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Schubladendenken ad absurdum führen

Galten noch vor 30 Jahren Wissenschaftler, die sich schwerpunktmäßig mit der low culture beschäftigten tendenziell als Nestbeschmutzer, so hat sich heute das Bild grundlegend gewandelt. Die beiden Herausgeber Corina Caduff und Tan Wälchli von der Züricher Hochschule der Künste praktizierten die Konfrontation von High und Low in den Disziplinen bildende Kunst, Literatur, Musik, Theater, Tanz und Film.

Von Matthias Eckoldt | 29.01.2009
    Eine Umfrage im Jahr 2006 ergab, dass nur 20 Prozent der US-Amerikaner einen Helden aus der Odyssee von Homer nennen konnten, während zugleich 60 Prozent der Befragten Homer Simpson, den Vater der gleichnamigen Zeichentrickfilm-Serie, kannten. Diese beredte Studie über den Wertewandel in der westlichen Welt bildet den Ausgangspunkt für den Band "High / Low", der aus einem Symposion zum Thema heraus entstanden ist.

    Die Umwertung in der Gewichtung von Hoch- und Alltagskultur hat nach der Diagnose der beiden Herausgeber Corina Caduff und Tan Wälchli von der Züricher Hochschule der Künste mittlerweile auch den akademischen Diskurs erreicht. Galten noch vor 30 Jahren Wissenschaftler, die sich schwerpunktmäßig mit der low culture beschäftigten tendenziell als Nestbeschmutzer, so hat sich heute das Bild grundlegend gewandelt: Akademiker, die auf der Verbindlichkeit der High art bestehen, behandelt die scientific community mittlerweile als Außenseiter und Provokateure. Caduff und Wächli schlagen für den Umgang mit High und Low nun einen dritten Weg vor:

    "Wenn man sich heute ernsthaft mit High und Low beschäftigt, machen Abgrenzungen und Polemiken wenig Sinn. Kulturpessimismus und Verteidigung des High ist ebenso uninteressant wie eine Feier des Low. Vielmehr ist zu untersuchen, wie sich High und Low in den letzten Jahrzehnten gegenseitig durchdrungen haben und welche wechselseitigen Übergänge und Mischformen dabei zustande gekommen sind."

    Die Kulturwissenschaftler Caduff und Wälchli praktizierten die Konfrontation von High und Low in den Disziplinen bildende Kunst, Literatur, Musik, Theater, Tanz und Film. Besonders fruchtbar wird ihr Projekt, weil sie sowohl Wissenschaftler als auch Künstler eingeladen haben, über die Frage der Durchdringung von High und Low nachzudenken. Nach welchen Kriterien wird beispielsweise in der Literatur High und Low getrennt? Entscheidet die Bestsellerliste über Hochliteratur, Unterhaltungsliteratur und Trivialliteratur, oder eher das Rezeptionsverhalten oder der Erscheinungsort oder gar die Literaturkritik? Tan Wälchli belegt in seinem Aufsatz anhand des amerikanischen Autors Brett Easton Ellis sehr eingängig, wie sich die Kategorien High und Low in der literarischen Postmoderne wechselseitig durchdringen und damit das Schubladendenken ad absurdum führen. Ellis, so die provokante These von Wälchli, leistet in seinem Roman Luna Park das, was Beckett im "Endspiel" vergeblich versucht hätte, nämlich die Überwindung der High Art - hier in Form von Shakespeares "Hamlet":

    "Während Beckett das "gespaltene" Subjekt Hamlet deshalb kritisiert, weil es sich mit dem Problem der Vaterschaft herumschlage, anstatt sich dem Fluch der Geburt zu stellen, rückt Ellis wieder das Thema der Vaterschaft in den Vordergrund. Umgekehrt wird damit die Strategie von Beckett als ein Manöver entlarvt, um vom tatsächlichen Problem des neuzeitlichen Helden abzulenken. Dieses gründet Ellis zufolge in der fehlenden Erinnerung an den Tod des Vaters. Damit könnte schließlich sogar erklärt werden, weshalb es Beckett nicht gelang, die Überwindung der High Art zu vollziehen: Er hatte das zugrunde liegende Problem falsch lokalisiert."

    Zugegebenermaßen eine kühne These, mit der hier die Theorie der Durchdringung von High und Low untermauert werden soll. Doch genau für solche Kühnheiten ist die Geisteswissenschaft ja da! Anders der Zugang der Künstler, die in ihren Erkundungen zum Thema eher bei sich und ihren Arbeiten bleiben. Schriftsteller, Tänzer, Musiker und Aktionskünstler hat der Band versammelt. So erzählt der Engländer Bill Drummond, der 1994 in einem Kunstprojekt eine Million Pfund verbrannt hat, in erfrischend undiskursivem Ton von seinem Ringen um eine Vermarktungsstrategie für einen fünfundzwanzig Bilder umfassenden Zyklus. Da er sich nicht für 10.000 Pfund, die ein Sammler für eines der in den Körpermaßen Drummonds gemalten Bilder, zum - wie er schrieb - Lakaien machen wollte, entschied er kurzerhand, dass es keine Original mehr von ihm geben würde:

    "Wenn jemand blöd genug ist, zehntausend Pfund für ein solches Bild zu zahlen, dann soll er das tun. Aber er würde kapieren müssen, dass es keine Signatur geben würde, und dass ich, sobald ich es verkauft hätte, ein identisches als Ersatz malen würde. Und wenn jemand eines der Bilder kaufen wollte, aber nicht genügend Cash hatte, dann würde ich dieser Person alle nötigen Instruktionen geben, damit sie es selbst malen könnte."

    Indem Drummond das Original als feste Bezugsgröße des Kunstmarktes ignoriert, leistet er seinen Beitrag zur Durchdringung von High and Low auf ökonomischem Gebiet. Der Künstler räumt durch sein programmatisches Verkaufskonzept sowohl mit dem Vorurteil auf, dass High exklusiv wie auch, dass Low billig sein müsse.

    Dergestalt versteht es die Aufsatzsammlung das Begriffspaar High Low so lange durcheinanderzuwirbeln, bis sich die Frage stellt, ob angesichts der wechselseitigen Durchdringung die Differenz von High und Low überhaupt noch haltbar ist. Die Einblicke in verschiedenste Welten des vorgeblich Hohen und Niederen sind dank vieler präzise reproduzierter Abbildungen durchaus wörtlich zu nehmen. Für den Leser liegt hier ein äußerst inspirierendes, facettenreiches Buch parat, das sich mit High und Low der Reflexion eines Themas angenommen hat, mit dem man zwar täglich doch in der Regel unreflektiert umgeht.


    Corina Caduff, Tan Wälchli "High / Low"
    Hoch- und Alltagskultur in Musik, Kunst, Literatur, Tanz und Kino
    Kulturverlag Kadmos, 158 Seiten, 18,50 Euro