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Schule ohne Gott

Die Trennung von Kirche und Staat wird in Frankreich von einem Gesetz aus dem Jahr 1905 garantiert. Es gilt als Pfeiler der Französischen Republik und findet vor allem bei Lehrern seine Verfechter. In der Praxis wird daraus allerdings manchmal ein wahrer Drahtseilakt. Bettine Kaps berichtet aus Paris.

08.12.2005
    Die Pariser Grundschule Victor Conzin liegt nur wenige Schritte vom Pantheon entfernt, dem Huldigungstempel für die Helden der Republik. Die Schüler der 4. Klasse haben Staatsbürgerkunde. Arnaud liest vor, was der Lehrer zuvor diktiert hat: Am 9. Dezember 1905, so steht in seinem Heft, wurde das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat verabschiedet.

    "Seit einem Jahrhundert gibt es keine Staatsreligion mehr, liest der Junge weiter.
    Laizität ermöglicht es, dass man unterschiedlicher Konfession ist."

    Der Text ist schwierig, aber die Kinder reißen sich ums Vorlesen. Die 9-jährige Lola übernimmt, dann stellt der Lehrer Fragen:

    "Artikel 2: Frankreich ist eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik."

    "Und was ermöglicht die Laizität? Das ist die eigentliche Frage für uns."

    Die Finger schnellen in die Höhe. Das schwierige Wort geht ihnen noch schwer von den Lippen, aber ihre Lektion haben die Kinder gelernt. "Laizität bedeutet Respekt und Toleranz", sagt Antoine. "Wer seine Religion ausübt, muss sich an die Gesetze der Republik halten", meint Samuel. "Der Schleier ist in der Schule verboten", sagt Amira. In der Schule darf niemand seine Religion durch auffällige Zeichen zur Schau stellen.

    Das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat ist ein Pfeiler der Französischen Republik und wird dieser Tage in vielen Grundschulen behandelt. Vor 100 Jahren markierte es den Schlussstein eines erbitterten Kulturkampfes. Zuvor hatte der Staat dem katholischen Bildungswesen einen schweren Schlag versetzt: 2.500 von Ordensleuten geführte Schulen waren geschlossen worden. 1905 kündigte Frankreich das Konkordat mit Rom. Seither versteht es sich als unabhängig von der Kirche.

    Im Tausch musste die Regierung der Kirche allerdings einen freien Wochentag zugestehen. So kann sie die Kinder außerhalb der Schule in Katechismus unterrichten. Obwohl immer weniger Familien gläubig sind, haben die Schüler der staatlichen Grundschulen auch heute noch jeden Mittwoch frei.

    Das Gesetz von 1905 ist so etwas wie eine "heilige Kuh". Und ganz besonders verfechten es die Lehrer. Auch der Klassenlehrer Mathieu Gary ist überzeugt, dass Religion im Unterricht nichts zu suchen hat. In der Praxis wird daraus allerdings manchmal ein wahrer Drahtseilakt. Und ganz besonders in der Zeit vor Weihnachten.

    Lehrer:
    "Wir ziehen uns so aus der Falle: Wenn ein Schüler sagt: "Herr Lehrer, Weihnachten, das ist die Geburt des kleinen Jesu", dann sagen wir: Ja, wenn du magst darfst du das glauben. Aber das interessiert uns in der Klasse nicht." - Natürlich sind alle Kinder aufgeregt, wegen der Geschenke. Wir gehen auf diese Stimmung ein, indem wir Weihnachtsschmuck für die Klasse basteln. Den Tannenbaum können wir als Beispiel für die Geometrie benutzen. Wir arbeiten also mit der Symbolik von Weihnachten. Aber wir stützen uns immer auf die nicht-christlichen Elemente und versuchen, dieses ursprünglich religiöse Fest ganz staatsbürgerlich zu behandeln. So können wir es in den Unterricht einschließen lassen und zugleich im Rahmen des Gesetzes bleiben."

    Der Lehrer räumt ein, dass Religion auch ein Kulturgut ist und seine Schüler auf diesem Gebiet erhebliche Lücken haben. Die Kinder der 4. Klasse wissen nicht, warum ihre Herbstferien "vacances de toussaints" genannt werden, die Ferien von Allerheiligen. Eine Pariser Metrostation heißt "Trinität" – damit können sie erst recht nichts anfangen. Für solche Kenntnisse ist die Schule nicht zuständig, sagt Schuldirektor Jean-Michel Valprot:

    "Es ist keine staatliche Aufgabe, die Kinder über eine bestimmte Religion zu informieren, das ist Sache der Eltern. Wir werden doch nicht in der Schule über Himmel und Hölle reden!"

    Das Gesetz von 1905 kommt regelmäßig in die Schusslinie ehrgeiziger Politiker. Vor wenigen Wochen hat Innenminister Sarkozy vorgeschlagen, es neu zu überdenken und möglicherweise abzuändern. Staatspräsident Chirac und Premierminister de Villepin wiesen ihn sofort in die Schranken. Den Schuldirektor machen solche Vorstöße dennoch besorgt:

    "Einige politische Gruppen fühlen sich versucht, das Gesetz von 1905 anzutasten. Dabei ist es sehr gut und vollkommen eindeutig. Dieses Gesetz wurde für die Schule geschaffen, denn sie ist das wichtigste Bollwerk der Republik. Wenn man die öffentliche, laizistische Schule angreift, den Ort, wo von jüngstem Alter an Toleranz, Solidarität, Brüderlichkeit und Gleichheit entwickelt wird, wenn man diese Schule angreift, dann greift man die Republik an."