniglio alla cacciatore auf dem Mittagstisch haben sollten, wünscht Ihnen Norbert Ely am Mikrofon schon jetzt ein genußvolles Schrotkörnerbeißen.

    Franz Schubert - String Quartets
    Ensemble: Mandelring Quartett
    Label: audite
    Labelcode: LC 04480
    Bestell-Nr.: 97.507

    Franz Wüllner - Kammermusik
    Solisten: Suyoen Kim, Violine
    Tobias Bredohl, Klavier u.a.
    Label: Verlag Dohr
    Labelcode: LC 10644
    Bestell-Nr.: DCD 020

    Joseph Haydn - Feldparthien
    Ensemble: Linos Ensemble
    Label: CAPRICCIO
    Labelcode: LC 08748
    Bestell-Nr.: 67069