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Schünemann: Verantwortlichkeit liegt bei Mitgliedsstaaten

Die Zukunft ehemaliger Guantanamo-Häftlinge sollte nach Ansicht des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann nicht auf der Agenda der Europäischen Union stehen. Nach der angekündigten Auflösung des Lagers wäre es vor allem die Aufgabe der jeweiligen Herkunftsländer oder der USA, die Insassen aufzunehmen, sagte Schünemann. Der CDU-Politiker betonte, Europa brauche keine einheitliche Linie in dieser Frage.

Uwe Schünemann im Gespräch mit Sandra Schulz | 26.02.2009
    Sandra Schulz: Es ist ein Erfahrungsbericht. Wir können ihn nicht nachprüfen, aber wir können ihn mit anderen Berichten vergleichen, zum Beispiel mit dem des gerade freigelassenen Äthiopiers, der Anfang der Woche nach Großbritannien einreiste und ebenfalls den Vorwurf erhob, im Lager auf Guantanamo gefoltert worden zu sein. Von sexuellen Übergriffen, Schlafentzug und Schlägen berichtet Murat Kurnaz, der ebenfalls in Guantanamo interniert war, in seinem Buch "Fünf Jahre meines Lebens", Erlebnisse, die er – jedenfalls in seiner Familie – bis heute nicht aufarbeiten konnte, wie er im Deutschlandradio Kultur sagte.

    Murat Kurnaz: Meine Mutter, sie stellt mir keine Fragen über Guantanamo, daher möchte ich sie auch nicht zwingen, jetzt darüber zu erzählen. Ich bin mir sicher, es fällt ihr schwer, darüber nachzudenken oder sich vorstellen zu können, was ich alles durchmachen müsste und durchgemacht habe. Ich möchte sie nicht zwingen, halt was Schwieriges durchzumachen, indem ich ihr meine Geschichte erzähle. Sie kann mein Buch lesen oder nicht, das ist ihre eigene Entscheidung. Vielleicht ist es für sie besser, dass sie es nicht tut.

    Schulz: Murat Kurnaz, wie gesagt, seinen Bericht können wir nicht überprüfen, aber in der Debatte um Guantanamo ist er eine Facette in einer Debatte um ein Thema, das das transatlantische Verhältnis in der Regierungszeit George W. Bushs massiv getrübt hat. Und nun hat der neue US-Präsident Barack Obama angekündigt, das umstrittene Gefangenenlager binnen eines Jahres zu schließen, knapp 250 Menschen werden auf Kuba ja noch festgehalten. Aber mit Obamas Ankündigung ist neuer Streit in der Welt, nämlich der um das künftige Schicksal freigelassener Häftlinge. Soll – muss – Europa seine Pforten öffnen? Das ist Thema heute in Brüssel bei den Beratungen der EU-Innenminster, und darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen mit Uwe Schünemann, CDU, dem Innenminister Niedersachsens. Guten Morgen!

    Uwe Schünemann: Schönen guten Morgen!

    Schulz: Herr Schünemann, was bereitet Ihnen größere Sorge, der Gedanke, dass auf Guantanamo Menschen ohne fairen Prozess festgehalten werden seit Jahren, oder der Gedanke, einen von ihnen in Niedersachsen aufzunehmen?

    Schünemann: Sicherlich beides. Das ist überfällig gewesen, dass der amerikanische Präsident Guantanamo jetzt auflösen will, und diejenigen, die da gefangen genommen worden sind, jetzt einem rechtsstaatlichen Verfahren dann auch zu unterziehen. Aber das ist eine Angelegenheit der Amerikaner. Nur sie können dann feststellen, wie die Gefährdung tatsächlich ist und insofern ist es im Moment überhaupt keine Aufgabe der Europäischen Union, darüber zu diskutieren. Wenn es tatsächlich zu einem Begehren aus den USA kommt, dann müssen die Mitgliedsstaaten selber entscheiden, ob hier jemand übernommen werden kann oder nicht. Zurzeit ist das noch überhaupt kein Thema.

    Schulz: Und wie sollte die deutsche Entscheidung aussehen?

    Schünemann: Wir müssen sehen, dass von den etwa 245 Häftlingen nach Angaben des Pentagons etwa 60 nicht gefährdet sind beziehungsweise nicht gefährlich sind und insofern ist es erst einmal Aufgabe der Herkunftsstaaten, diese Häftlinge wieder aufzunehmen oder der Amerikaner, dann auch wirklich Asyl oder auch ein Aufenthaltsrecht zu gewähren. Und insofern sprechen wir wahrscheinlich über eine Größenordnung zwischen fünf und zehn, die vielleicht überhaupt auf die Europäische Union zukommt, und da müssen wir ganz klar Sicherheitsaspekte in den Vordergrund stellen. Und insofern wird der Bundesinnenminister, wenn ein Begehren kommt, dann genau prüfen müssen und auch die Unterlagen aus den USA bekommen, ob man hier jemanden aufnimmt oder nicht. Aber das sind extrem kleine Zahlen und wenn nur ein Einzelfall.

    Schulz: Aber Sie schließen das nicht grundsätzlich aus?

    Schünemann: Wenn es tatsächlich so ist, dass man ausschließen kann, dass hier eine Gefährdung vorgenommen, beziehungsweise von ausgeht, dann ist es so, dass man sich das anschauen muss. Dann muss man auch humanitäre Gründe sich anschauen. Aber das kann man erst beurteilen, wenn wirklich der Einzelfall dann da ist und dieses Begehren von den USA da ist. Heute eine …

    Schulz: Wie soll man das ausschließen, Herr Schünemann, in welchem Verfahren?

    Schünemann: Bitte?

    Schulz: Wie soll man das ausschließen, Herr Schünemann, in welchem Verfahren?

    Schünemann: Ja, wir müssen die Unterlagen dann aus den USA bekommen, warum der Häftling auf Guantanamo hier auch sichergestellt worden ist. Und dann müssen wir sehen, ob eine Gefährdung davon ausgeht. Wir müssen nur sehen, dass schon jetzt einige, die freigelassen worden sind, wo man gesagt hat, da ist wohl keine Gefährdung mehr, auch schon wieder in Haft genommen worden sind oder sogar auf Terrorvideos aufgetaucht sind. Deshalb ist da höchste Vorsicht auch angeraten.

    Schulz: Aber habe ich Sie richtig verstanden, dass Europa keine einheitliche Linie braucht?

    Schünemann: Dieses ist überhaupt nicht notwendig und die Verantwortlichkeit ist klar. Die liegt beim Mitgliedsstaat, insofern bei uns, beim Bundesinnenminister, in Abstimmung mit den Länderinnenministern, die dann denjenigen der kommen soll dann auch aufnehmen muss.

    Schulz: Aber wie soll das ohne einheitliche Abstimmung gehen? Portugal zum Beispiel hat schon zugesichert, Flüchtlinge aufzunehmen. Heißt das, dass der Schengen-Raum dann wieder eingeschränkt werden muss?

    Schünemann: Natürlich, wenn man in einem Mitgliedsstaat jemanden aufnimmt, dann ist in der Regel es so, dass sie sich da nach einiger Zeit auch frei bewegen können. Insofern müssen die Sicherheitsstandards sicherlich gleich sein und deshalb ist es richtig, darüber zu reden. Aber wir brauchen keine Koordinierung in dem Zusammenhang. Es geht vielleicht um fünf bis zehn, über die wir hier reden, und da müssen wir vor allen Dingen erst einmal eine Sicherheitsüberprüfung machen. Insofern diskutiert hier die Europäische Union über etwas, was überhaupt noch nicht auf der Tagesordnung ist und versucht jetzt schon wieder, große Gremien einzuschalten, die dann etwas dort beraten sollen. Das ist auf jeden Fall wieder Bürokratie, das macht überhaupt keinen Sinn. Verantwortlich ist nicht die Europäische Union, sondern ist das Mitgliedsstaat, das ist völlig eindeutig.

    Schulz: Aber die EU debattiert im Moment auch wieder über Einschränkungen der Reisefreiheit und der Schengen-Verabredungen. Ist das nicht ein Rückschritt?

    Schünemann: Sicherheit muss absolut vorgehen und insofern muss man sich anschauen, wie das Schengen-Abkommen sich bewährt hat. Und wenn wir da Hinweise haben, dass man auch Einschränkungen vornehmen muss, dann muss man zumindest darüber reden. Konkrete Beschlüsse stehen im Moment aber nicht aus.

    Schulz: Noch der Blick auf ein anderes Thema, das in Brüssel heute Thema ist. Die EU hat sich ja bereit erklärt, rund 10.000 irakische Flüchtlinge aufzunehmen, davon sollen 2500 nach Deutschland kommen. Wann wird das konkreter?

    Schünemann: Wir haben vom Bundesinnenminister gehört, dass wahrscheinlich Mitte März die ersten Flüchtlinge aus dem Irak beziehungsweise aus Syrien dann auch nach Niedersachsen kommen, denn im Grenzdurchgangslager Friedland wird die Erstaufnahme stattfinden. Wir sind in Niedersachsen darauf vorbereitet und insofern erwarten wir die ersten Flüchtlinge.

    Schulz: Und warum sind Ihre Sicherheitsbedenken da so ungleich geringer?

    Schünemann: Wir haben hier ein ganz intensives Verfahren, einmal durch die Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge, aber wir haben auch einen Sicherheitscheck, wo ich mich auch selber davon überzeugt habe, dass man hier alle Informationen bekommt. Und auch die Länder haben hier Mitspracherecht, so dass hier die Sicherheitsfragen auch erst mal an erster Stelle gestanden haben. Das war für mich Grundvoraussetzung, um überhaupt "ja" zu sagen zu der Aufnahme der Flüchtlinge aus dem Irak.

    Schulz: Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann, CDU, heute Morgen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Danke schön!