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Schüler-Union vs. Grüne Jugend
Schul-Beflaggung: Symbolpolitik oder Wertevermittlung?

Deutschlandflaggen vor deutschen Schulen - dafür plädiert Adrian Klant von der Schüler-Union Baden-Württemberg. Er will damit Werte vermitteln und "offenen Patriotismus leben". Deniz Gedik von der Grünen Jugend Baden-Württemberg hält die Flaggen-Debatte dagegen für "völligen Quatsch". Ein Streitgespräch.

Deniz Gedik und Adrian Klant im Gespräch mit Thekla Jahn | 22.11.2019
Die Deutsche Flagge und die Europaflagge flattern im Wind
Nur an Feiertagen und zu besonderen Anlässen wehen vor Schulen die Flaggen (dpa / Wolfram Steinber)
Thekla Jahn: Vor den Schulen in Deutschland sollen dauerhaft drei Fahnen wehen: die Deutschlandflagge, die Flagge des jeweiligen Bundeslandes und die Europaflagge. Den Antrag hat die Schülerunion Baden-Württemberg gestellt, und heute ist er Thema auf dem Bundesparteitag der CDU in Leipzig. Das sorgt für Diskussionsstoff über Parteigrenzen hinweg. Das Für und Wider einer Dauerbeflaggung von Schulen, das wollen wir jetzt im Gespräch aufzeigen mit dem Landesvorsitzenden der Schüler-Union, die den Antrag gestellt hat, mit Adrian Klant, und mit Deniz Gedik von der Grünen Jugend Baden-Württemberg.
Herr Klant, bislang werden Flaggen vor Schulen in Deutschland nur an einzelnen Feiertagen oder zu besonderen Anlässen gehisst, warum sollte das anders werden?
Adrian Klant: Wir wollen einfach Folgendes tun: Wir wollen Flagge zeigen für unsere Werte, für unsere Heimat, und wir wollen offenen Patriotismus leben. Wir finden, dass insbesondere dieser Dreiklang aus der jeweiligen Landesflagge, in dem Fall dem Land Baden-Württemberg, der Deutschlandflagge und der EU-Flagge unsere Werte, die Werte des Grundgesetzes und die Werte der europäischen Einigung angemessen auch gegenüber Schülern zum Ausdruck bringt. Und das wollen wir eben nicht nur im Klassenzimmer vermitteln, sondern auch symbolisch durch diese Dauerbeflaggung zum Ausdruck bringen.
Gedik: "Wir halten es für völligen Quatsch"
Jahn: Herr Gedik, was spricht gegen eine Dauerbeflaggung der Schulen in Deutschland? Weshalb ist das keine gute Idee, die die Schüler-Union Baden-Württemberg einbringt?
Deniz Gedik: Wir halten es für völligen Quatsch. Warum? Weil wir glauben, dass Werte nicht von Flaggen vermittelt werden, sondern von Menschen. Und diese Menschen fehlen im Bildungssystem. Deshalb braucht es aus unserer Sicht mehr Schulsozialarbeit, mehr Pädagoginnen, mehr Lehrkräfte, um das massive Defizit an den Schulen im Land auszugleichen und nicht einfach irgendwelche Flaggen symbolhaft hinzustellen.
Jahn: Das heißt, Sie sind grundsätzlich gegen Flaggen?
Gedik: Wir sind nicht grundsätzlich gegen Flaggen, wir finden Flaggen auch gut, aber wir verstehen den Zweck dahinter nicht. Ich persönlich finde einige Flaggen auch schön, aber mit Flaggen alleine werden sich marode Schulen nicht lösen. Das hat auch der Philologenverband geäußert und sich da kritisch geäußert, dass das schon fast wie eine Farce wirkt anhand von sanierungsbedürftigen Schulen, der Digitalisierung, die ganz schleppend voranläuft. Und jetzt diskutiert man darüber, ob da eine Fahne vorne weht oder nicht. Das finde ich das völlig falsche Signal, weil einfach, statt irgendwelche Lösungen aufzuzeigen und auch wirklich das Bildungssystem anzugehen, einfach wieder Symbolpolitik gefahren wird.
Klant: "Unsere Flagge ist viel mehr als ein Symbol"
Jahn: Herr Klant, also eine Flagge als Symbol, aber das nur als Symbolpolitik?
Klant: Dazu muss ich einfach gleich antworten: Unsere Flagge ist viel mehr als ein Symbol, unsere Flagge steht auch für was. Sie steht für die zentralen Werte unseres Grundgesetzes, sie steht für die Einigung Europas in Frieden und Freiheit, und das wollen wir vermitteln. Völlig unstrittig ist, dass wir deutschlandweit Probleme an Schulen haben: mangelnde Schulsanierung, Überforderung der Lehrkräfte, Lehrermangel bin ich und auch bei der Grünen Jugend vollkommen klar, dass wir da was ändern müssen. Das hat aber aus meiner Sicht erst mal nichts damit zu tun, dass wir nicht auch über eine Dauerbeflaggung an Schulen diskutieren und die auch anbringen sollten. Es geht darum, diese Werte auch symbolisch zum Ausdruck zu bringen. Ich kann verstehen, dass die Grüne Jugend ein gewisses Problem mit unserer Deutschlandfahne hat – beispielsweise hatte die Grüne Jugend in Rheinland-Pfalz ja auch schon 2016 zur EM gefordert, keine Deutschlandflaggen mehr zu verwenden. Wir finden das ein vollkommen falsches Signal, wir wollen diese Flaggen auch nicht Rechtsradikalen wie der AfD überlassen, sondern wir wollen die in die Mitte unserer Gesellschaft, in die Mitte unserer Schulen rücken, dass Schüler einfach klar sehen, wenn sie hier eine deutsche Schule besuchen im Land Baden-Württemberg, in einem geeinten freiheitlichen Europa, dass diese Werte vermittelt werden und eben nicht die undemokratischen Werte von Links- und Rechtsextremisten.
Jahn: Herr Gedik, was spricht gegen eine Dauerbeflaggung mit diesem Hintergrund, den Herr Klant gerade geschildert hat?
Gedik: An sich spricht ja erst mal nichts gegen Flaggen allgemein. Wir finden auch die Europaflagge als Symbol der europäischen Einigung super, wir finden die LGBTIQ-Fahne super, wir finden die Fahne der UN, der Vereinten Nationen super als internationale Weltgemeinschaft, als Symbol. Es gibt aber auch gute Gründe, wenn man dann über Patriotismus diskutiert und staatliche Symbole, dass wir da einen anderen Umgang haben wie vielleicht viele andere europäische Länder. Das ist historisch begründet, und da gibt es auch gute Gründe dagegen. Ich glaube aber, dass wenn wir über gesellschaftlichen Zusammenhalt und auch über Werte sprechen, dass wir dann halt Projekte angehen müssen. Und ich glaube, die EU redet ja gerade nicht darüber, Investitionen in die Zukunft zu tätigen.
Jahn: Herr Gedik, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie nichts gegen die Europaflagge haben, möglicherweise auch nicht gegen die Flagge des jeweiligen Bundeslandes, sondern dass Sie etwas haben gegen die Deutschlandfahne?
Gedik: Wir haben nichts gegen die Deutschlandfahne. Uns geht es darum, die Frage, welche Politik wollen wir fahren, und wollen wir wie in Bayern eine Symbolpolitik machen, wo Kruzifixe überall Pflicht werden – das ist eine fehlgeleitete Symbolpolitik –, oder wollen wir etwas machen, was mit den Lebensrealitäten der Menschen zu tun hat. Und wenn wir uns junge Menschen angucken, dann brauchen die gutes Internet, eine gute Infrastruktur, damit die schnell von A nach B kommen. Dann interessiert es die Menschen nicht, welche Flagge vor einem Gebäude weht. Und so werden auch nicht Werte vermittelt. Das passiert über Menschen, und die brauchen wir. Und bevor wir da jetzt politisch solche Debatten führen, das halten wir für unnötig.
Klant: Da muss ich jetzt vielleicht mal direkt drauf antworten: Ich finde nicht, dass es unwichtig ist, welche Fahne da vor einem Schulgebäude hängt. Für uns ist die Fahne eben nicht einfach nur ein Stück Stoff, was da vor einer Schule aufgehängt wird. Anders als das Kruzifix, das eine vollkommen andere Diskussion ist, da es sich hier um ein religiöses Symbol handelt, was wir auch als Schüler-Union so nie gefordert haben, handelt es sich bei der Deutschlandflagge – wir feiern jetzt ja auch gerade 30 Jahre Mauerfall, nächstes Jahr 30 Jahre Deutsche Einheit – sehr wohl um etwas, was auch jungen Menschen nähergebracht werden sollte. Die deutsche Einheit, dass wir heute in einem friedlichen, freien, geeinten Land auch in diesem Wohlstand leben können, ich finde, dafür können wir dankbar sein und das können wir den Schülern vermitteln. Dass so was auch nicht selbstverständlich ist, dass wir selbstverständlich auch in den Schulen eine Auseinandersetzung mit unserer eigenen deutschen Geschichte, eine sehr kritische Auseinandersetzung brauchen, um auch zu vermitteln, wie wichtig und wie wertvoll diese Werte gerade in der heutigen Zeit sind und dass die auch unter Beschuss stehen, stimme ich absolut zu. Aber ich finde, dafür steht ja auch Schwarz-Rot-Gold, dafür steht die Flagge, unter der 1990 die Einheit in Deutschland vollbracht worden ist. Und ich finde, diesen Gedanken, den wir ja jetzt auch dieses Jahr und nächstes Jahr begehen, den sollte man doch auf jeden Fall auch mitnehmen, und den halte ich auch absolut für junge Menschen relevant.
Jahn: Jetzt gibt es in Deutschland natürlich auch Schülerinnen und Schüler, die nicht deutsch sind und insofern ist schon die Frage, muss eine deutsche Flagge vor einer Schule gehisst werden oder reicht es nicht aus, eine Europaflagge, denn die zeigt ja eigentlich symbolisch das, was uns alle verbindet, zumindest in Europa verbindet, mit den Sternen für die Nationen, alle gleich strahlend im Kreis miteinander verbunden, einander zugewandt. Das wäre doch eine Symbolik, die sich allen erschließt und die alle mitnimmt, alle Schüler.
Klant: "Alle Werte sind wichtig"
Klant: Wir setzen eben auf diesen Dreiklang, weil wir sagen, alle Ebenen, alle Werte sind wichtig. Die Landesflagge – Bildung ist Ländersache –, die Landesflagge als Symbol auch der Einheit Baden-Württembergs, die Deutschlandflagge, hab ich ja eben auch schon erläutert, für die Einheit Deutschlands. Es geht gar nicht darum zu spalten, es geht darum, die Werte zu vermitteln, und die vermittelt diese Flagge. Wir wollen auch nicht deutschen Schülern zeigen, ihr gehört zu Deutschland, ihr dürft eine deutsche Schule besuchen und hier in unserem freien und geeinten Land leben. Und natürlich die Europaflagge, die für uns die Zukunft Europas darstellt. Das heißt, geeintes Europa, das ist uns wichtig, das ist unsere Zukunft, darauf wollen wir auch hinarbeiten.
Jahn: Herr Gedik, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie als Hauptargument bislang gegen die Dauerbeflaggung der deutschen Schulen angebracht, dass es sich um Symbolpolitik handelt. Sie wollen, das wirklich gehandelt wird in der Bildungspolitik, mit Investitionen. Wenn das alles passieren würde, würden Sie sich dann weiterhin gegen eine Dauerbeflaggung mit der deutschen Flagge, mit der europäischen Flagge und der Flagge des jeweiligen Bundeslandes wehren wollen?
Gedik: Wenn man das Gedankenspiel macht – alle unsere Schulen sind super saniert, wir haben gute Schulsozialarbeit, wir haben gute Strukturen, wir haben ein durchlässiges Bildungssystem, also als Gedankenspiel –, dann würden wir uns auch als Grüne Jugend nicht dagegen sträuben und sagen, wir sind gegen eine europäische Flagge, dann darf das auch gerne kommen.
Klant: Dürfte ich dazu kurz eine Nachfrage stellen, einfach direkt darauf? Du hast jetzt davon gesprochen, Europaflagge, mich würde mal interessieren, kann sich eigentlich auch die Grüne Jugend mit unserer Deutschlandflagge, unserem zentralen Nationalsymbol identifizieren und sich dahinter versammeln, und wärt ihr dann auch dafür, in diesem Szenario, was du jetzt gerade so gemalt hast, auch diese Flagge an unseren Schulen aufzuhängen?
Gedik: Na ja, ich glaube halt, dass die Mehrheit der jungen Menschen, da spielt für die der Patriotismus nicht mehr so eine große Rolle, und auch gerade so das Denken in Nationalstaaten wird gerade in internationalen globalisierten Zeiten immer weniger. Und da ist auch ein weniger stärkerer Bezug zu diesem einem ihrem Land. Da geht es mehr darum, okay, wo kann ich mir eine Ausbildung holen, wo kann ich arbeiten und man reist viel rum. Wir glauben einfach, dass es viel wichtiger ist, statt jetzt Symbolpolitik zu führen und so eine Debatte darüber anzustoßen, über Identität und über Symbole, da lieber drüber zu diskutieren, was wirklich unsere Gesellschaft zusammenhält. Was können wir tun, damit der Rechtsruck nicht weiter voranschreitet, was können wir tun, damit alle Menschen der Gesellschaft mitgenommen und auch Teil der Gesellschaft sind. Und da ist Schul- und Bildungspolitik ein zentraler Baustein.
Jahn: Das heißt, wenn ich Sie zusammenfasse, Herr Gedik, Sie sind nicht gegen eine Dauerbeflaggung von Schulen, aber Sie sind dagegen, neben der Europaflagge auch die Deutschlandflagge zu hissen?
Gedik: Ich persönlich muss sagen, ich hab da jetzt nicht so einen emotionalen großen Bezug wie vielleicht zur Europaflagge …
Jahn: Aber es würde Sie nicht stören, wenn Schulen beflaggt sind mit der Deutschlandflagge?
Gedik: Ich glaube, wenn irgendwelche Institutionen, wenn alles mal ausgestattet ist und wir keine anderen Probleme haben, dann können wir darüber reden, aber momentan finde ich es einfach eine falsche Debatte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.