Archiv


Schule war nie ein Problem!

Die Berliner Abiturientin Calla sieht sich selbst als Bindeglied zwischen den türkischstämmigen und deutschen Schülern und Schülerinnen in ihrem Jahrgang. Probleme mit den Lehrern gab es nie, im Gegenteil: immer wieder wurde ihr signalisiert, dass sie stolz auf ihre Leistungen sein konnte. Und dennoch: Ein sonderbares Gefühl der Fremdheit blieb.

Von Agnes Steinbauer |
    "In unserer Schule ist es leider so, dass wir eine Gruppe von Türken haben, die sitzen an ihrem Tisch, und eine Gruppe von Deutschen, die sitzen an ihrem Tisch..."

    ...Erfahrungen von Calla, Schulsprecherin am Diesterweg-Gymnasium in Wedding. Die 19-Jährige Berlinerin ist gerade von ihrer Abiturfahrt zurück und sitzt dementsprechend entspannt auf dem Sofa. Vor kurzem hat sie ihre Prüfungen erfolgreich abgeschlossen. 13 Jahre Schule liegen hinter ihr – 13 Jahre Schule in Deutschland:
    Für sich persönlich zieht sie dieser Zeit besonders e i n Resümee:

    "Da war ich eigentlich immer das Bindeglied zwischen den deutschen Schülern und den türkischstämmigen, und genauso ist es in der Oberschule weiter gelaufen… ich hatte nie irgendwelche Probleme, ich konnte mich sehr gut integrieren, ich habe von allen Nationen Freunde..."

    Das klingt gut, doch trotz Schulerfolg und offensichtlich geglückter Integration, saß Calla immer ein wenig "zwischen den Stühlen" – beziehungsweise den Kulturen:

    "Eine türkische Freundin mochte mich anfangs nicht, weil ich halt schon einen Freund habe, öfter mal wegging. Da war ich in ihren Augen, halt eine Deutsche...und von der deutschen Seite, die sehen mich immer noch als Türkin, das kriege ich einfach zu spüren..."

    Animositäten oder gar Angriffe gegen ihre Person hat Calla zwar nie erlebt, aber manchmal ist da diese merkwürdige Fremdsein, das sie selbst auch nicht so ganz definieren kann:

    "In der Schule und im Verein, ich spiel ja auch noch Volleyball...weil ich vielleicht irgendwie anders wirke, wenn ich auf Turnieren dabei bin, aber auch in der Gesellschaft. Wenn ich einkaufen gehe, sieht man mich einfach als Türkin, denkt, ich spreche nicht gut deutsch und versucht, mir alles doppelt und dreifach zu erklären, obwohl ich doch wirklich nicht begriffsstutzig bin..."

    Das können auch Callas Lehrer bestätigen. Mit denen hat sie meist gute Erfahrungen gemacht. Calla strahlt, als sie davon erzählt:

    "Bei meinen Lehrern merke ich, dass sie ziemlich stolz sind, dass ich aus ihrer Schule komme. Die sagen mir auch regelmäßig, dass sie mich bewundern, wie sehr ich mich engagiere und sie versuchen mich auch zu fördern..."

    Eine ihre türkischstämmige Mitschülerin, die lieber anonym bleiben möchte und nächstes Jahr Abitur machen wird, hat ebenfalls nicht das Gefühl, als Türkin bei den Lehrern schlechter weg zu kommen. Anders das bei manchen Kopftuch tragenden Schülerinnen , erzählt sie. Ihre Familie stammt aus Izmir und lebt in zweiter Generation in Deutschland:

    "Meine Mutter, als sie hergekommen ist, hat sie gleich Deutsch gelernt, weil sie ist der Meinung, wenn man in ein Land geht, dass man auch die Sprache sprechen muss. Zuhause haben wir auch oft deutsch gesprochen und wir haben abends vor dem Schlafengehen Diktate gemacht..."

    Die zierliche 18-Jährige, die an der Wohnungstür ganz selbstverständlich die Schuhe ablegt, weil das in muslimischen Haushalten die Höflichkeit gebietet, macht als "moderne Muslim" in Deutschland ähnliche Erfahrungen wie Calla. Sie fühlt sich einerseits als Berlinerin – schließlich ist sie hier geboren. Trotzdem spürt sie manchmal dass sie "anders" ist – von deutscher wie von türkischer Seite:

    "Irgendwie ist das schon etwas fremd… ich hab das oft mitbekommen, dass die zum Beispiel nicht auf Fahrten mitkommen durften...das ist bestimmt traurig. Wir haben eine Bekannte, die sind nicht so traditionell, aber ihre Eltern haben ihr nicht erlaubt, mitzufahren, für sie brach irgendwie die Welt zusammen. Da denkt man sich: Warum ich, alle fahren mit und ich muss hierbleiben..."

    Damit hatte die Schülerin in ihrer Familie noch nie Probleme, genauso wenig wie mit abends Ausgehen oder Freude besuchen. Eines, was für gleichaltrige deutsche Mädchen normal ist, kommt für beide Türkinnen jedoch auf keinen Fall in Frage - trotz liberaler Familie:

    "Das mit dem Geschlechtsverkehr vor der Ehe, weil ja die Deutschen das machen dürfen, ich denke das hat schon einen Grund, das nicht zu machen bei uns, das empfinde ich schon als richtig...ist für mich total tabu, weil das auch so Familienehre ist, das ist vielleicht konservatives Denken, aber ich halte daran fest..."

    Eine eigene Position zwischen den Erwartungen zu finden, ist nicht immer leicht. Calla hat das für sich so gelöst:

    "Es ist ziemlich anstrengend allen Seiten klarzumachen, warum ich so handle…
    Aber ich hab einfach aufgehört mich zu rechtfertigen und gesagt: Es ist mein Leben und ich mache, was ich will und meine Familie unterstützt mich so, wie ich bin.."