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Schubs für die Erinnerung

Neurowissenschaften. - Im Alter lässt das Gedächtnis nach, was viele betagte Menschen verunsichert. Sind ihre Gedächtnisprobleme Teil des normalen Alterungsprozesses, oder handelt es sich um eine Frühform von Alzheimer? Ein Artikel in "Science Translational Medicine" belegt jetzt klar: die altersbedingte Vergesslichkeit hat andere Ursachen, als die Alzheimerdemenz.

Von Volkart Wildermuth | 29.08.2013
    Eric Kandel ist 83 Jahre alt und forscht noch immer in seinem Labor an der Columbia Universität in New York. Gedächtnisprobleme kennt er nicht, aber damit ist der Nobelpreisträger eine Ausnahme.

    "Die Leute fragen sich, ist das noch normale Altersvergesslichkeit, oder ist das der Beginn von Alzheimer?"

    Deshalb hat Eric Kandel zusammen mit Kollegen die Gehirne von 18 Menschen untersucht, die im Alter zwischen 40 und 90 Jahren verstorben waren. Konkret interessierte die Forscher, wie sich die Aktivität von 20.000 Genen über die Lebensjahre im Gyrus dentatus verändert. Dieser Teil des Hippocampus ist zentral für das Gedächtnis und zeigt Veränderungen bei der Altersvergesslichkeit, nicht aber bei Frühformen von Alzheimer.

    "Wir haben eine Reihe von Genen entdeckt, deren Aktivität sich im Gyrus dentatus aber nicht in einer Kontrollregion verändert. Es gibt 17 dieser Gene, wir haben uns auf RbAp48 konzentriert."

    RbAp48 ist ein Hauptschalter für viele andere Gene. Außerdem arbeitet das Gen mit CREB zusammen. Diesen Transkriptionsfaktor untersucht Eric Kandel schon seit vielen Jahren, er ist zentral für die Übertragung von Informationen vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis. Es gibt also viele Indizien, dass RbAp48 für das Gedächtnis wichtig ist. Jetzt zeigen auch Tierversuche ganz klar, dass ein Mangel an RbAp48 tatsächlich Gedächtnisprobleme verursachen kann. Kandel:

    "Als wir das Gen in jungen Mäusen blockierten, wurden sie vergesslich und im Hirnscanner sah ihr Gyrus dentatus genauso aus, wie der von Menschen mit Altersvergesslichkeit."

    Nun ist es vergleichsweise einfach, in Versuchen etwas kaputtzumachen, das Gedächtnis zu stören. Entscheidend war deshalb ein zweites Experiment von Elias Pavlopoulos aus der Gruppe um Eric Kandel.

    "Wir haben die Aktivität dieses Gens im Gyrus dentatus bei alten Mäusen erhöht. Dadurch wurde ihr Gedächtnis besser. Sie merkten sich Dinge so gut wie junge Mäuse, das habe ich nicht erwartet, das war überraschend."

    Damit ist belegt: RbAp48 hat etwas mit der Altersvergesslichkeit zu tun, auch wenn wahrscheinlich noch weitere Gene eine Rolle spielen. Die Studie aus New York ist aus zwei Gründen wichtig. Erstens zeigt sie, dass sich die Mechanismen der normalen Altersvergesslichkeit klar von denen von Alzheimer unterscheiden. Das dürfte viele ältere Menschen mit Gedächtnisproblemen beruhigen. Zweitens hilft die Studie aber auch bei der Entwicklung von Behandlungsverfahren, meint Scott Small ebenfalls von der Columbia University.

    "Entscheidend ist, wir haben jetzt einen Marker um den Einfluss von Therapien zu prüfen, ganz egal ob es um Ernährung geht, Verhalten oder Medikamente."

    Die Forscher können jetzt gezielt nachsehen, ob eine neue Therapie die Durchblutung im Gyrus dentatus stärkt. Im Labor von Eric Kandel wird sogar schon an Medikamenten gearbeitet, die in den Signalweg von RbAp48 eingreifen. Die sollen nicht als Hirndoping für junge Menschen dienen. Studenten rät Eric Kandel, härter zu arbeiten.

    "Aber im Alter, wenn die Muskeln schwächer werden, trainieren wir und nehmen Vitamine. Es gibt Hörgeräte. Warum soll man also keine Gedächtnispille nehmen? Auch die normale Altersvergesslichkeit ist ein Leiden."