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Schule ohne Rassismus
"Die politische Bildung macht es sich gemütlich"

2.300 Schulen in Deutschland gehören der Initiative "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" an. Das Netzwerk stellt auf seiner Bundesfachtagung fest: Workshops zum Thema Radikalisierung seien gut gefüllt, doch politische Bildung konzentriere sich nur auf diejenigen, die noch zuhörten. Eine Fehlentwicklung.

Von Claudia van Laak | 05.05.2017
    Das Logo des Netzwerks "Schule ohne Rassismus" an einem Schulgebäude
    Das Logo des Netzwerks "Schule ohne Rassismus" am Schulgebäude bedeutet nicht zwangsweise, dass in dieser Schule Rassismus gar kein Thema ist. (Imago)
    Der Vorfall schlug Wellen – ein jüdischer Junge an einer Berliner Gemeinschaftsschule im Stadtteil Friedenau wurde von muslimischen Mitschülern so gemobbt, dass seine Eltern ihn von der Schule abmeldeten.
    Pikantes, aber nicht unwichtiges Detail: Die Gemeinschaftsschule trägt den Titel: "Schule ohne Rassismus". Die Leiterin des Netzwerks Sanem Kleff auf die Frage: Was ist schiefgelaufen?
    "Ich kann mit dem 'ist schiefgelaufen' gar nicht viel anfangen, weil ich mich frage: "Was". Es ist eine Schule, an der es einen antisemitischen Übergriff gegeben hat. Ist das ein unmittelbarer Indikator dafür, dass es mit der Schule schieflief? Nein."
    70 Prozent der Schüler und Lehrer verpflichten sich zum Einschreiten bei Gewalt
    Eine "Schule ohne Rassismus" ist keine Schule ohne Rassismus, sagt Sanem Kleff. Das ist erklärungsbedürftig. Das Logo des Netzwerks an der Tür bedeute nicht, dass in der entsprechenden Schule alles in Ordnung sei.
    "Dieses Label ist kein Schmuck, dieses Label ist keine Auszeichnung, ist kein Preis, ist keine Belohnung."
    Wenn sich 70 Prozent der Schüler- und Lehrerschaft verpflichten, bei Gewalt und Diskriminierungen an der Schule einzuschreiten und wenn einmal im Jahr ein Projekt zum Thema Diskriminierung stattfindet, dann wird der Titel verliehen. Einmal "Schule ohne Rassismus", immer Schule ohne Rassismus. Aberkannt wird der Titel nicht.
    "Wir sind ja kein Kontrollnetzwerk. Wir sind ja kein Spionagenetzwerk. Wir sind kein Schulalltag-Durchleuchtungs-Netzwerk. Wir sind Helfer und Unterstützer von außen."
    "Die politische Bildung macht es sich gemütlich"
    Bei der Bundesfachtagung "Politische Bildung in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung" treffen sich Akteure wie Gewerkschaftler, Politologen, Migrationsforscher, Sozialarbeiter, Berater und Lehrer.
    Gerade hat Hanne Wurzel von der Bundeszentrale für politische Bildung einen bemerkenswert selbstkritischen Vortrag gehalten und auch allen anderen Akteuren die Leviten gelesen. Viele hätten die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt, sagt die Leiterin des Bereiches "Extremismus" der Bundeszentrale für politische Bildung.
    "Wir konzentrieren uns mit unseren Heften, unseren Webseiten und Veranstaltungen auf diejenigen, die noch zuhören. Eine Fokussierung auf die 'pflegeleichten Zielgruppen' ist wesentlich einfacher, als seine Sprache und seine Argumente denjenigen anzupassen, die nicht zuhören wollen. Das ist aufwendig und allzu oft verfallen wir in ein 'Wer nicht will, der hat schon'. So vertieft sich der Graben und die politische Bildung macht es sich gemütlich."
    Workshop zum Thema "Radikalisierung" gut gefüllt
    Lehrerinnen und Lehrer können es sich meist nicht gemütlich machen – am wenigsten die, die in sozialen Brennpunkten unterrichten. Gut gefüllt deshalb auch der Workshop zum Thema Radikalisierung.
    "Herzlich Willkommen bei uns im Workshop. Titel ist, wie Radikalisierungsprävention gelingen kann. Wichtig ist – im schulischen Kontext. Welche Akteure sind da relevant ..."
    Sozialarbeiterinnen und Lehrer hätten es gerne einfach – verständlicherweise. Am liebsten eine Liste zum Abhaken oder eine Art Ampelsystem: Woran erkenne ich den salafistischen Schüler? Wann wird es gefährlich? Wann muss ich einschreiten und wie?
    Mehr Sonderprogramme bei weniger Personal
    Lehrer werden in ihrem Alltag mit immer mehr Aufgaben überhäuft, fühlen sich eh schon überfordert, jetzt kommt noch die Forderung auf sie zu, Prävention gegen Extremismus aller Art zu betreiben. Helena Breit hat 16 Jahre lang in Dortmund als Deutsch- und Französischlehrerin gearbeitet:
    "Ich weiß, dass viel möglich ist mit Schülerinnen und Schülern. Vor allem im Klassenverband als Klassenlehrerin. Ganz viel. Aber dafür braucht man Zeit. Und die gibt es im aktuellen Schulalltag überhaupt nicht. Viel zu wenig. Überhaupt nicht. Muss geschaffen werden."
    Helena Breit spricht vielen Lehrerinnen und Lehrern aus dem Herzen. Anstatt die Schulen insgesamt personell besser und nachhaltig auszustatten, würden immer mehr Sonderprogramme zur Prävention aufgelegt, kritisiert sie.
    Aufmerksamkeit für Bildungsminister durch Anti-Radikalisierungsprogramm
    Experten wie der Islamwissenschaftler Michael Kiefer von der Universität Osnabrück sehen das genauso:
    "Diese terroristischen Straftaten, die in Westeuropa überall in den letzten Jahren zu beobachten waren, führen natürlich zu einem gewissen Aktionismus. Man legt dann große Präventionsprogramme auf, die nur eine begrenzte Laufzeit haben, mit zum Teil auch Akteuren, die nicht immer so ganz genau wissen, was sie da tun."
    Sonderprogramme auflegen statt die Schulen im Regelbetrieb ordentlich ausstatten, dies entspricht einer gewissen Logik seitens der Politik. In gesellschaftlich aufgeheizten Zeiten mit einer wachsenden anti-islamischen Stimmung bringt ein gut verkauftes "Antiradikalisierungsprogramm" den Innen- und Bildungsministern definitiv mehr mediale Aufmerksamkeit als die einfache Meldung, mehr Lehrerstellen zu schaffen.