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Schuld, Verantwortung, Aufklärung

21 Tote, Hunderte Verletzte, von denen 25 noch immer im Krankenhaus liegen - dies die traurige Bilanz knapp eine Woche nach den Ereignissen bei der Love-Parade in Duisburg.

Von Jürgen Zurheide, Michael Kuhlmann, Ernst Weber & Peter Kapern | 30.07.2010
    Morgen wird sich die Stadt in ihrer Trauer versammeln. Zu einem ökumenischen Gottesdienst, zu dem die Spitzen von Staat und Land in der Duisburger Salvatorkirche erwartet werden. Bundespräsident Wulff, Bundestagspräsident Lammert, Bundeskanzlerin Merkel, Ministerpräsidentin Kraft, dazu zehntausende Bürger.

    Unterdessen ermittelt die Staatsanwaltschaft weiter. Ergebnisse hat sie noch nicht vorgelegt, und so dauert das Spiel mit den gegenseitigen Schuldzuweisungen an. Der Innenminister des Landes NRW, Ralf Jäger, Dienstherr der Polizei, hat im Verlauf der Woche die Verantwortung überwiegend beim Veranstalter und - peripher - bei der Stadt Duisburg verortet. Seiner Polizei hat er einen Persilschein ausgestellt. Der erhält möglicherweise jetzt aber Flecken, wie heute einige Zeitungen berichten: Die Polizei hat danach angeblich gegen das Votum der Feuerwehr Absperrketten aufgebaut und damit den Staudruck vor der zu trauriger Berühmtheit gelangten Rampe noch verstärkt.

    Adolf Sauerland, der Oberbürgermeister von Duisburg, verschanzt sich unterdessen in seinem Rathaus. Gestern hatten sich vor dessen Türen einige Hundert Demonstranten versammelten. Sie hatten Witterung aufgenommen, ein Schuldiger muss jetzt her:

    "Sauerland raus, Sauerland raus ..."

    " Ich bin heute hier, weil ich's nicht in Ordnung finde, wie es auf der Loveparade abgelaufen ist, und ich finde, dass die Verantwortlichen rausgefunden werden müssen und zur Rechnung gezogen werden müssen."

    Ich war auch auf der Loveparade, die Sicherheit war nicht vernünftig gegeben, sonst hätten die Leute auch nicht die Zäune oder sonst was einlaufen können. Also ich denke, die Sicherheit hat da eine große Schuld dabei.

    Ich finde so was eine Unverschämtheit, ehrlich, was hier passiert ist, ist nicht normal. Wie kann man die Leute da so durchjagen. Ich kann das nicht begreifen."

    Oberbürgermeister Adolf Sauerland wird zum Rücktritt gedrängt. Auch von Parteifreunden. Im Stadtrat muss er sich wohl einem Abwahlverfahren stellen. Sauerland will bleiben, weil er sonst mittellos dasteht, das will der Steuerzahlerbund wissen. Und rund ums Rathaus wird über den Begriff der politischen Verantwortung debattiert.

    Adolf Sauerland versteht bis heute die ganze Aufregung nicht. Der Duisburger Oberbürgermeister hadert mit den Journalisten, mit dem politischen Gegner und inzwischen auch mit dem einen oder anderen Parteifreund. In der Öffentlichkeit wird er zum Sündenbock gestempelt, während er, so berichten es ihm nahestehende Personen, bis jetzt immer wieder beteuert, mit der Planung nichts zu tun oder gar persönliche Fehler gemacht zu haben. Den Begriff der allgemeinen politischen Verantwortung, die nicht mit Schuld zu verwechseln ist, mag er für sich in diesem Fall nicht gelten lassen.

    In der Duisburger Stadtverwaltung trifft man in diesen Tagen allerdings nicht wenige, die einem bei diesem Thema andere Einschätzungen liefern, aber immer darauf bestehen, dass man ihren Namen nicht nennt. Sie verweisen auf zwei Umstände: Erstens hat der Oberbürgermeister die Loveparade auch als Person unbedingt gewollt, und zweitens hat er viele, die kritische Anmerkungen gemacht haben, ins Leere laufen lassen und dann immer wieder gesagt, er wolle nicht von Problemen hören, es seien Lösungen gefragt.

    Diese Hinweise finden sich in zahlreichen Akten und Vermerken, zum Beispiel über jenes Gespräch, das am 18. Juni stattgefunden hat. Damals wurde über die Fluchtwege und den Brandschutz gesprochen. Der zuständige Dezernent hielt die vorliegenden Konzepte – so wörtlich – für nicht genehmigungsfähig. In dem Vermerk findet sich allerdings der Hinweis, die Beamten sollten kooperativ sein und – ebenfalls wörtlich – schließlich wolle der OB die Veranstaltung.

    In diesem Klima von Wunsch und Wirklichkeit wurde die Veranstaltung schlussendlich am 21. Juni, also drei Tage vor dem Event, genehmigt. Unterzeichnet wurde sie von einem einfachen Mitarbeiter. Insider berichten uns davon, dass das Papier wie eine heiße Kartoffel durch die Amtsstuben ging, weil niemand seinen Namen daruntersetzen wollte. Die Genehmigung wurde dann auch nicht, wie es üblich gewesen wäre, an die anderen Behörden weitergereicht. Die Polizei bekam das dürftige, nur zweiseitige Papier erst am Morgen der Veranstaltung und hatte keine Chance mehr nachzufragen.

    Verwaltungstechnisch ist das korrekt gelaufen. Die Stadt hat die alleinige Entscheidungskompetenz, die Polizei wird bei solchen Ereignissen nur beratend hinzugezogen und hat kein Vetorecht. Der Polizei ist dann im Übrigen zu verdanken, dass die Veranstaltung überhaupt beginnen konnte. Obwohl in den Genehmigungsunterlagen die Rede davon ist, dass die anreisenden Raver schon ab zehn Uhr auf das Gelände gelassen werden sollten, um einen Stau bei der Eingangskontrolle an den beiden Schleusen zu verhindern, wurden die Tore am Ende erst gegen zwölf geöffnet. Ab den Schleusen war ausschließlich der Veranstalter zuständig, die Polizei hatte auf dem Gelände, zu dem auch der Tunnel gehörte, keinerlei Ordneraufgaben.

    Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland
    Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland bei der ersten Pressekonferenz nach dem Unglück am Sonntag (AP)
    Wie es zur Katastrophe kam
    Da die Kapazität der beiden Schleusen für den Ansturm mit einer maximalen Kapazität von 60.000 Personen pro Stunde kaum ausreichte, herrschten von Anbeginn an beengte Verhältnisse. Die Lage spitzte sich vor allem auf der Rampe unmittelbar vor dem Festgelände zu, hier trafen die frisch ankommenden Musikfreunde auf die Wagen, die sogenannten Floats, und es passierte, was die Fachleute vorausgesagt hatten: Die jungen Menschen blieben stehen und hörten der Musik zu. Damit verteilten sie sich nicht so auf dem Gelände, es kam zum Rückstau.

    Als die Polizei das bei den Vorbesprechungen exakt vorhergesagt hatte, wies der Veranstalter das zurück und versprach hier sogenannte "Pusher" einzusetzen, also Ordner, die dafür sorgen sollten, dass der Eingang eben nicht versperrt wird. Genau das geschah nach bisherigen Erkenntnissen der Polizei überhaupt nicht, wie der Inspekteur der nordrhein-westfälischen Polizei, Dieter Wehe, jetzt erklärte:

    "Der Veranstalter hat die Ordner um 15.46 Uhr angewiesen, das Konzept umzusetzen, insbesondere die Schleusungsstellen zu sperren, damit ein Zugang auf die Tunnel nicht mehr möglich war. Wie wir heute wissen, wurde dieser Auftrag vom Veranstalter nicht umgesetzt oder von Kräften des Veranstalters nicht umgesetzt. Warum trotz verbindlicher Absprachen diese Anweisungen durch die Ordner nicht umgesetzt wurden, ist nicht bekannt. Jedenfalls strömten Besucher weiterhin in Richtung Tunnel und Rampe."

    Weil es den eigenen Ordnungskräften nicht gelang, diesen Stau aufzulösen, rief man die Polizei zu Hilfe, die sich plötzlich damit konfrontiert sah, Ordnerdienste leisten zu müssen, weil der Veranstalter überfordert war. Die Polizei gab die Order, die vor den Zugangstunneln liegenden Schleusen zu schließen. Weil das aus bisher nicht geklärten Gründen nicht geschah, nahm das Unheil seinen Lauf.

    Der Druck in den Tunneln und auf der Rampe zum Gelände wurde immer größer, der Eingang blieb blockiert. Plötzlich rissen Raver das Absperrgitter zu einer kleinen Treppe ein, die sie zur Flucht aus der Enge auf das Grundstück nutzen wollten. Dabei kam es dann zu dem Unglück. Menschen verhakten sich in den am Boden liegenden Gittern, wurden von hinten niedergedrückt und -getrampelt. Am Ende waren hier in einem Umfeld von wenig mehr als 15 Metern Fläche 15 Tote zu belegen. Erdrückt und erstickt, wie die Obduktionsberichte inzwischen bestätigen.

    Offenbar knickten Besucher anfangs Zäune ein, um schneller auf das Festivalgelände zu gelangen.
    Offenbar knickten Besucher anfangs Zäune ein. (AP)
    Die Rolle von Panikforschern bei Eventgenehmigungen
    Immer wieder wird von der Wissenschaft verlangt, dass sie aus ihrem Elfenbeinturm herauskommt. Sie soll ihr Wissen nutzbar machen, indem sie es dem Rest der Welt zugänglich macht. Der Wirtschaft etwa, der Politik oder der Verwaltung. Kaum noch ein Bereich, in dem heute nicht Wissenschaftler mit ihrer Expertise tätig sind. Nach der Katastrophe von Duisburg stand eine ganz spezielle Art von wissenschaftlichen Beratern im Fokus: die der Panikforscher – mit diesem flotten Label wurden sie für ihre komplexen Kenntnisse belegt. Panikforscher studieren, wie sich Kügelchen verhalten, die durch einen Trichter strömen, oder wie sich Fußgänger verhalten, die geballt auf eine Rolltreppe zusteuern. Auch der Veranstalter der Loveparade griff auf das Fachwissen eines Panikforschers zurück. Aber war sein Wissen mehr als ein Feigenblatt für ein miserables Sicherheitskonzept?

    Unmittelbar nach dem Unglück suchte auch der Fachmann nach Worten. Professor Michael Schreckenberg stand am Samstagabend vor dem Mikrofon eines Fernsehreporters (WDR):

    "Der Tunnel ist groß genug ausgelegt für die Menschen, die da durch sollten – er wurde ja dichtgemacht, wenn es ... "
    "Ja, aber Sie wissen doch, dass, wenn viele Menschen zusammenkommen, dass es immer Menschen gibt, die sich nicht an die Spielregeln halten! Das haben Sie doch sicherlich hoffentlich einkalkuliert!"
    "Es gibt immer Menschen, die sich nicht an die Spielregeln halten, klar! Also, man kann nie alles ausschließen, dass jetzt Menschen von oben herunterfallen auf die restliche Menge, das ist nun ein Fall, der überhaupt nicht in dem Plan vorgesehen war."

    Denn dieser Plan war ein reiner Evakuierungsplan. Solch ein Plan fragt: Wie bringt man viele Menschen auf einmal in Sicherheit, die alle wie ein Mann vom Loveparade-Gelände herunter wollen? Am Samstag in Duisburg gab es allerdings keine Massenevakuierung, sondern ein Hin und Her im größten Maßstab: Zehntausende wollten auf das Gelände, Zehntausende wollten herunter, und auf der Rampe begegneten sich die beiden Gruppen. Diese Situation gehörte nicht zum Modell. Schreckenberg einen Tag später im WDR-Fernsehen:

    "Ich habe immer davor gewarnt, dass der Tunnel ein Problem darstellen könnte – ich hatte dann auch gesagt, dass man das sehr genau planen müsse, man muss genau gucken, wie viele Personen hindurchpassen, vor allem aber im Evakuierungskonzept, dass man ihn leeren kann, ganz schnell – was schwierig ist, wenn Massen draußen vorstehen und auch wenn der Zugang zum Gelände versperrt ist, so wie es dann auch eingetroffen ist."

    Denn im Grunde kann die Wissenschaft das Verhalten von Menschenmassen nur in Grenzen vorhersagen. Der langjährige Kölner Polizeidirektor Winrich Granitzka hat die Tipps von Experten deshalb stets mit Vorsicht behandelt:

    "Ich habe in der Praxis festgestellt, dass ihnen manchmal der Hintergrund der praktischen Arbeit in solchen Veranstaltungen fehlt – ich weiß auch nicht, was Herr Schreckenberg wirklich beraten hat – erst hatte man den Eindruck, das war so 'ne Art Beratungs-Guru – und später hab ich ihn im Fernsehen erlebt, wie er sagte: Nein, nein, ich hab eigentlich nur den Rückmarsch da begutachtet. Ich kann das nicht klären, das wird aber geklärt werden, da bin ich sicher."

    Wenn überhaupt ein Wissenschaftler die Lage in Duisburg einschätzen konnte, dann wohl Michael Schreckenberg. Er untersucht seit 15 Jahren, wie sich große Menschenmassen bewegen, gleich, ob sie in ihren Autos sitzen oder ob sie zu Fuß unterwegs sind. Seit 1997 hat er in Duisburg die erste deutsche Professur für die Physik von Transport und Verkehr inne. Auch Evakuierungskonzepte sind sein Metier. Fachleute wie Schreckenberg kommen immer dann ins Spiel, wenn die gesetzlichen Vorgaben die Dimensionen einer Veranstaltung nicht mehr erfassen können. Das weiß ein Schüler Schreckenbergs, der Wissenschaftler Tim Meyer-König von der Gutachterfirma TraffGo:

    "Wenn ein Spezialfall vorliegt, also, das Event ist extrem groß, wie im Fall der Loveparade – dann greifen diese ganz einfachen Sicherheitsrichtlinien häufig nicht mehr, und dann geht man eben hin und sagt: Wenn ich nachweise, dass die Leute immer noch sicher evakuierbar sind, dann wird das akzeptiert von den Behörden; und dazu dienen dann häufig solche Evakuierungssimulationen, wie wir sie machen."

    Aber auch die ausgefeilteste Simulation kann einen Punkt nicht einkalkulieren: Was passiert, wenn auch nur wenige Personen plötzlich in Panik geraten – also anders reagieren als in der Modellrechnung? Stefan Holl, Physiker im Forschungszentrum Jülich:

    "Das irrationale Handeln ist für uns als Wissenschaftler im Grunde nicht abbildbar. Man darf sich da nicht zu große Versprechungen machen – die Bilder sind zwar oft sehr schön, aber tatsächlich, wenn man dahinterschaut, muss man doch akzeptieren, dass die Psyche des Menschen für ein Simulationsmodell von Menschenmengen im Grunde im Moment – und wahrscheinlich auch noch für viele Jahre – nicht simulierbar ist."

    Insofern ist der Ausdruck "Panikforscher" also von vornherein schief. Die Wissenschaft kann nur theoretische Modelle über planmäßiges Handeln entwickeln. Bei Veranstaltungen wie der Loveparade rät Tim Meyer-König deshalb zur Vorsicht:

    "Das Einzige, was man bei der Planung von solchen Events machen kann, ist, dass man sagt: Ich versuche zu verhindern, dass die Ströme ins Stocken kommen, weil ich aus meiner Erfahrung heraus weiß, dass es dann zu Unregelmäßigkeiten oder sogar zu Unfällen kommt."

    Genau das passierte in Duisburg an der Rampe. Stellt sich also die Frage: Welche Rolle spielen die sogenannten Panikforscher für Eventveranstalter? Werden sie möglicherweise nur als Feigenblatt genutzt, um Schwachstellen der Sicherheitskonzepte zu kaschieren? Darauf könnte etwas anderes hindeuten: Schreckenberg hatte für seine Expertise nur extrem wenig Zeit. Wie schon die Gutachter von TraffGo, ehemalige Schüler Schreckenbergs. Die hatten der Stadt ihre Mitarbeit bereits vor einem Jahr angeboten. Beauftragt wurden sie aber erst Anfang Juli. Viel zu spät. Wirklich umfassende Szenarien zu berechnen, hätte zwei Monate gedauert. Also eine erste Lehre aus Duisburg: Wenn man sogenannte Panikforscher beschäftigt, dann brauchen sie genügend Zeit für eine ausgefeilte Untersuchung. Haben sie die nicht, muss die Genehmigungsbehörde eingreifen - also die Kommune.

    Winrich Granitzka:
    "Zuständig für das Absegnen dieses Sicherheitsplans war jedenfalls die Ordnungsbehörde – und da lesen Sie ja selber in den Medien, wie das da zustande gekommen sein könnte."

    War die Stadt Duisburg mit der Organisation der Loveparade schlichtweg überfordert? Die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, scheint es so zu sehen. Die Landesbehörden sollen deshalb künftig bei der Vorbereitung von Großveranstaltungen den Kommunalbeamten helfen, so ihr Plan.

    Vorbild Oktoberfest
    Warum aber können andere Städte, was Duisburg offenbar nicht konnte. Zum Beispiel München. Dort werden derzeit die Zelte für das Oktoberfest aufgebaut, das am 18. September beginnt. Zwei Wochen lang wird dann Tag für Tag eine halbe Million Menschen über das Gelände geschleust und abgefüllt. Schon jetzt arbeitet dort ein riesiger Sicherheitsapparat.

    "Ozapft is! Auf eine friedliche Wiesn!"

    Sobald der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude das Oktoberfest eröffnet hat, herrscht in der bayerischen Landeshauptstadt Ausnahmezustand. In den zwei Wochen, die das Spektakel dauert, strömen rund sechs Millionen Menschen auf die Theresienwiese. Die meisten Besucher bringen einen kräftigen Durst mit. Mehr oder weniger stark betrunkene Gäste stellen vor allem die Wirte vor eine große Herausforderung. Bei Günther Steinberg beispielsweise im 7000 Personen fassenden Hofbräuzelt sind deshalb an den Wochenenden bis zu 85 Ordner im Einsatz. Das Sicherheitspersonal schreitet ein, wenn es zu Streitigkeiten oder Prügeleien kommt und passt auf, dass jeder, der ein Bier bestellt, auch einen Sitzplatz im Zelt hat. Laut Günther Steinberg ein ganz wichtiger Punkt:

    "Also die sogenannten Stehmaßen, die früher immer verkauft worden sind an Leute, die nur durchs Zelt durchgehen oder sich an irgendeine Balustrade hingehängt haben, die sind offiziell auf dem Oktoberfest verboten. Das hat den Grund, dass die Leute eben in den Gängen stehen, und dadurch dann der Durchfluss in den Gängen gehandicapt ist."

    Sind sämtliche Sitzplätze belegt, werden die Zelte daher rigoros geschlossen. Diese strikte Vorgehensweise dient der Sicherheit und dem Geschäft. Denn kommen die Bedienungen wegen zu großem Gedränge in den Gängen nicht mehr flott voran, schmälert das den Bierabsatz – und damit den Umsatz.

    Zelte, die wegen Überfüllung geschlossenen werden mussten, hat es vor 25 Jahren höchst selten gegeben. Denn zu einer Massenparty, auf der vor allem junge Leute in die Nacht hinein feiern, hat sich die Wies'n erst in den 90er-Jahren entwickelt. Für junge Australier oder Italiener ist das kollektive Besäufnis auf dem Oktoberfest mittlerweile Kult. Eine Entwicklung, die die Wirte zu aufwendigen Umbauten in ihren Zelten gezwungen hat:

    "Die Fluchtwege, die Gänge innerhalb der Zelte, sind breiter geworden, dadurch hat man natürlich auch Plätze verloren. Wir mussten Toilettenanlagen vergrößern, weil da auch der Andrang so groß wurde, dass die Toiletten einfach nicht mehr ausgereicht haben. Es musste auch alles stabiler gebaut werden, denn wenn sich solche Menschenmassen durch so ein Zelt oder auf die Toiletten zu bewegen, dann ist natürlich auch die Gefahr, dass die ein oder andere Zeltwand mal ins Wanken gekommen ist."

    Die Fahrgeschäfte werden zwar regelmäßig vom TÜV überprüft. Trotzdem kommt es hin und wieder zu Zwischenfällen – und dann ist Wolfgang Schäuble von der Feuerwehr gefragt:

    "Es gibt schon immer mal wieder Fahrgeschäfte, die einen technischen Defekt haben, wo man Personenrettungen aus großer Höhe machen muss oder wo auch mal die Gondeln stehen und die Leute drin hängen. Man hat eine spezielle Höhenrettungsgruppe, die hin und wieder eben auch an Fahrgeschäften übt."

    Den Veranstaltern und Sicherheitskräften auf dem Oktoberfest kommt zugute, dass die Wies'n eine lange Tradition hat. Bereits vor 200 Jahren fand dieses Spektakel zum ersten Mal statt – natürlich in deutlich bescheidenerem Umfang. Trotz aller Erfahrung und Routine, zu verbessern gibt es immer wieder etwas:

    "Es geht auch bis hin, dass zum Beispiel auch mal ein Zelt verlegt worden ist, um einen neuralgischen Punkt innerhalb des Geländes, wo sich an zwei Kreuzungen dann sehr viele Leute wegen des Zeltes und wegen anderen Phänomenen getroffen haben, dass man den entzerrt, und da ist es auch wieder deutlich ruhiger."

    Solche Maßnahmen kosten natürlich viel Geld. Doch weder die Stadt München als Veranstalter noch die Wies'n-Wirte zögern mit ihren Investitionen. Zu präsent ist noch die Erinnerung an das Attentat aus dem Jahr 1980. Damals tötete eine Bombe 13 Menschen. Käme es nochmals zu einem ähnlichen Zwischenfall, wäre es auf Jahre hinaus vorbei mit der ausgelassenen Party und damit auch mit dem einträglichen Geschäft:

    "Die Sicherheit ist nun halt das A und O. So ein Ordnerkonzept, ich glaube, dass wir da letztes Jahr ungefähr fast 200.000 Euro ausgegeben haben. Über die 16 Tage verteilt ist das ein ganz erheblicher Betrag, den man natürlich irgendwo umlegen muss, letzten Endes auch auf die Speisen und auf die Getränke", sagt ein Wirt.

    8,10 Euro hat die günstigste Maß Bier im vergangenen Jahr gekostet. Ein stolzer Preis – trotzdem haben die Wirte über sechseinhalb Millionen Liter Gerstensaft ausgeschenkt. Insgesamt sorgt das Oktoberfest in und um München für Umsätze in Milliardenhöhe. Trotz oder gerade wegen hoher Investitionen in die Sicherheit, ist das Oktoberfest also ein Riesengeschäft.

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    Wie kam es zur Tragödie bei der Loveparade? (DLF)
    Oktoberfest
    Oktoberfest - die Seicherheitsmaßnahmen wurden in den vergangenen Jahren immer wieder erhöht. (AP)