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Schulbuchforscher: Israelbild in deutschen Lehrbüchern oft verzerrt und verkürzt

Welches Bild vermitteln deutsche Schulbücher von Israel und dem Nahostkonflikt? Wie wird umgekehrt Deutschland in israelischen Büchern dargestellt? Das wollte eine bilaterale Kommission in einer groß angelegten Studie herausfinden. Das Ergebnis: Manchmal tun sich auch Schulbücher schwer mit der Objektivität.

Dirk Sadowski im Gespräch mit Jörg Biesler | 06.12.2012
    Jörg Biesler: Heute treffen sich in Berlin Angela Merkel und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit ihren Ministern übrigens, und vielleicht wird ja auch Thema sein, was gegenseitig für ein Bild vom jeweils anderen Land herrscht. Das ist ja im deutsch-israelischen Verhältnis nicht immer ganz einfach. Die deutsch-israelische Schulbuchkommission hat gerade untersucht und festgestellt, dass auch Schulbücher nicht immer objektive Darstellungen liefern. Dirk Sadowski vom Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung koordiniert die Kommission. Guten Tag, Herr Sadowski!

    Dirk Sadowski: Hallo!

    Biesler:Fangen wir mal mit den deutschen Schulbüchern an: Sie haben Bücher aus dem Fachbereichen Geschichte, Sozialkunde und Geografie untersucht. Welche denn?

    Sadowski: Wir haben uns eine ganze Menge Schulbücher angeschaut, ob Israel in ihnen überhaupt vorkommt. Also die Schulbuchkommission, die deutsch-israelische Schulbuchkommission untersucht nicht nur das Israelbild und nicht nur das Deutschlandbild in den Schulbüchern des jeweils anderen Landes, sondern wir beschäftigen uns auch mit der Darstellung jüdischer Geschichte zum Beispiel oder mit der Darstellung des Holocaust. Aber wir haben mit dem Israelbild angefangen, und wir haben uns 415 Schulbücher dieser drei Fächer, die Sie genannt haben, angeschaut. Es gibt ja in Deutschland für Geschichte, Geografie und Sozialkunde aufgrund des föderalen Systems und der Kultushoheit der Länder und der unterschiedlichen Lehrpläne eine Riesenmenge an Schulbüchern, also wir haben 1150 Schulbücher zugelassen gehabt in diesem Jahr. Und von diesen 415 Schulbüchern aus fünf Bundesländern – wir mussten ja eine Auswahl treffen, also wir haben die fünf Bundesländer Bayern, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen gewählt –, da haben wir uns die Schulbücher angeschaut, und wir haben in 83 Schulbüchern Stellen gefunden, in denen Israel beziehungsweise der Nahostkonflikt etwas ausgiebiger behandelt werden. Also es kann ein kurzer Absatz sein, es gibt aber auch sehr große Kapitel, in der Oberstufe zum Beispiel in Bayern, da geht es bis zu 72 Seiten.

    Biesler: Sie erwähnen jetzt Bayern mit einer verhältnismäßig hohen Seitenzahl, vermute ich, warum gibt es da überhaupt so Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern?

    Sadowski: Bayern ist in Geschichte zum Beispiel das einzige Bundesland, von den fünf untersuchten zumindest, das Israel oder den Nahostkonflikt in diesem Fall als Thema im Lehrplan hat. Das heißt, und wenn ein Thema lehrplanverankert ist, dann müssen sich die Schulbücher natürlich daran richten. In den anderen Bundesländern ist es so, da haben Sie ein allgemeiner gefasstes Thema in Lehrplan, zum Beispiel Weltkonflikte und Friedensregelungen, und dann kann der Nahostkonflikt behandelt werden.

    Biesler: Na, jetzt haben Sie ja aufs Israelbild geschaut. Was für ein Bild lässt sich da gewinnen, wenn man es aus den Schulbüchern generiert?

    Sadowski: Das ist ein bisschen unterschiedlich zwischen den Fächern. Wir haben in Geografiebüchern auch länderkundliche Darstellungen, ja, oder …

    Biesler: Wo Fakten geliefert werden, hauptsächlich.

    Sadowski: Wo Fakten geliefert werden, also wo es um agrargeografische Aspekte geht, zum Beispiel Bewässerungsmethoden in der Wüste, ja? Aber im Großen und Ganzen muss man sagen, dass Israel fast ausschließlich im Rahmen des Nahostkonflikts dargestellt wird. Nun ist der Konflikt natürlich ein besonders virulenter und auch in den Medien sehr präsent, es ist also wahrscheinlich nicht verkehrt, dass sich die Schüler auch mit seinen historischen Wurzeln auseinandersetzen. Aber wir haben oft auch sehr kurze Schulbuchkapitel, und diese Knappheit des Raumes in den Schulbüchern führt dann auch dazu, dass vieles verkürzt dargestellt wird, und das hat Auswirkungen auf die Darstellung Israels. Also Israel als Rechtsstaat, als Demokratie nach westlichem Muster, also auch als Demokratie, die sich tagtäglich mit der Realität des Konflikts auseinandersetzen und dann auch bewähren muss, das wird dann weitgehend ausgeblendet, und es fehlen auch zivilgesellschaftliche Aspekte zum Beispiel.

    Biesler: Und stattdessen finden wir eine Schilderung der Konflikte, die wie aussieht?

    Sadowski: Bei der Konfliktschilderung spielen didaktische Prinzipien eine sehr große Rolle, also Kontroversität und Multiperspektivität, das heißt, die Schüler sollen sich anhand der unterschiedlichen Perspektiven auf den Konflikt ein eigenes Urteil bilden. Das heißt, sie haben dann Textquellen aus israelischer Perspektive und aus arabischer oder eher noch aus palästinensischer Perspektive nebeneinanderstehen, und das kann vernünftig sein und das kann gut ausgehen, kann aber auch ins Auge gehen, wenn man für die israelische Seite dann zum Beispiel einen Siedlerführer sprechen lässt und für die palästinensische dann einen Jugendlichen, der Diskriminierungserfahrungen gemacht hat. Dann wird sich natürlich das Schülerurteil sehr wahrscheinlich dem Jugendlichen zuwenden.

    Biesler: Wie sieht es denn andersrum aus, also was für ein Deutschlandbild wird in israelischen Schulbüchern vermittelt.

    Sadowski: Ja, es gibt natürlich immer noch – und das kann ja gar nicht anders ein – einen ganz starken Fokus auf Nationalsozialismus und den Holocaust, wenn deutsche Geschichte ins Bild kommt. Das moderne Deutschland, also die Bundesrepublik oder auch Deutschland nach der Wiedervereinigung ist vor allen Dingen in den Geografieschulbüchern in Israel präsent, durchaus auch in den europäischen Zügen. In den Geschichtsschulbüchern taucht allerdings Deutschland nach 1945 nur noch am Rande auf.

    Biesler: Das klingt, als sei das Tatsache, was man erwarten würde vielleicht, dass nämlich Israel in deutschen Geschichtsbüchern, in deutschen Unterrichtsbüchern insgesamt auch wichtiger ist als Deutschland in israelischen.

    Sadowski: Ja, das könnte man so formulieren. Man muss aber auch dazu sagen, es ist bis vor Kurzem in der Oberstufe in den israelischen Schulen – in den Oberstufenbüchern gab es durchaus noch eine breitere Darstellung Deutschlands. Bis vor Kurzem, da hat es eine Wende in den Lehrplänen und damit auch in den Lehrinhalten und auch in den Schulbüchern gegeben, die eigentlich zum Guten ausschlägt, denn neben starken Aspekten jüdischer Geschichte kommen nun auch Aspekte allgemeiner Geschichte mit hinein, aber diese Komplexität, diese Erhöhung an Komplexität führt dazu, dass dort auch Geschichte, Weltgeschichte um 1948 endet und danach nur noch auf die nationale Geschichte fokussiert wird. Und dadurch ist Deutschland da auch wie andere Länder auch etwas herausgefallen.

    Biesler: Wann werden Sie mit Ihren Empfehlungen soweit sein, wann werden die womöglich wirksam werden?

    Sadowski: Wir werden sehr wahrscheinlich 2014, 2015 soweit sein, dass wir hier die kompletten Befunde und dann auch die Empfehlungen veröffentlichen können.

    Biesler: Dirk Sadowski vom Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung, der der Koordinator ist der deutsch-israelischen Schulbuchkommission, über deren Arbeit. Danke schön!

    Sadowski: Bitte schön!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


    Mehr zum Thema:

    "Deutsche Schulbücher erklären Israelis zu Tätern" (Beitrag in "Die Welt")