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Schülerproteste in Frankreich

Nicolas Sarkozy ließ Anfang dieser Woche ein Reformgesetz für den Bildungssektor zurückziehen aus Angst vor Ausschreitungen, wie sie Griechenland gerade erst erlebt hat und wie sie in Frankreich noch sehr gut in Erinnerung sind. Doch die Reform ist nur aufgeschoben und bietet viel Angriffsfläche für Schülerorganisationen.

Von Burkhard Birke | 17.12.2008
    "Die Reform ist nur aufgeschoben. Das bringt gar nichts. Wir werden solange protestieren bis die Nicolas Sarkozy ließ Anfang dieser Woche ein Reformgesetz für den Bildungssektor zurückziehen aus Angst vor Ausschreitungen, wie sie Griechenland gerade erst erlebt hat und wie sie in Frankreich noch sehr gut in Erinnerung sind. Doch die Reform ist nur aufgeschoben und bietet viel Angriffsfläche für Schülerorganisationen.

    Pläne geändert werden.

    Das sind nur Sprüche. Die können immer wieder geändert werden!"

    Diese Schülerinnen hat Bildungsminister Darcos nicht überzeugt. Die Reform der Oberstufe mit neuer Fächerausrichtung, Umstieg von Tri- auf Semester, Änderungen beim Nachführ- und Behindertenunterricht soll erst 2010 greifen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, bekräftigte denn auch Premierminister Fillon

    "Das Gymnasium muss modernisiert, effizienter, die Zahl der Schulabbrecher reduziert werden, aber wir wollen das mit einem Maximum an Abstimmung erreichen."

    Darauf wollen die Schülerorganisationen nicht vertrauen. Die Ferien am nahen Horizont, setzen Maxime und seine Kollegen vom Präsidium der FIDL, der unabhängigen demokratischen Schülergewerkschaft, weiter auf Kundgebungen und Blockaden der Schulen.

    "Zurzeit laufen einige Initiativen, vor allem werden einige Gymnasien blockiert, damit wir gehört werden. Und wenn die Schule nach den Ferien wieder anfängt, wird die gesamte Pariser Region blockiert werden - so wie das zuletzt in der Provinz der Fall war."

    Gestern demonstrierten sie zu Tausenden am Place de la Bastille in Paris: Landauf, landab fanden Kundgebungen statt: Allein in Bordeaux demonstrierten fast 7000, überall wurden Schulen lahmgelegt. Für morgen sind weitere Großdemos angekündigt. Stein des Anstoßes, und da ziehen die Schüler mit den Lehrern an einem Strang, sind vor allem auch die Stellenkürzungen von 25 000 in den kommenden beiden Jahren, darunter 3000 Fachkräfte für lernbehinderte Kinder.

    "Der Protest radikalisiert sich immer mehr, " sorgt sich Francois Dubet, Soziologieprofessor an der Universität Bordeaux.

    "Gymnasien werden besetzt, man prügelt sich mit den Verantwortlichen der Schulen. Das geht über das Maß eines normalen Protestes gegen eine Reform hinaus. Niemand weiß, was passiert: Aber die Regierung ist unruhig, die Lehrerschaft sorgt sich, weil sie spüren, dass die Wut tief sitzt!"

    So tief, dass sie in eine Welle der Gewalt einmünden kann, so wie in Griechenland - wie es die Kassandras unter den Soziologen vorhersagen?
    Kommt es zu einer Protestwelle wie gegen den Ersteinstellungsvertrag CPE Anfang 2006 oder einem Aufflammen der Gewalt wie in der Banlieue im Herbst 2005? Ausschließen möchte das niemand.

    "Das griechische Syndrom bleibt eine Bedrohung, aber nichts deutet darauf hin, dass eine fatale Gewaltwelle losgetreten wird,"

    meint Express-Chefredakteur Barbier.

    Der Regierung schien jedenfalls das Risiko zu hoch: Mit der Verschiebung der Reform versucht sie die Situation zu entschärfen.

    Was Proteste angeht, da ist Präsident Sarkozy im Übrigen Experte. Hatte er doch damals Studentenführer Juillard nach dessen Aussage sogar in den Aktionen gegen den CPE bestärkt, damit er später von seinem Erzrivalen, dem damaligen Premier Villepin die Rücknahme dieser Auflockerung des Kündigungsschutzes für Jobanfänger fordern konnte.

    Genau das ist ein fundamentaler Unterschied: Damals waren die Proteste systematisch gesteuert. Heute sind sie spontan, was sie teilweise unkontrollierbar macht. Und auch wenn jeder weiß, dass spätestens in der Sylvesternacht in schlechter alter Sitte wieder hunderte Autos in der Banlieue in Brand gesteckt werden, so möchte niemand den Teufel, oder die Gewalt an die Wand malen:

    "In Frankreich gibt es momentan zwei Gruppen Jugendlicher, die regelmäßig auf die Strasse gehen: aber diese beiden Gruppen sprechen nicht miteinander. Da sind einerseits die Jugendlichen aus den Vororten, die Autos anstecken, aber keinerlei politische Anweisungen bekommen. Auf der anderen Seite steht die studentische Jugend, die ist eher weiß, gehört zur Mittelschicht, diese Jugend fühlt sich deklassiert. Sie spürt, dass sie fünf Jahre studiert, ohne Aussicht auf einen adäquaten Job."

    Meint Francois Bégaudeau, Lehrer, Schriftsteller und Autor des mit der Goldenen Palme ausgezeichnet Filmes Entre les Murs, Die Klasse, in dem gerade das schwierige Zusammenleben Jugendlicher verschiedenster Herkunft thematisiert wird. Für Bégaudeau ist das Ganze in erster Linie ein soziales Problem. Dessen Lösung, so Schülervertreter Maxime, obliegt der Regierung:

    "Wir tolerieren keine Gewalt wie in Griechenland zum Beispiel, aber wenn die Regierung so weiter macht, besteht ein Gewaltrisiko."