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Schulabbrecher
Um Kinder wieder in die Schule zu holen, müssen Erfolge her

Berlin ist Spitzenreiter bei der Zahl der Jugendlichen, die ohne Abschluss die Schule verlassen. Mehrere Schulen versuchen, dem entgegenzuwirken. Ein Schlüsselelement ist dabei ein Erfolgserlebnis - zum Beispiel im schuleigenen Garten.

Von Philip Banse | 23.02.2016
    Schüler lernen in einem Klassenzimmer an einer Hauptschule in Arnsberg (Sauerland).
    Schüler brauchen Erfolgserlebnisse. (dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte)
    "Hier in der Schülerfirma machen wir gerade Gartenarbeiten. Wir versuchen hier, die Wand frei zu legen. Und demnächst wird vielleicht ein Bagger kommen, um den Boden auszuheben."
    Zehntklässler Dewin Kohshnaw steht im Schulgarten, mit der Gartenarbeit versucht seine Schule, mehr Schüler zu einem Schulabschluss zu motivieren. Die Hedwig-Dohm-Schule liegt im Stadtteil Mitte [*] - von 100 Schülern verlassen hier im Schnitt 20 die Schule ohne Abschluss, Berliner Rekord. Fast kein Schüler spricht Deutsch als Muttersprache.
    "Da sind familiäre, soziale Probleme oder auch Bürgerkriegserfahrungen, die in den Familien noch vorhanden sind. Diese Dinge wirken an unserer Schule noch mit", sagt der Schulleiter Josef Widerski. Seine Schule verlassen 14 Prozent der Schüler ohne Abschluss. Vergleichsweise gut für Mitte, aber immer noch mehr als der Berliner Durchschnitt und nicht befriedigend.
    Lehrerausbildung wurde nicht angepasst
    Ein Grund sei, dass das die Hedwig-Dohm-Schule eine Integrierte Sekundarschule ohne Oberstufe sei, sagt Hans Merkens, Professor für Erziehungswissenschaft an der FU Berlin. Integrierte Sekundarschulen sind vor vier Jahren entstanden, zusammengelegt aus Haupt- und Realschule - allerdings ohne Inhalte, Strukturen und Lehrerausbildung anzupassen:
    "Das heißt, dass wir unter neuem Namen alte Probleme weiter transportieren."
    Hinzu komme, dass viele Ganztagsangebote nur freiwillig sind.
    "Das heißt, wir haben in Wirklichkeit zum großen Teil keinen Ganztagsbetrieb für die Schüler."
    Josef Widerski, der Leiter der Hedwig-Dohm-Schule, hat mehrere Ansätze, um mehr Kinder bis zum Abschluss zu bringen.
    "Und da habe ich als ganz großes Ziel, irgendwie wieder zu einer Regelmäßigkeit zu kommen."
    Denn Schüler, die keinen Abschluss machen, kommen oft lange gar nicht mehr zur Schule. Regelmäßigkeit heißt hier schon: eine Stunde Schule pro Tag.
    "Und wenn wir das erreichen, dass der dann wieder regelmäßig zur Schule kommt und regelmäßig Termine einhält. Dann haben manche dieser Schüler schon wieder ganz, ganz viel erreicht. Dann schafft der bei uns den Abschluss nicht mehr. Aber wenn er in dieser Zeit aus unserer Schule rausgeht, gibt es Möglichkeiten, wo er wieder ansetzen kann und dann auch noch zu einem Abschluss kommen kann."
    Erfolgserlebnisse sind wichtig
    Um Kinder wieder in die Schule zu holen, müssen sie Erfolgserlebnisse haben, sagt Schulleiter Widerski. Egal wie. Deswegen hat er pädagogische Kleingruppen gegründet: Drei bis vier Schüler machen etwas zusammen nach dem Unterricht. Stühle polstern, Schulklos mit Mosaiken schmücken oder den Schulgarten verschönern.
    Dewin Kohshnaw, der Zehntklässler, war schüchtern, sagt er, hatte kein Selbstbewusstsein. Dann kam er in die Gartengruppe.
    "Die Arbeit gibt mir Kraft, gibt mir Selbstbewusstsein, dass ich das schaffen kann. Das ist mir aufgefallen am ersten Tag, als ich hier gearbeitet habe. Das hat sich toll angefühlt, wirklich toll."
    "Das ist ein vernünftiger Weg."
    Sagt der Erziehungswissenschaftler Hans Merkens.
    "Wenn ich erst mal in der Negativspirale bin, dann werde ich nicht hoch motiviert am nächsten Tag wieder hingehen, um Erfolge zu haben. Und genau diese Negativspirale muss man durchbrechen, indem man den Kindern andere Angebote macht und ihnen in bestimmten Bereichen Erfolge ermöglicht."
    Regelmäßigkeit und Erfolgserlebnisse also. Und viel zuhören.
    "Ich glaube, bei uns passiert ganz viel über die Beziehungsebene."
    Sagt Antje Simmons, frisch eingestellte Lehrerin für Ethik und Englisch.
    "Der Fokus auf den Rahmenlehrplan ist wichtig, aber die Beziehungsarbeit steht im Vordergrund und darüber kann man viel machen."
    Erzieher, Schulsozialarbeiter und Lehrer sprechen viel mit Schülern, die Probleme haben. Manchmal ein, zwei Stunden. In ihrer Ausbildung habe diese Art der Arbeit jedoch keine Rolle gespielt.
    "Nein. Weil einfach einfach die ganzen Dinge, die über Schule hinausgehen, gar nicht thematisiert wurden. Wo bekommen Schüler Hilfe außerhalb der Schule? Wohin kann man sich als Lehrer wenden? Das kam viel zu kurz, weil das überhaupt nicht thematisiert wurde. Das lerne ich hier."

    [*] Anm. d. Red.: In der Sendefassung des Beitrags war die Hedwig-Dohm-Schule irrtümlich in Wedding angesiedelt, sie liegt tatsächlich aber in Berlin-Mitte.