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Schuld und Sühne

Das Verhältnis von Deutschland und Israel ist seit Beginn von der Schuld geprägt - und von dem Versuch, diese Schuld wiedergutzumachen, analysiert Moshe Zuckermann in seinem neuen Buch.

Von Helge Buttkereit | 15.11.2010
    Er stellt fest: Das ist nicht möglich, denn

    das jüdische Volk hat sich von dieser Katastrophe nie mehr erholt – fraglich ob es jemals dazu fähig sein wird.

    Außerdem könne die Schuld nicht dem Staat Israel gegenüber abgetragen werden, denn

    die Judenheit, die durch das Menschheitsverbrechen unterging, ist ein für allemal verloren – sie ist nirgends wieder "auferstanden" bzw. "neugeboren", am wenigsten in Israel.

    Davon ausgehend folgert Zuckermann, dass das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel kaum etwas mit dem realen historischen Ereignis zu tun hat. Vielmehr werde die Shoah instrumentalisiert. Die Israelis nutzen sie nach seiner Auffassung als Druckmittel gegen die Deutschen, damit diese die Politik Israels nicht kritisieren, sondern sich bedingungslos hinter die jeweilige Regierung in Jerusalem stellen. Die Deutschen wiederum wollen mit Verweis auf ihr besonderes Verhältnis verdeutlichen, dass sie sich ihrer Schuld bewusst sind. Zuckermann kritisiert diese beiden Formen eines instrumentellen Verhältnisses zur Geschichte, das auch Grundlage für viele Antisemitismus-Vorwürfe sei. Um sie geht es in seinem Buch. Auch er, der Jude, Israeli und linke Gegner seiner Regierung, bekommt sie immer wieder zu hören. Als Grund hierfür macht Zuckermann die Gleichsetzung von Antizionismus und Israelkritik mit Antisemitismus aus.

    "Was passiert ist, ist, dass man Judentum, Israel und Zionismus gleichgesetzt hat, ohne dabei in Kauf zu nehmen, dass nicht alle Juden Zionisten, nicht alle Zionisten Israelis sind und nicht alle Israelis Juden sind. Das sind drei paar Schuhe und wenn man das nicht begreift, dann gerät alles wahllos durcheinander."

    Mit diesem Problem beschäftigt sich Zuckermann seit Jahren, hier in einer Diskussion des Deutschlandfunks aus dem Jahr 2008. Auch in den vergangenen beiden Jahren gab es genügend Anlässe, diese Problematik aufzugreifen, was der Autor im Buch anhand zahlreicher Beispiele verdeutlicht. So habe beispielsweise Benjamin Netanjahu im vergangenen Jahr in seiner Rede vor der UN-Hauptversammlung die Geschichte des Holocausts instrumentalisiert – indem er diese mit der aktuellen Gefährdung Israels und dem Vorwurf des Antisemitismus gegen feindliche Staaten wie den Iran vermengt habe. Damit lenkt er laut Zuckermann davon ab, dass es in Wirklichkeit vor allem seine zionistische Politik ist, die Israel gefährdet. Die Antisemitismus-Keule, die Israels Regierung immer wieder hervorholt, richtet sich in Wahrheit nicht gegen einen Antisemitismus, sondern gegen die Kritik am Besatzungsregime. Dass diese in Israel keine politische Basis hat, gehört für Zuckermann zur Tragik der derzeitigen Situation.

    Denn der Mangel einer wahrhaftigen und wahrhaft wirkungsmächtigen Linken ist nicht nur eine Frage subjektiver Gesinnungspräferenz, sondern indiziert nicht weniger als das Fehlen der notwendigen Alternative zu einer gesellschaftlichen innen- wie außenpolitischen Realität, welche sich zunehmend als katastrophisch erweist.

    Was seiner Meinung nach Israel aus dieser Sackgasse führen könnte, dazu verliert Zuckermann allerdings nur wenige Worte. Es ist ein Mangel des Buches, dass er seine Überlegungen zu einer Politik von wirklicher Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und kulturellem Pluralismus nicht weiter ausführt. Das fehlende Ziel lässt seine Kritik in polemische Einzelstudien zerfallen, insgesamt mangelt es dem Buch an Systematik. Zudem sind für den ersten Teil, der sich mit der israelischen Seite befasst, einige Vorkenntnisse der israelischen Geschichte und Gegenwart zum Verständnis nötig, wodurch sich das Buch eher für Experten als für Neueinsteiger in die Problematik eignet.

    Das macht sich aus deutscher Sicht im zweiten Teil weniger bemerkbar. Hierin analysiert Zuckermann die verschiedenen Probleme des deutschen Verhältnisses zu Israel. Zum einen geht es um die regierungsoffizielle deutsche Israel-Politik, die nach Auffassung des Autors einen Teil der Realität einfach ausblendet. Denn wenn Kanzlerin Angela Merkel bedingungslos an der Seite der israelischen Regierung stehe, übersehe sie deren Verantwortung für die Unterdrückung der Palästinenser. Zwei weitere Fallstudien handeln von den "Antideutschen", einer aus der radikalen Linken hervorgegangenen Strömung, die sich mittlerweile bedingungslos für Israel einsetzt und überall Antisemitismus wittert.

    Was dabei besonders ins Auge fällt ist, wie sehr der Antisemitismus-Vorwurf und die an ihn gekoppelte "Israelsolidarität" sich von Juden und Israel losgelöst, mithin zu freischwebenden Selbstläufern gewandelt haben, allzeit abrufbar für jede sich bietende Gelegenheit narzisstisch-politischer Selbstsetzung.

    Dies gilt nicht nur für antideutsche Linke, sondern auch für deutsche Juden wie Charlotte Knobloch oder Henryk M. Broder.

    Diesen diasporischen Juden will es offenbar gar nicht in den Sinn kommen, dass sich israelische Bürger um ihr Land sorgen könnten; dass sie den von ihm beschrittenen historischen Weg fürchten, weil sie den Abgrund absehen, in den dieser Weg historisch führen muss; dass sie von den sich verfestigten Strukturen angewidert sind, die die Zivilgesellschaft dieses Landes zerstören, seine ökonomischen, ethnischen und kulturellen Klüfte fortwährend erweitern und dabei Fremdenfeindschaft, Alltagsrassismus, Chauvinismus und Militarismus speisen und fördern.

    Es ist das Verdienst dieses Buches, auf diese Problematik hinzuweisen. Dass Zuckermann dabei wie seine Gegner scharfe polemische Worte wählt, mag man bedauern, vermutlich aber würde ohne sie kaum jemand seine Kritik wahrnehmen. Wer sich davon und von der stark an der kritischen Theorie Adornos und Horkheimers angelehnten komplexen Sprache Zuckermanns nicht abschrecken lässt, dem bietet dieses Buch dennoch bedenkenswerte Positionen zu wichtigen Problemen der Gegenwart sowohl Deutschlands als auch Israels.

    Moshe Zuckermann: "Antisemit!" Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument.
    Promedia Verlag, 208 Seiten, Euro 15,90
    ISBN 978-3-853-71318-1