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Schülerprojekt gegen Mobbing
Coolrider in Bus und Bahn

Mit Zivilcourage gegen Mobbing: In zwei bayerischen Kommunen werden regelmäßig Siebtklässler geschult, in Schulbussen und öffentlichen Verkehrsmitteln Streit zu schlichten - ohne sich selbst dabei in Gefahr zu bringen. Die sogenannten Coolrider müssen mutig sein, aber auch teamfähig.

Von Susanne Lettenbauer | 25.02.2019
Ein Haltestellenschild für den Schulbus steht am 25.10.2013 in Dresden (Sachsen).
Coolrider sollen in Schulbussen gegen Übergriffe während der Fahrt vorgehen (picture-alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
"Hey, meine Mütze!"
"Fang!"
"Gib mir meine Mütze wieder!"
"Hast Du jetzt keine Mütze mehr?"
"Hey meine Mütze! Gib sie mir wieder."
Marie hat Jan die Mütze vom Kopf gerissen, schmeißt sie durch den Bus ihrer Freundin zu. Sie feixen vor Freude, die anderen Schüler schauen aus dem Busfenster, keiner unternimmt etwas. Außer zwei Siebtklässler, die einschreiten:
"Gib ihm die Mütze zurück!"
"Wir denken gar nicht dran!"
"Weil sie Euch nicht gehört! Ihr wisst schon, dass das auf Diebstahl beruht und auf Beleidigung."
Die zwei Coolrider in dem Bus in Augsburg versuchen zu schlichten. Gar nicht so einfach. Was tun, wenn Mitschüler einfach weiter mobben? Laut werden? Diskutieren oder gleich den Busfahrer alarmieren? Die dreizehnjährigen Schülerinnen Anna und Lena wollen Coolrider werden – dazu gehört Überwindung, merken sie:
"Ja, man fühlt sich schon bisschen komisch, weil man jetzt nicht genau weiß, was man jetzt machen muss. Wir haben ja dann auch gesagt, was sie zu tun hat, aber wenn sie es nicht macht, würde ich im Ernstfall dann wirklich zum Busfahrer gehen und das sagen, weil das geht ja so nicht."
Coorider-Training als freiwilliges Angebot
Auf dem Pausenhof des Rudolf-Diesel-Gymnasiums in Augsburg steht einmal pro Woche ein Bus der kommunalen Stadtwerke. Drinnen hat Andreas Adam, seit sechs Jahren Schulungsleiter der Augsburger Verkehrsbetriebe, einen Tatort aufgebaut. Er wird begleitet von Ruth Bürger, Ethiklehrerin der Mittelstufe am Diesel-Gymnasium und zum dritten Mal als Coolrider-Trainerin von Seiten der Schule dabei:
"Es gibt immer so eine Infoveranstaltung für alle siebten Klassen, so ungefähr 80 Schüler hören sich das an und die können dann selbst entscheiden, ob sie dann mitmachen oder nicht, und wir haben zwischen zwanzig und vierzig Rückmeldungen eigentlich nach dieser Infoveranstaltung. Es ist auch völlig freiwillig, niemand muss mitmachen, wenn er nicht will."
Schulungsleiter Andreas Adam fährt fast täglich zu verschiedenen Schulen im Augsburger Einzugsgebiet, lässt jeweils 20 ausgewählte Schüler der siebten Klassen in Täter- und Opferrollen schlüpfen und analysiert hinterher ihren Einsatz:
"Was mir gut gefallen hat: Ihr habt Euch die Situation erst mal angeschaut, habt analysiert, was passiert da. Und habt auch besprochen, wie geht Ihr da vor. Ihr seid ein Team, das ist ganz wichtig."
"Wir haben langsam angefangen mit ein, zwei Schulen im Jahr, mittlerweile sind wir bei acht bis neun Schulen im Jahr, bilden im Jahr zwischen 150 und 190 Schüler aus, die dieses Coolrider-Projekt durchlaufen und es läuft sehr gut."
Streit schlichten, ohne sich selbst zu gefährden
"Hinschauen statt Wegschauen" – das gilt nicht nur für Erwachsene, betont Adam. Vor mittlerweile 18 Jahren startete das bayerische Innenministerium die Coolrider-Ausbildung zuerst in Nürnberg, man erhoffte sich ein flächendeckendes Interesse aller bayerischen Städte. Doch von Nürnberg ließen sich bislang nur die Verkehrsbetriebe von Augsburg und Krumbach inspirieren, die Landeshauptstadt München macht zum Beispiel nicht mit.
"Den Schülern bringt es auf alle Fälle ein bisserl mehr Selbstbewusstsein, selbstsicheres Auftreten und den Umgang generell mit Situationen, die nicht in Ordnung sind, da eingreifen, da eingreifen, Streit schlichten, ohne sich in Gefahr zu bringen, das ist unsere oberste Regel, sich nicht selbst in Gefahr zu bringen."
Keine jugendlichen Hilfssheriffs
Marina und Luisa sind seit einem Jahr als Coolrider-Team in Augsburg unterwegs. Ehrenamtlich. Wirklich gefährliche Situationen haben sie noch nicht erlebt, es sei eher erstaunlich, was man bewirken könne mit Zivilcourage, meinen sie:
"Also bei uns war es so, wir sind mal zusammen in die Stadt gefahren und da war ein Junge, der wollte seinen Kaugummi an den Sitz kleben. Das haben wir gesehen und ihm ein Taschentuch gegeben und ihm gesagt, dass das so nicht geht und da war er ziemlich erschrocken, dass wir ihn darauf angesprochen haben."
Natürlich bilde man mit den Coolridern keine jugendlichen Hilfssheriffs aus, sie seien auch auf keinen Fall eine Art Teenie-Bürgerwacht, betont Schulungsleiter Andreas Adam. Es gäbe keine Einsatzpläne, keine speziellen Einsatzzeiten, alles basiert auf Freiwilligkeit. Sie bekommen am Ende der Ausbildung aber einen personalisierten Ausweis, mit dem sie sich bei Busfahrern oder der Polizei als richtige Coolrider ausweisen können.